Köln

Ein Strategiespiel für den nächsten Trainerlehrgang in Köln

Sami Allagui (links) bekam wieder eine Chance in der Mainzer Startelf und schoss seinen ersten Treffer seit dem 28. August.
Sami Allagui (links) bekam wieder eine Chance in der Mainzer Startelf und schoss seinen ersten Treffer seit dem 28. August. Foto: Eva Willwacher

Spätestens nach einer halben Stunde war klar: Da ging am Dienstagabend im RheinEnergieStadion ein reines Strategiespiel über die Bühne.

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Köln – Spätestens nach einer halben Stunde war klar: Da ging am Dienstagabend im RheinEnergieStadion ein reines Strategiespiel über die Bühne.

Das wirkte teilweise, als würde hier für den nächsten Trainerlehrgang in Köln ein Taktiklehrfilm gedreht. Bei dem der Torabschluss nicht so im Mittelpunkt steht. Arbeitstitel des künftigen Lehrvideos: 1. FC Köln gegen den FSV Mainz 05 unter besonderer Berücksichtigung einer klugen Raumbesetzung – und mit welchen Systemen man auf die Prinzipien des Gegners antworten kann.

Thomas Tuchel hatte sich gegen die in Deutschland eher sonderbare Gegen-den-Ball-Arbeit des Kölner Kollegen Stale Solbakken einen sehr speziellen Plan ausgedacht. Der 05-Coach krempelte im Vergleich zum jüngsten 0:0 gegen den Hamburger SV nahezu alles um, um die Kölner Umschaltüberfälle einzudämmen und die riskante Defensivtaktik der Gastgeber auszunutzen.

In der Offensive operierten die 05er in einem 4-3-3, mit Julian Baumgartlinger, Jan Kirchhoff und Elkin Soto im Mittelfeld und mit Sami Allagui, Mario Gavranovic und Zoltan Stieber im Angriff. Da Solbakken sich mit seinem zentral massierten Defensivblock mehr für den Raum, weniger für die Bewegungen des Gegners interessiert, wollten die Mainzer die extrem hoch operierende Viererabwehrkette des FC und die seitlich meist alleine arbeitenden Außenverteidiger in häufigen Eins-gegen-eins-Situationen über die Flügel aufreißen. Mit nach innen gerichteten Pässen in die Nahtstellen zwischen Innen- und Außenverteidiger. Oder betont in den Rücken der Außenverteidiger. Der Kölner Betonblock in der Mitte sollte intelligent umspielt werden.

Idee gut, Räume vorhanden

Die Idee war gut, die Räume waren da. Woran es fehlte, das war die Durchsetzungsfähigkeit der Außenstürmer Allagui und Stieber, das war alles viel zu brav, zu fehlerhaft, mit zu wenig Überzeugung vorgetragen. Und Gavranovic hatte im Zentrum auch keine Szenen. Der Schweizer spielte viel zu zögerlich, zu passiv.

Gegen den Ball allerdings machten die 05er in Köln nicht viel falsch. Da ergab sich durch diverse Verschiebungen oft eine sehr flexible 4-1-4-1-Stellung, die nahezu keine Kölner Umschaltüberfälle zuließ. Auch eine Leistung. Jan Kirchhoff hielt den Raum zwischen den Linien und räumte dort gut ab. Baumgartlinger und Soto verdichteten die Halbräume. Die Außenstürmer Allagui und Stieber komplettierten gegen den Ball ein flexibles Vierer-Mittelfeld. Das funktionierte glänzend. Die Kölner hatten in der ersten Halbzeit nicht eine einzige echte Torchance. Und hätte nicht Bo Svensson in der Abwehrzentrale mal wieder ein paar merkwürdige Wackler ausgepackt, die Gastgeber wären nicht mal mit Standards in die Nähe des Mainzer Strafraums gekommen.

Defensivstellung bei Standards

Was die 05er viel zu selten nutzten, das war die utopische Defensivstellung der Kölner bei eigenen Ecken oder seitlichen Freistößen. Zweimal wehrten die Mainzer Ecken kontrolliert ab, zweimal bestand die Chance mit einem einzigen Pass in die Tiefe die komplette Kölner Mannschaft, deren Abwehrreihe passiv auf der Mittellinie verharrte, zu überspielen und frei auf Keeper Michael Rensing zuzulaufen. Die Pässe gerieten aber zu unpräzise, auch den Laufwegen fehlte die letzte Überzeugung. Vertändelt, ohne Not.

Das war insgesamt ein gutes Beispiel dafür, dass Pläne und Systeme alleine ein Spiel nicht gewinnen, es geht immer darum, die Ideen auf allen Positionen mit Leben zu füllen. Insbesondere natürlich im eigenen Ballbesitz. Und da steigerten sich die 05er nach etwa 55 Minuten enorm. Jetzt kamen die Gegenzüge nach Balleroberungen mit mehr Zug, mit mehr Dynamik, mit mehr Geschwindigkeit in den Laufwegen in die Tiefe.

Maxim Choupo-Moting, eingewechselt für den braven Stieber, brachte mehr Druck auf die Kugel. Allmählich wurde aus dem hoch interessanten Strategiespiel ein mitreißendes Fußballspiel. Und spätestens nach der verdienten Führung für die Mainzer durch Sami Allagui deutete sich an, dass Tuchel das Kölner Spiel besser gelesen hatte in der Matchvorbereitung als Solbakken die Mainzer Prinzipien. Die Kölner hatten ohne Umschaltchancen nur sehr wenige alternative Ideen.

Die 05er nahmen den Gastgebern mit ihrer glänzenden Organisation im Raum jeden Schwung. und die Struktur im Ballbesitz atmete Konsequenz nach der Pause. Das war ergebnisunabhängig ein Taktiksieg für Tuchel. Reinhard Rehberg