Drei todbringende Buchstaben: IED

Anschläge Selbst gebaute Bomben sind derzeit die größte Gefahr für die Bundeswehr in Afghanistan.

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Kabul. Eine zerdrückte Plastikflasche auf der Straße, die man überfährt. Eine zerknüllte Zigarettenschachtel, auf die man, ohne nachzudenken, tritt. Ein Stein, den man wegkickt. Die potenzielle Folge in allen Fällen, zumindest in Afghanistan: Tod oder schwere Verletzung.

Es sind Beispiele von Zündern für Sprengfallen, die die Bundeswehr in Nordafghanistan im Feld gesammelt hat. Keine Waffe der Taliban ist tödlicher als die selbst gebauten Bomben, die im Militärjargon Improvised Explosive Devices – kurz IED – genannt werden.

In ganz Afghanistan starben von Jahresbeginn bis zum 18. Juni 128 ausländische Soldaten – darunter mehrere Deutsche –, 388 Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte und 540 Zivilisten durch die Bomben. Über 3000 Menschen wurden verwundet. Die Zahl der IED im Land steigt nach Militärangaben jedes Jahr etwa um das Doppelte. Allein im nördlichen Einsatzgebiet der Bundeswehr wurden vom 1. Dezember 2010 bis zum 1. Juni dieses Jahres 165 Sprengfallen registriert, die detonierten – im Vorjahreszeitraum waren es 60. Entdeckt und geräumt wurden in dieser Zeit weitere 176 Sprengsätze, nach 44 im Vorjahreszeitraum.

Schulung sensibilisiert Soldaten

Die Bundeswehr, die die Isaf im Norden kommandiert, hat auf die wachsende Bedrohung mit verstärkter Ausbildung reagiert. Auf einem blickdicht umzäunten Areal im Camp Marmal bei Mazar-e Sharif liegt ein Trainingsgelände, auf dem Soldaten dafür geschult werden, Sprengfallen und Hinweise darauf rechtzeitig zu erkennen. Leiter der deutschen und amerikanischen Trainer ist Oberstabsbootsmann Uwe N. In sieben Monaten haben er und seine Männer – die Fachbezeichnung für sie ist Kampfmittelbeseitiger – mehr als 10 000 deutsche und internationale Soldaten für die tödliche Gefahr sensibilisiert.

Auf dem Gelände ist eine typisch afghanische Landschaft nachgebildet, in der die Soldaten darauf gedrillt werden, Hinweise auf versteckte IED – etwa gelbe Sprengdrähte aus dem Bergbau – zu erkennen. Der Schulungsraum ist in einem Zelt untergebracht, als die Besucher achtlos auf den Teppich am Eingang zur Bombenwerkstatt treten, piepst es durchdringend. „Tot“, sagt der Oberstabsbootsmann – im echten Leben wäre unter dem Teppich vermutlich eine Sprengfalle mit Kontaktzünder versteckt gewesen. Auch bei den verschiedenen Zündern, die in den Zelten auf Brettern montiert sind, piepst es, wenn ihr Mechanismus ausgelöst wird. An ihnen zeigt sich, wie perfide die IED geworden sind. Mit gewöhnlichen Minen, die durch Kontakt ausgelöst, aber mit Metallsonden aufgespürt werden können, haben sie fast nichts mehr gemein.

IED mit normalen Kontaktzündern können kaum gezielt eingesetzt werden: Der Erste, der auf die Kontaktplatte tritt oder sie überfährt, wird in die Luft gesprengt. Also gingen die Aufständischen dazu über, Sprengsätze per Funk auszulösen. Die Truppen reagierten mit sogenannten Jammern, die auf gepanzerten Fahrzeugen montiert sind und Funksignale stören. Doch auch die Taliban schlafen nicht: Inzwischen gibt es Kontaktzünder, die per Funk aktiviert werden, wenn die Jammer noch zu weit entfernt sind, um das Signal zu stören. Alle Wagen davor passieren den Zünder, ohne ihn auszulösen. Nachdem er per Funk scharf gemacht wurde, fliegt das nächste Fahrzeug in die Luft.

Entschärfer im Visier

Und die Aufständischen setzen sogenannte Entschärferfallen ein: Sprengsätze, die Kampfmittelbeseitiger wie Uwe N. töten sollen. Der Oberstabsbootsmann berichtet von IED, die durch Fotozellen gezündet werden. „Sobald man die ausgräbt und Licht daran kommt, gehen die hoch“, sagt er. „Ein Problem ist, dass die IED in jüngster Zeit immer komplexer geworden sind. Die ändern ihre Taktik, dann ändern wir unsere Taktik“ – und so gehe es immer weiter. Die Taliban legten sogar Bombenattrappen, um die Spezialisten dabei zu beobachten, wie sie arbeiten – und um daraus zu lernen.

Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Uwe N. und seine Kameraden versuchen, den Taliban immer einen Schritt voraus zu sein. „Die werden schon gut ausgebildet“, sagt der Oberstabsbootsmann über seine Gegner. Unter Aufständischen gebe es außerdem einen „Technologietransfer“: „Wenn es im Irak funktioniert, dann kommt es auch nach Afghanistan.“ Gut sei aber auch die Ausrüstung der Bundeswehr, um Sprengfallen aufzuspüren. Die Ausbildung nennt Uwe N. „super“.

Uwe N. ist nach 2009 zum zweiten Mal in Afghanistan, schon jetzt weiß er, dass er nächstes Jahr wiederkommt – Experten wie er sind rar. „Wenn man weiß, was man tut, ist es nicht so gefährlich“, sagt er über die Arbeit der Kampfmittelbeseitiger. „Jedes IED ist etwas anderes, jedes ist anders aufgebaut. Ich muss grundsätzlich so vorgehen, als wäre es mein erstes IED.“

Von Can Merey