Berlin

Diskussion um den Hirntod verunsichert viele

Wer einen Organspendeausweis ausfüllt, geht davon aus, zum Zeitpunkt einer möglichen Organentnahme tot zu sein. Doch Tod ist nicht gleich Tod. Unabdingbares Kriterium für die Entnahme von Herz, Lunge oder Leber ist der Hirntod. Aber ist diese klinische Diagnose gleichzusetzen mit dem Ende des Lebens?

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Forscher, Mediziner und Theologen diskutieren seit Jahrzehnten über die Frage, ob Hirntote wirklich tot sind. Nach neurologischer Definition sind sie es. Doch auch Ärzte äußern Zweifel – und bringen das Dogma ins Wanken. Die Transplantationsskandale in Göttingen und Regensburg haben die Debatte neu belebt.

„Wenn wir über Organspende reden, müssen wir auch über die sterbenden Menschen reden, die auf dem OP-Tisch ihre Organe und ihr Leben lassen.“ Martin Stahnke, Chef der Anästhesieabteilung am Hospital zum Heiligen Geist in Kempen, formuliert es provokant. Er war als junger Arzt an zahlreichen Transplantationen beteiligt. Heute ist er Kritiker des Hirntod-Konzeptes: „Natürlich leben die zur Organspende vorgesehenen Menschen noch. Sie sind allerdings unumkehrbar sterbenskrank und würden ohne Intensivmedizin tatsächlich tot sein: kalt, starr, blassblau. All das sind sogenannte Hirntote nicht“, sagt das Mitglied des Vereins Kritische Aufklärung über Organtransplantation.

Stahnke wirbt deshalb dafür, die Bevölkerung unmissverständlich über den Hirntod aufzuklären: „Vor allem die Angehörigen müssen wissen, dass ihr Einverständnis zur Organentnahme für Sterbende, nicht Tote gilt.“

Die Kriterien des Hirntodes wurden 1968 von einer in Harvard tagenden Ethik-Kommission (Harvard-Commission) festgelegt. Diese schon damals umstrittene neurologische Definition des Todeszeitpunktes war nötig geworden, weil es Chirurgen geschafft hatten, Organe zu verpflanzen. Seither sind Hirntote als Tote anzusehen, denen Organe entnommen werden können.

Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery hält die Kriterien für korrekt. Menschen seien dann tot, wenn zwei Ärzte im Abstand von 24 Stunden unabhängig voneinander festgestellt haben, dass keine Hirnaktivität mehr vorhanden ist: „Die Hirnleistung macht uns zu Menschen. Hirntoten ist eine Rückkehr ins Leben nicht mehr möglich.“ Stefanie Förderreuther, Oberärztin der Neurologischen Universitätsklinik München, nennt den Hirntod ein besonders sicheres Todeskriterium: „Es gibt dann keine zentrale Steuerung des Organismus als Ganzes mehr.“

Diese Haltung vertreten seit 1990 offiziell auch die beiden großen christlichen Kirchen. Doch offenbar überzeugt die kirchliche Sicht nicht jeden: „Für die meisten Angehörigen sind Hirntote nicht tot, sondern noch am Leben“, gibt Linus Geisler, Professor und einstiger Chefarzt in Gladbeck, zu bedenken. Er kritisiert die Aussage vieler Mediziner, es handele sich nur scheinbar um Lebende, in Wirklichkeit seien es Tote. Das widerspreche zutiefst jeder herkömmlichen Vorstellung vom Tod. Die Folge: „Dieser massive Verstoß ist eine der wesentlichen Ursachen für Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Organentnahme bei hirntoten Menschen“, sagt der einstige Sachverständige in der Enquête-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“.

Man müsse anerkennen, dass die Hochleistungsmedizin eine neue Kategorie neben „tot“ und „lebendig“ geschaffen habe, sagt Peter Dabrock, Professor für Systematische Theologie an der Uni Erlangen-Nürnberg: „Es gibt unumkehrbar Sterbende zwischen Leben und Tod.“

Für Dabrock ist der Hirntote im juristischen Sinne nicht mehr lebendig, weil er alle Fähigkeiten, die wir mit Personalität verbinden, unwiederbringlich verloren habe. Eine Organentnahme sei deshalb zulässig – und eben keine Tötung auf Verlangen oder Sterbehilfe.

Von Dirk Baas