Koblenz/Mainz

Der Trend Handlettering: Koblenzerin hat „Schönschreiben“ zum Beruf gemacht

Von Marta Fröhlich
In ihrem Atelier in Mainz kann die gebürtige Koblenzerin Annika Sauerborn ihre Leidenschaft für Illustration und Handlettering ausleben – während ihr Alter Ego Fräulein Annika ein Bad im Stiftebecher nimmt.
In ihrem Atelier in Mainz kann die gebürtige Koblenzerin Annika Sauerborn ihre Leidenschaft für Illustration und Handlettering ausleben – während ihr Alter Ego Fräulein Annika ein Bad im Stiftebecher nimmt. Foto: Marta Fröhlich

Eine Pionierin des kunstvollen Schreibens ist Annika Sauerborn. Die gebürtige Koblenzerin ist Illustratorin und Autorin zahlreicher Bücher übers Handlettering sowie bekennende Schönschreiberin. Wir haben sie besucht.

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In einer Welt voller Tastaturen und Touchscreens erwächst eine Gegenbewegung des Handgeschriebenen. Nach Malbüchern für Erwachsene zeugt das Handlettering von einer Sehnsucht nach Greifbarem – und bringt zwischen kunstvoll verschnörkelten Buchstaben vor allem eines mit: Muße.

Wann haben Sie das letzte Mal etwas mit der Hand geschrieben? Vielleicht einen Einkaufszettel, die eigene Unterschrift – oder gar eine Postkarte? Zunehmend beherrschen Tastaturen und Touchscreens unseren Alltag, sterile Computerschriften haben den individuellen Schwung der Handschrift scheinbar ersetzt. Und doch sieht man sie immer häufiger – handgeschriebene Reklameaufsteller, mit Kreide beschriftete Tafeln vor Cafés, die kunstvoll verziert die Angebote des Tages anpreisen. Und auch die Postkarte erlebt in den vergangenen Jahren ein Revival. Die Handschrift lebt.

Das zeigt auch ein aktueller Trend, der sich rund ums Schönschreiben dreht: das Handlettering. Eine Pionierin des kunstvollen Schreibens ist Annika Sauerborn. Die gebürtige Koblenzerin ist Illustratorin und Autorin zahlreicher Bücher übers Handlettering sowie bekennende Schönschreiberin – oder besser Schönzeichnerin. „Im Grunde handelt es sich dabei nämlich eher um illustrative Schrift denn um klassisches Schreiben“, erklärt Sauerborn. Bei der Technik des Handletterings werden Buchstaben in verschiedenen Formen und Größen miteinander kombiniert, mit Schmuckelementen wie Schnörkeln, Blumen und kleinen Illustrationen ausgestaltet – so entstehen Kunstwerke, die Tassen, Poster oder Postkarten schmücken können. „Handlettering ist eine schöne Möglichkeit, eine Botschaft zu übermitteln. Man kann dabei aus dem Vollen schöpfen“, schwärmt Sauerborn, wippt auf ihrem Sitzball auf und ab und streicht behutsam über den großen, schneeweißen Papierbogen vor sich, „das Papier sollte ganz glatt sein. Dann klappt das Lettern am besten.“

In ihrem Atelier in Mainz kann die gebürtige Koblenzerin Annika Sauerborn ihre Leidenschaft für Illustration und Handlettering ausleben – während ihr Alter Ego Fräulein Annika ein Bad im Stiftebecher nimmt.
In ihrem Atelier in Mainz kann die gebürtige Koblenzerin Annika Sauerborn ihre Leidenschaft für Illustration und Handlettering ausleben – während ihr Alter Ego Fräulein Annika ein Bad im Stiftebecher nimmt.
Foto: Marta Fröhlich

Sauerborns Atelier ist ein wahres Paradies für Papeteriefans. In den Regalen stapeln sich Papierbogen in allen Größen, wie kleine Schatztruhen horten Schubladen und -fächer Schreib- und Zeichenmaterial. Dutzende Ordner hüten Entwürfe, Skizzen und Notizen. Denn das Vorzeichnen ist beim Handlettering die halbe Miete. Sauerborn plant einen Schriftzug mit Heimatbezug. Die gebürtige Koblenzerin möchte eine Zeichnung dem „Kowelenzer Schängel“ widmen. Sorgsam werden die einzelnen Buchstaben mit Bleistift vorgezeichnet, Hilfslinien erleichtern die Orientierung auf dem großen Papierblatt. Sie prüft die Anordnung, radiert noch einmal eine Linie weg, verschiebt sie nach Augenmaß um ein paar Zentimeter. Das Gerüst steht.

Erst dann lässt die Künstlerin den Blick über ein Meer von Stiften, Pinseln und Markern vor sich schweifen. Sie greift in einen der vollen Stiftebecher und fischt einen dicken Brushpen heraus – eine Kreuzung aus Pinsel und Stift. Kräftig saugt der Stift die flüssige Farbe auf, färbt sich tiefblau. Mit ein paar lockeren Schwüngen aus dem Handgelenk überprüft Sauerborn auf einem Schmierblatt, ob der Farbton stimmt, lässt die Pinselborsten des Spezialstifts noch ein paar Tropfen Wasser ziehen. Noch ein Probeschwung, ein prüfender Blick – perfekt, es kann losgehen.

Der Stift liegt locker in ihrer Hand, weniger wie ein Füller, mehr wie ein Bleistift, mit dem sie große Flächen schraffieren möchte. Sauerborn streckt noch einmal den Rücken durch, holt Luft und beugt sich über den Schreibtisch. Mit sicherem Griff und ruhiger Hand zeichnet sie die ersten Striche. Gleitet der Pinsel auf dem Papier nach unten, lässt die Künstlerin die Haare breit aufliegen, bei den Aufstrichen gibt sie weniger Druck, die Linien werden feiner. Strich für Strich, Zug um Zug entstehen die Buchstaben aus royalblauer Tinte, begleitet von chilligen Bässen im Hintergrund. Die Ruhe steckt an.

In ihrem Atelier in Mainz kann die gebürtige Koblenzerin Annika Sauerborn ihre Leidenschaft für Illustration und Handlettering ausleben – während ihr Alter Ego Fräulein Annika ein Bad im Stiftebecher nimmt.
In ihrem Atelier in Mainz kann die gebürtige Koblenzerin Annika Sauerborn ihre Leidenschaft für Illustration und Handlettering ausleben – während ihr Alter Ego Fräulein Annika ein Bad im Stiftebecher nimmt.
Foto: Marta Fröhlich

Ein wenig Kalligrafie, ein wenig Illustration – Handlettering ist technisch anspruchsvoll. Es braucht Zeit und viel Übung, um den Brushpen sicher zu führen. Dass Sauerborn ausgebildete Illustratorin ist, hat ihr dabei sehr geholfen. „Das Handlettering spielte am Anfang für mich eigentlich keine Rolle. Ich habe Illustrationen für Verlage gezeichnet, die Figuren Fuchs und Bär wurden zu meinen Markenzeichnen. Bis ich eines Tages mal aus Jux eine Glückwunschkarte gestalten wollte“, erinnert sie sich. Über dem lässig am Grashalm mümmelnden Fuchs prangte der Schriftzug „Ich denk an dich“.

„Das war im Grunde mein erstes Lettering“, erinnert sich die 34-Jährige und zeigt ihre ersten Karten, die in den Handel gingen. 2014 stieg die Nachfrage kräftig an. Immer mehr Verlage gaben Illustrationen und Lettering-Schriftzüge in Auftrag, das heimische Wohnzimmer platzte aus allen Nähten. Ein Büro musste her. Da kam der Mainzerin der triste Nordhafen in ihrer Wahlheimat gerade recht. In einem alten Zollgebäude konnten Start-ups günstig Büroräume mieten, sich in der Gemeinschaftsküche austauschen – eine kreative Oase inmitten grauer Industrie.

Die Wände der Gemeinschaftsküche und des Ateliers schmücken Poster mit witzigen Sprüchen, hin und wieder lächelt dem Besucher auch ein freches Mädchen entgegen, das der kreativen Atelierbesitzerin zum Verwechseln ähnlich sieht. Annika Sauerborn lacht laut auf: „Ja, das ist quasi mein Alter Ego. Eines Tages habe ich ein paar Fingerübungen gemacht und mich selbst gezeichnet. Und schon war Fräulein Annika geboren.“ Wer der Illustratorin in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram folgt, trifft immer wieder das freche Fräulein in Form von Papierfiguren. „Das ist meine Art von Selfie. Ich zeige mich nicht gern selbst, deshalb darf Fräulein Annika auch all die Sachen erleben, die ich erlebe. So bin ich quasi zu sehen, aber irgendwie auch nicht“, schmunzelt sie.

Eine der Dutzenden kleinen Annikas schlägt lässig die Beine auf einem besonderen Buch im Regal übereinander. 2015 hatte der Frech-Verlag bei der jungen Künstlerin angefragt, ob sie nicht einen Handlettering-Guide herausbringen wolle. Annika Sauerborn fackelte nicht lang: „Das konnte ich gar nicht so richtig glauben. Ich habe mich kurz gefragt, ob ich ein ganzes Buch stemme. Aber dann habe ich es einfach gemacht. Es fühlt sich immer noch ganz seltsam an, wenn ich im Buchladen an meinen Büchern vorbeilaufe oder irgendjemand eines in der Bahn in der Hand hält“, gibt sie schüchtern lächelnd zu. Zum ersten Anleitungsbuch sind schnell weitere dazugekommen, mittlerweile gibt es ein Übungsheft und ein Buch nur mit Schmuckelementen wie Blumenkränzen oder Borten – auch in einer Weihnachtsversion.

Die Bücher sind begehrt und der Markt groß. Mittlerweile gibt es in fast jeder Großstadt Handlettering-Kurse. Was seinen Ursprung im jahrhundertealten Handwerk des Schildermalers hat, ist heute ein richtiger Hobbytrend. Die Mainzerin erklärt sich den Erfolg mit einer neuen Sehnsucht nach Langsamkeit. „Alles ist heute so schnelllebig, wir sind ständig online. Das Lettern braucht aber Zeit und Muße, das geht nicht schnell, schnell. So kommt man raus aus dem Hamsterrad. Nimmt sich Zeit“, vermutet sie. Dies bestätigen auch andere Trends wie Ausmalbücher für Erwachsene oder die Rückkehr des Füllers.

Davon profitieren vor allem die Schreibwarenhersteller. Faber Castell, seit dem 18. Jahrhundert führend in der Stiftherstellung, drohte noch Anfang des Jahrtausends pleitezugehen. Heute, den frischen Wind der Ausmal- und Lettering-Bewegung im Rücken, müssen die Mitarbeiter Sonderschichten einlegen, weil sie mit der Produktion nicht mehr nachkommen. Faber Castell macht wieder 630 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Auch Hersteller wie Stabilo oder Edding erweitern ihr Sortiment um Hunderte Produkte allein fürs Handlettering.

„Dabei braucht es eigentlich nicht viel, um anzufangen“, weiß Annika Sauerborn. Schon ein paar Fineliner, ein Bleistift und vor allem Zeit und Geduld reichen aus, um sich in die schnörkelige Welt der gezeichneten Buchstaben vorzuwagen. „Und dann üben, üben, üben“, weiß der Profi. Und wenn es dann doch nicht so hübsch wird wie bei Frau Annika, nicht verzagen – entschleunigend ist es allemal.

Von unserer Reporterin Marta Fröhlich

Schönschreiben als Beruf

Zur Person:

Annika Sauerborn malte schon als Kind ständig und überall. Deshalb entschied sie sich nach dem Abitur für ein Studium des Kommunikationsdesigns mit Schwerpunkt Illustration. Nach einem Praktikum in Berlin machte sie sich unter dem Namen Frau Annika selbstständig, arbeitet seitdem für Verlage wie Duden oder Haba. Seitdem gehören die Figuren Fuchs und Bär zu ihren Markenzeichen – genauso wie das Handlettering.

Die persönliche Handschrift gilt für Forscher als Kulturleistung, die wir weitergeben sollten. Wer sich handschriftlich Notizen macht, lernt laut Studien besser und ist kreativer. Mit dem Griff zu Stift und Papier kann man seine eigene Handschrift wiederaufleben lassen und sich selbst zum Schönschreiben disziplinieren.

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