Oslo

Der Anwalt und die Ankläger des Massenmörders

Geir Lippestad musste im Namen eines Massenmörders sprechen. Er musste Freispruch für Attentäter Anders Behring Breivik fordern, obwohl dessen Schuld klar war. Er musste ihn mit Würde behandeln und Breiviks Wunsch durchsetzen, der Einweisung in die Psychiatrie zu entgehen.

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Oslo – Geir Lippestad musste im Namen eines Massenmörders sprechen. Er musste Freispruch für Attentäter Anders Behring Breivik fordern, obwohl dessen Schuld klar war. Er musste ihn mit Würde behandeln und Breiviks Wunsch durchsetzen, der Einweisung in die Psychiatrie zu entgehen. Die Staatsanwälte Inga Bejer Engh und Svein Holden haben einem Massenmörder den Schrecken genommen. Doch mit ihrem Plädoyer haben die Staatsanwälte Holden und Engh auch viele enttäuscht. Ihre Überzeugung: Selbst für Breivik darf man das Recht nicht beugen.

Eine leichte Aufgabe hatte wohl keine der beiden Seiten. Lippestad hatte seine freiwillig angenommen. Es gehöre nun mal zu einem Rechtsstaat, dass jeder Anspruch auf einen Verteidiger hat, erklärte er. Mit grauem Anzug, dunkler Krawatte und oft ein wenig glänzendem, kahl rasiertem Schädel vermittelte der Jurist den Ernst und die Würde, die der Fall erforderte. Er überredete Breivik, an den Verhandlungstagen auf seinen rechtsradikalen Gruß zu verzichten – und forderte zugleich, der Massenmörder müsse sich offen erklären dürfen. Von Breiviks Gedanken und Taten distanzierte er sich deutlich. Trotzdem blieb Lippestad während des Prozesses nicht unumstritten. Die Linie der Verteidigung, Breivik sei zurechnungsfähig und gehöre ins Gefängnis, sahen viele kritisch. Schließlich hatte Lippestad seinen Mandanten wenige Tage nach den Attentaten noch als verrückt bezeichnet. Mit ein wenig Abstand sehe er den Mörder nun in einem anderen Licht, sagte Lippestad später.

Am Ende urteilten die Richter in seinem Sinne – und entschieden damit gegen die Staatsanwälte Engh und Holden. Sie hatten auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert, weil sie sich nicht sicher waren, ob Breivik zum Zeitpunkt der Anschläge zurechnungsfähig war oder nicht. „Zweifel über eine Psychose müssen nun einmal einem Angeklagten zugutekommen“, sagte Holden. Es sei wohl schlimmer, einen Geisteskranken ins Gefängnis zu stecken als einen psychisch Gesunden in die Psychiatrie, hatten er und seine Kollegin argumentiert. Ein Schlüsselsatz. Was zähle, sei nicht die Volksmeinung oder das Selbstbild des Attentäters, sondern das norwegische Recht.

Die Vorstellung, dass Breivik deshalb nicht schuldig gesprochen werden könnte, hatte viele an diesem Recht zweifeln lassen. Die Linie der Staatsanwälte aber stieß fast durchweg auf Anerkennung. Unaufgeregt und ohne Pathos argumentierten sie mit klaren Worten. Mit ihrer freundlichen, aber unnachgiebigen Fragetechnik gelang es Engh, Breivik zu entzaubern. Holden, den Kollegen als „sehr zielgerichtet und methodisch“ beschreiben, ergänzte sich gut mit ihr. Am Tag vor den Plädoyers war er es, der bis in die Nacht am Manuskript arbeitete.

„Wir wissen, dass einige enttäuscht sein werden über die Wahl, die wir treffen“, hatte Holden bereits vor dem Prozess in norwegischen Zeitungen vorausgesagt. Unabhängig vom Urteilsspruch würden nie alle Norweger zufrieden sein. Vor allem, weil die Frage nach Breiviks Geisteszustand letztlich doch offenbleiben muss.

Von Theresa Münch