RZ-KOMMENTAR Hartz IV: Ein Brocken wird zerkleinert – mit teuren Folgen

Toller Trick mit Hartz IV: Man muss nur lange genug streiten, mit dem Ende der Verhandlungen drohen, sie lautstark unterbrechen, Nächte durchwachen – irgendwann ist der Brocken zerkleinert und lässt sich trotzdem als großer Fels verkaufen.

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Toller Trick mit Hartz IV: Man muss nur lange genug streiten, mit dem Ende der Verhandlungen drohen, sie lautstark unterbrechen, Nächte durchwachen – irgendwann ist der Brocken zerkleinert und lässt sich trotzdem als großer Fels verkaufen.

Alle sind erleichtert. Vor allem das Publikum. Weil es dieses leidige Thema endlich los ist. Zuletzt war ja völlig unklar, worum es überhaupt geht. Drei, fünf, acht, elf Euro? Warmes Mittagessen, Mindestlohn oder gleiches Gehalt für Leiharbeiter?

Erinnern wir uns: Eigentlich sollte ein Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllt werden: den Hartz-Regelsatz neu berechnen. Vor allem den für Kinder. Deren Ansprüche waren nicht detailliert ermittelt, sondern per geschätztem Pauschalanteil vom Satz für Erwachsene abgeleitet worden. Transparent, sachgerecht und realitätsgerecht solle die neue Berechnung erfolgen. Von einer Erhöhung war nicht die Rede.

Jetzt haben wir ein Bildungspaket, das vielleicht die Kinder aus bildungsfernen Schichten besser integriert und klüger macht. Schön wär’s. Jetzt haben wir eine kleine pauschale Erhöhung, die über das Ergebnis der ersten Neuberechnung hinausgeht (wirklich neu gerechnet oder nur gezockt?). Und der Regelsatz wird an die Lohn- und Preisentwicklung gekoppelt. Er kann also stärker steigen als die Renten – was wohl noch diskutiert wird. Von Transparenz und Realitätsgerechtigkeit war in der Diskussion viel weniger zu spüren als von Geschacher. Am Ende um 3 Euro. „Transparent, sachgerecht und realitätsgerecht“ ausgerechnet? Oder Pi mal Daumen?

Was jetzt als historischer Schritt gefeiert wird, landet wieder vor Gericht. Das ist sicher. Der Ausgang ist ungewiss. Überhaupt nicht ungewiss ist jedoch der Preis für die grandiose Lösung. Der Schlüssel zu dem historischen Schrittchen kostet 4 Milliarden Euro. Pro Jahr. Und mehr. Um diesen Betrag werden die Kommunen entlastet. Der Bund übernimmt schrittweise die Kosten der Grundsicherung für arme Rentner. Klasse, dass Städte und Gemeinden von dieser Last befreit werden. Höchste Zeit. Aber wer übernimmt dann noch mal die Kosten? Der Bund? Eben nicht. Stattdessen bedient er sich bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) – und zwar mit mehr als 12 Milliarden Euro bis 2015 (zuletzt jährlich gut 5 Milliarden, Tendenz steigend). Dieses Geld hat auch die BA nicht auf der hohen Kante. Sie muss noch Schulden abtragen.

Die Konsequenz: Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird steigen müssen – von wegen „mehr Netto vom Brutto“. Alternativ lassen sich aus dem Nürnberger Etat aber sicher noch einige Milliarden herausquetschen, die bislang noch reserviert sind zur Unterstützung von Arbeitslosen. Das wäre dann der perfekte Kreislauf: Die Ärmsten entlasten die Kommunen und finanzieren so den Schlüssel zur Erhöhung ihres Regelsatzes selbst.

E-Mail: joachim.tuerk@rhein-zeitung.net