Februar 2011: Das Grauen des Detlef S.

Im März verurteilte das Landgericht Koblenz Detlef S. zu 14,5 Jahren Haft.
Im März verurteilte das Landgericht Koblenz Detlef S. zu 14,5 Jahren Haft. Foto: dpa

Bis Februar war Fluterschen einfach nur ein beschaulicher Ort im Westerwald. Familienhäuser, Handwerksbetriebe, ein Landgasthof. Doch seither ist alles anders. Der kleine Ort steht für unfassbare Verbrechen. Verbrechen, die einen Namen haben: Detlef S.

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Das Missbrauchsdrama von Fluterschen blieb lange geheim. Es gab Gerüchte, es gab Hilfeschreie, es gab halbherzige Nachforschungen vom Jugendamt des Kreises Altenkirchen. Doch letztlich drang nichts an die Öffentlichkeit.

Detlef S. (49) tyrannisierte gut zwei Jahrzehnte lang seine Großfamilie. Und niemand bemerkte es. Bis seine Opfer ihre Angst überwinden konnten. Bis seine Tochter (19), seine Stieftochter (28) und sein Stiefsohn (28) zur Polizei gingen.

Ende Januar verschickte das Landgericht Koblenz eine Pressemitteilung über den Missbrauchsfall. Kurz darauf berichtete unsere Zeitung erstmals darüber. Was dann kam, war Empörung, war Entsetzen, war Wut – nicht nur in Rheinland-Pfalz, in ganz Deutschland. Alle großen Medien berichteten über den Fall.

Das Drama von Fluterschen ist einer der schlimmsten Missbrauchsfälle in der Geschichte von Rheinland-Pfalz. Medien nannten Detlef S. den „deutschen Fritzl“, weil seine Verbrechen an den Fall des österreichischen Inzesttäters Josef Fritzl erinnern. Der Westerwälder installierte in seiner Familie ein Terrorregime. Gleichwohl ist er auffallend klein, eher unscheinbar und schmächtig. Zu seinem Markenzeichen im Gerichtssaal wurde ein rotes Jackett, das ihm zwei Nummern zu groß war.

Am 22. März verurteilte das Landgericht Detlef S. zu 14,5 Jahren Gefängnis. Nach der Haft kommt er in Sicherungsverwahrung. Laut dem Urteil hat er zwischen 1987 und 2010 162 Missbrauchstaten an seiner Tochter, seiner Stieftochter und seinem Stiefsohn verübt. Seine Töchter vergewaltigte er erstmals, als sie zwölf Jahre alt waren. In Dutzenden Fällen zwang er sie zur Prostitution mit fremden Männern. Mit seiner Stieftochter zeugte er acht Kinder. Inzwischen ist das Urteil rechtskräftig. Der Vorsitzende Richter Winfried Hetger begründete es so: „Detlef S. ist ein grenzenloser Egoist. Er betrachtete seine Familienmitglieder als persönlichen Besitz.“ Er errichtete ein „Gebäude der Angst“, in dem er keinerlei Widerspruch duldete. Er habe seine Kinder massiv eingeschüchtert, bedroht und geschlagen.

Das Gericht wertete alle Missbrauchstaten einzeln und bildete dann eine Gesamtstrafe von 14,5 Jahren. So sieht es das Strafrecht vor. Hätte das Gericht alle Taten einzeln verurteilt und die Strafen addiert, hätte der Familienvater gut 500 Jahre hinter Gitter gemusst. Detlef S. nahm das Urteil hin, so wie er den ganzen Prozess hinnahm: teilnahmslos. Immerhin in seinem letzten Wort nuschelte er: „Es tut mir leid.“

Emotionaler Höhepunkt des Prozesses war der zweite Verhandlungstag. Am Ende hatten viele Prozessbeteiligte Tränen in den Augen. Sandra Buhr, die Anwältin der Tochter, sagte: „Das war das Bewegendste, das ich je erlebt habe.“ Das war passiert: Erst sagte der Stiefsohn von Detlef S. aus, dann dessen Tochter. Gleich zu Beginn sagte sie: „Ich will dem Papa nichts Böses tun!“ Trotzdem erzählte sie, wie er sie zur Prostitution zwang und wie er die Familie regelmäßig schlug. Immer wieder brach sie in Tränen aus. „Ich liebe meinen Vater!“, schluchzte sie. Da unterbrach der Anwalt von Detlef S. den Prozess und sprach mit seinem Mandanten.

Nach einer kurzen Pause erklärte er: „Mein Mandant gibt alle Vorwürfe, die seine Tochter betreffen, zu.“ Das war die Wende im Prozess. Detlef S. hatte erstmals ein Geständnis abgelegt. Später gestand er nach langem Hin und Her auch die Straftaten zulasten seiner beiden Stiefkinder. Am Ende des Prozesstages trafen sich Detlef S. und seine Tochter unter Aufsicht in einem Nebenzimmer. Beide wollten das so. Sie umarmten und verabschiedeten sich. Sie weinte. Er weinte.

Mit dem Urteil war die Aufarbeitung des Missbrauchsdramas noch nicht beendet. Es folgten Prozesse gegen die zwei Männer, denen Detlef S. seine Tochter und seine Stieftochter verkauft hatte. Im Mai verurteilte das Landgericht Koblenz einen Mann (61) aus dem Kreis Neuwied zu neun Jahren Haft. Im August verhängte das Gericht gegen einen früheren Dönerbudenchef (63) aus Altenkirchen eine Haftstrafe von drei Jahren und zehn Monaten.

Von unserem Gerichtsreporter Hartmut Wagner

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