Koblenz

Zwanziger zur Schiedsrichter-Affäre: Schwarze Schafe gibt es überall

Kritik
DFB-Präsident Theo Zwanziger.  Foto: DPA

Die Steueraffäre um deutsche Spitzen-Schiedsrichter weitet sich aus. Auch Michael Kempter ist nach der pikanten Sex-Affäre mit dem einstigen Schiedsrichter-Boss Manfred Amerell erneut ins Visier der Ermittler geraten. DFB-Präsident Theo Zwanziger gibt im Interview mit unserer Zeitung an, erst seit April dieses Jahres zu wissen, dass Kempter wegen Steuerhinterziehung vorbestraft ist.

Lesezeit: 5 Minuten
Anzeige

Mit Blick auf die rund 20 verdächtigen Unparteiischen glaubt der DFB-Boss, dass „bei den allermeisten überhaupt nichts herauskommen wird“. Was die nach wie vor schwelende Affäre Amerell/Kempter betrifft, erhofft sich Zwanziger von einem Vermittlungsverfahren eine „wie auch immer geartete Einigung“. Hier das Interview im Wortlaut:

Der Fall Hoyzer, die Affäre Amerell/Kempter, jetzt der Verdacht der Steuerhinterziehung bei möglicherweise 20 Schiedsrichtern – haben Sie nicht allmählich das Gefühl, von Ihren Unparteiischen ins aktive Abseits gestellt zu werden?

Nein, das habe ich generell nicht, denn unsere Schiedsrichter erbringen ja auch durchaus gute Leistungen. Es gibt im Fußball aber immer Dinge, die im wahren Leben auch passieren. Soweit zeigt sich wieder einmal, dass unser Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Im Guten wie im Unangenehmen. Schwarze Schafe gibt es überall.

Wieder taucht der Name Michael Kempter auf. Ein Mann, über den Sie stets die Hand gehalten haben. Macht Sie das nicht wütend? Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Vertrauen missbraucht wurde?

Nein, überhaupt nicht, weil Ihre Annahme nicht stimmt, dass ich über ihn die Hand gehalten habe oder halte. Vielmehr habe ich einen Vorgang aufzuklären gehabt, in dem Kempter die Rolle des Anzeigenden spielte und Herr Amerell derjenige war, der seine Pflicht verletzte. Es werden hier einige Dinge nicht sauber genug voneinander getrennt, zum Teil werden auch bewiesene und nicht bewiesene Sachverhalte durcheinandergebracht. Man muss zunächst, wenn man das Ganze erfassen will, über die Fehler von Herrn Amerell reden. Und dann über das, was mit Kempter zu geschehen hat. Diese beiden Dinge sind zwar faktisch miteinander verbunden gewesen, sie sind aber strafrechtlich und sportrechtlich voneinander sauber zu trennen.

Neu in der Causa Kempter ist, dass dieser Schiedsrichter bereits 2009 wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde und damit als vorbestraft gilt. Seit wann wusste der DFB von diesem Sachverhalt?

Dazu muss ich etwas tiefer in die Affäre Amerell/Kempter eintauchen. Bei Amerell steht einwandfrei fest, dass er seine Pflichten als hoher Schiedsrichter-Funktionär beim DFB verletzt hat. Hier steht lediglich noch das Verfahren vor dem DFB-Sportgericht aus, das darüber befinden muss, ob und wie lange Amerell beim DFB keine Ämter ausüben darf. Kempter ist in einer völlig anderen Situation.

Er war Abhängiger und nicht der Entscheider. Amerell versucht, Kempter mit Vorwürfen diverser Pflichtverletzungen aus seiner Laufbahn zu drängen. Über die Tragweite dieser Vorwürfe kann erst befunden werden, wenn wir alle Mosaiksteinchen zusammengetragen haben und sich daraus ein Gesamtbild ergibt. Wir setzen deshalb Kempter aktuell und seit einiger Zeit nicht als Schiedsrichter ein. Wir beobachten, welche Anschuldigungen wahrheitsgemäß sind und welche nur Rachegelüste bedienen.

Wir können nur auf der Grundlage gefestigter Sachverhalte zu einer Entscheidung kommen. Bei Kempter müssen wir abwarten, bis wir letzte Klarheit über seine Verhaltensweisen haben. Um Ihre Frage zu beantworten: Von dem Vorgang der Steuerhinterziehung wissen wir beim DFB seit April dieses Jahres. Zu einem Zeitpunkt also, an dem gar keine Entscheidung darüber anstand, ob Herr Kempter, der im April 2010 sein bislang letztes Spiel gepfiffen hat, zu einem möglichen späteren Zeitpunkt noch mal zum Einsatz kommt. Im Moment ist dieser Vorgang für uns irrelevant. Er wird aber sicher bei der abschließenden Persönlichkeitsbeurteilung von Kempter eine Rolle spielen.

Das ist die justiziable Seite der Medaille. Natürlich hat ein so großer Verband mit Vorbildfunktion wie der DFB auch die moralische Seite zu beachten. Kempter wäre sicher nie 2009 zum Fifa-Referee berufen worden oder 2010 wieder als Drittliga-Schiedsrichter infrage gekommen, hätten Sie seinerzeit von dieser Vorstrafe schon gewusst ...

Diese beiden Dinge dürfen Sie nicht miteinander vermischen. 2009 wurde Kempter in sehr jungen Jahren Fifa-Schiedsrichter. In einem Alter, in dem man sich durchaus fragen kann, ob da nicht andere Dinge eine Rolle gespielt haben könnten.

Dinge, von denen Sie zum damaligen Zeitpunkt nichts wussten?

Ich habe von der Beziehung Amerell und Kempter nichts geahnt, hätte sie auch nicht für möglich gehalten. Ich war damals für das Schiedsrichterwesen nicht unmittelbar zuständig, dieser Bereich war dem DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch zugeordnet. Ich sehe in dieser Beziehung von Amerell zu jungen Schiedsrichtern und in der Tatsache, dass diese nicht bemerkt wurde, den eigentlichen Skandal. Denn damit war es möglich, über mehrere Jahre eine korrekte und objekte Leistungsbeurteilung junger Schiedsrichter durch intime Beziehungen mit dem Verantwortungsträger in Zweifel zu ziehen.

Wobei die Entscheidung, Kempter zum Fifa-Schiedsrichter zu machen, schon in Ihre Amtszeit fiel ...

Absolut. Als ich diese Anzeige bekam (Anzeige von Manfred Amerell an Michael Kempter und drei weitere Schiedsrichter wegen Verleumdung vom März 2010, Anm. d. Red.), ist gehandelt worden. Amerell ist nicht mehr im Amt.

Vorher hat niemand Verdacht geschöpft?

Da müssen Sie den fragen, der vorher für die Schiedsrichter verantwortlich war.

Sie sind jetzt also dabei, den Augiasstall auszumisten ...

Der ist zunächst mal schon ausgemistet. Denn derjenige, der Fehler gemacht hat, ist nicht mehr im Amt. Statt Einsicht zu haben, dass er seine Amtspflicht verletzt hat, verfolgt Amerell jetzt allerdings andere Ziele.

Sie haben natürlich keine Handhabe gegen Amerells Rachegelüste ...

... die regen mich auch gar nicht auf. Die habe ich erwartet, und als Menscht tut er mir nur noch leid. Deswegen hat der DFB ja auch schon vor einigen Monaten ein Mediationsverfahren eingeleitet. Wir haben in Professor Wolfgang Huber einen Theologen eingeschaltet, weil wir die menschliche Verquickung in dieser Causa sehen.

Was erhoffen Sie sich von dieser Mediation?

Nachdenken darüber, ob zwei Menschen, die sich doch einmal ganz gut verstanden haben, wieder in einer vernünftigeren Form miteinander umgehen können. Zumindest aber die Hoffnung, dass, wenn noch Schlimmeres passiert, uns keiner den Vorwurf machen kann, wir wären unsensibel gewesen und hätten nicht alle Möglichkeiten zur Vermittlung ausgeschöpft.

Was könnte denn Ihrer Meinung nach noch Schlimmeres passieren?

Amerell hat schon zu Beginn der Affäre einmal gesagt, dass er sich in Gedanken manchmal auf den Gleisen sieht. In einem späteren Gerichtsverfahren soll er Kempter etwas angedroht haben, so heißt es. Der Fall ist sensibler, als mancher denkt.

Und das hoffen Sie, durch die Mediation verhindern zu können?

Wir müssen zumindest doch jeden Versuch starten, dass es hier zu einer irgendwie gearteten Einigung kommt oder eben das Schlimmste verhindert wird. Daran arbeiten wir jetzt seit vier Monaten.

Befürchten Sie, dass Amerell noch mit anderen unliebsamen Dingen an die Öffentlichkeit geht?

Nach allem, was bislang geschehen ist, kann ich das beim besten Willen nicht ausschließen.

Es könnte demnächst weitere gute Gründe geben, mit dem Ausmisten fortzufahren. Eine Schutzsperre kommt für Sie nicht infrage?

Nein, weil es zunächst einmal private Vorgänge sind. Zudem sind Verdacht und Beweis noch lange nicht das Gleiche. Ich gehe davon aus, dass bei den allermeisten Fällen eher wenig oder überhaupt nichts herauskommen wird. Im Moment belastet mich dieser Sachverhalt weniger. Wir warten ab, bis uns die Finanzämter ihre Entscheidungen übermitteln – wenn wir die bekommen. Es gibt ja so etwas wie ein Steuergeheimnis. Ich gehe aber davon aus, dass die Schiedsrichter selbst ein Interesse daran haben, uns über diese Angelegenheit zu informieren.

Das Gespräch führte unser Redakteur Klaus Reimann