50. Berlin-Marathon
13 Weltrekorde und Verrückte, die durch die Stadt rennen
Berlin (dpa). Der alte Herr mit der Sonnenbrille und dem unüberhörbaren Berliner Akzent erklärt den Besuchern alle Einzelheiten aus 50 Jahren Berlin-Marathon. Im temporären Pavillon am Brandenburger Tor, in dessen Nähe an diesem Sonntag (9.15 Uhr/RTL) wieder das Ziel nach 42,195 Kilometern sein wird, wird die bewegte Geschichte der Veranstaltung erzählt. Horst Milde kennt sich aus, der 85-Jährige ist sozusagen der Vater der größten deutschen Laufveranstaltung.
Nie hätte sich der langjährige Organisator träumen lassen, was einmal aus dem Volksmarathon wird, der 1974 erstmals im Berliner Grunewald stattfand, damals mit 286 Laufbegeisterten. «Es war eine andere Welt, alles war anders. Wir sind einsam gelaufen, es war kaum jemand vor Ort», erzählte die erste Siegerin Jutta von Haase in dieser Woche. Zudem sie sei als laufende Frau von vielen belächelt worden, auch abfällige Kommentare habe es gegeben.
Verbindung zum lieben Gott?
Für das Jubiläum gibt es mehr als 58.000 Anmeldungen, an den Straßen werden wieder hunderttausende Zuschauer erwartet. «Das kann keiner erwarten oder drauf aus sein», sagte Milde nun zur Entwicklung im vergangenen halben Jahrhundert. «Bei den Weltrekorden, die hier jelaufen wurden, wurde auch immer jesagt, wir haben eine Verbindung zum lieben Jott.» 13 Marathon-Bestmarken – so viele wie sonst nirgends – gab es in Berlin.
Siebenmal fand das Rennen zunächst im Grunewald statt – zu Mauerzeiten, in denen im Westteil des geteilten Berlin Amerikaner, Briten und Franzosen als alliierte Siegermächte das letzte Wort hatten und sich auch im Ostteil Volksläufe etablierten.
Polizei wollte keinen Marathon durch die Stadt
Die französische Armee veranstaltete bereits einen 25-Kilometer-Lauf mit Start und Ziel im Olympiastadion, Milde wollte diesem Vorbild mit dem Marathon nacheifern. Dem damaligen Polizeipräsidenten wurde er mit dem Satz vorgestellt: «Da drüben sitzt ein Verrückter – der will durch die Stadt rennen.» Alles dokumentiert, betonte Milde auch jetzt. Er wollte einen Lauf, der vorbei am Checkpoint Charlie führt, heute ein Muss für viele internationale Berlin-Touristen, damals im Bezirk Kreuzberg ein Grenzübergang in der geteilten Stadt, der unter anderem für Diplomaten ständig passierbar sein musste.
Milde stieß auf Widerstand, der findige Konditormeister und Leichtathletik-Chef des SC Charlottenburg bekam schließlich entscheidende Hilfe von John Kornblum, dem späteren US-Botschafter in Deutschland. Und so machten sich am 27. September 1981 dann 3.486 Läuferinnen und Läufer aus 30 Nationen auf den Weg zum Ziel nahe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Kurfürstendamm.
Brandenburger Tor als Fixpunkt
Jahrelang wurde vor dem Reichstag gestartet, nach dem Mauerfall dann wenige Tage vor der offiziellen Wiedervereinigung 1990 erstmals durch das Brandenburger Tor gelaufen – aus diesem historischen Anlass waren es damals fast 25.000 Starterinnen und Starter. Im späteren Marathon-Star Uta Pippig gewann passenderweise eine ostdeutsche Läuferin. «Wir waren voller Emotionen, dass wir durchs Brandenburger Tor rennen durften», erzählte Pippig (59) und ist auch 34 Jahre später noch berührt davon. «Wir hatten dieses unglaubliche Wir-Gefühl. Wir konnten durch beide Teile der Stadt rennen, das war eine wahnsinnige Feier.»
All dies und viel mehr kann Milde seinen Zuhörern in unmittelbarer Nähe des Berliner Wahrzeichens referieren, durch das am Sonntag möglichst erstmals mehr als 50.000 Menschen zum Ziel rennen sollen. Das jedenfalls wünscht sich der heutige Geschäftsführer Jürgen Lock. «Ich denke, das werden wir auch hinkriegen», sagte Lock am Donnerstag.
Wertschöpfung im dreistelligen Millionenbereich
Es ist bei 205 Euro Startgebühr plus Anreise und zumeist Übernachtung für auswärtige Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht billig, die Quälerei auf sich zu nehmen. Die internationale Strahlkraft des Berlin-Marathons ist indes enorm. Die Fernsehübertragung, die in diesem Jahr hierzulande erstmals RTL übernimmt, beschert der deutschen Hauptstadt alljährlich eine spektakuläre Werbung. Einer Studie aus dem Jahr 2018 zufolge soll die Wertschöpfung durch den Marathon-Tourismus bei rund 380 Millionen Euro liegen. Lock betonte nun, dass damals aber noch wesentlich geringere Kosten zum Beispiel für Hotels angefallen seien.
Anders als in vielen vergangenen Jahren ist diesmal wenige Wochen nach den Olympischen Spielen kein ganz großer Name am Start. Asse wie Haile Gebrselassie und Eliud Kipchoge haben für mehrere Weltrekorde auf der flachen Strecke gesorgt. Im vorigen Jahr sorgte die Äthiopierin Tigst Assefa mit 2:11:53 Stunden für einen Fabelrekord. Eine weitere Bestmarke – auch eine deutsche – wäre diesmal eine Überraschung.
Ebenfalls nicht dabei ist diesmal der deutsche Rekordler Amanal Petros, der wie Kipchoge bei Olympia angeschlagen aufgab. Petros saugte dieser Tage ein bisschen die Stimmung auf. «Ich habe das Gefühl, der Berlin-Marathon ist wie eine Weltmeisterschaft, das ist so bunt, das ist so schön, das ist nicht wie ein Volkslauf», sagte Petros 50 Jahre nach dem damaligen Volksmarathon im Grunewald.
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