SP-X/Köln. Die Batterie hat beim schweren Lkw das Rennen gegen die Brennstoffzelle gewonnen. Und setzt nun an, dem Dieselmotor ernsthafte Konkurrenz zu machen. Bis Ende des Jahrzehnts könnte sich der Elektro-Truck auf vielen Strecken und bei zahlreichen Anwendungen durchgesetzt haben. Ein paar Hindernisse gilt es aber noch zu überwinden.
Aktuell läuft es ganz gut für die Elektro-Lkw in Europa. Während der Gesamtmarkt für schwere Nutzfahrzeuge um 5,54 Prozent auf knapp 180.000 Einheiten geschrumpft ist, haben die Zulassungen batterieelektrischer Trucks um knapp 70 Prozent zugelegt. 2.937 Einheiten sind nach Berechnungen des Datendienstleisters Dataforce seit Januar in EU und EFTA zugelassen worden. Davon waren 777 schwere Sattelschlepper, wie sie im Güterverkehr über lange Strecken eingesetzt werden. Gut 2.000 der E-Lkw fallen in die Gewichtsklasse über 18 Tonnen.
Damit rückt der E-Antrieb auch bei schweren Nutzfahrzeugen in die Mitte der Gesellschaft: Lange Zeit war er vor allem bei Transportern, und bei Kommunal- und Baustellenfahrzeugen gängig, die nur kurze Strecken zurücklegen und immer in der Nähe einer Ladestromquelle bleiben. Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Großteil der Elektro-Lkw-Zulassungen konzentriert sich auf wenige Länder. Deutschland liegt dabei mit 809 Einheiten im laufenden Jahr deutlich vor den Niederlanden (368) und Frankreich (285). Vor allem in Osteuropa ist der E-Truck noch ein Exot, viele Länder kommen nach sieben Monaten grade einmal auf einstellige Neuzulassungen.
Kaum eine Rolle bei der Elektrifizierung des Lkw spielt hier wie dort die Wasserstoff-Brennstoffzelle, die lange Jahre als aussichtsreiche Alternative zum Batterie-Truck galt. Gerade einmal 27 Neuzulassungen europaweit zählt Dataforce für das laufende Jahr. Die H2-Technik verharrt im Labor-Status, während die reinen Akku-Fahrzeuge langsam auf den Straßen sichtbar werden. Das dürfte einer Umfrage des Öko-Instituts zufolge auch so weiter gehen: „Die fünf befragten Nutzfahrzeughersteller – die zusammen etwa 90 Prozent des europäischen Nutzfahrzeugmarkts abdecken – erwarten einen schnellen Markthochlauf und eine zukünftige Dominanz von batterieelektrischen Lkw im Straßengüterverkehr“, heißt es in dem Papier. Bis zum Ende des Jahrzehnts rechnen die Experten mit einem Marktanteil von 50 Prozent an den Neuzulassungen. Für Wasserstoff-Mobilität sehen sie lediglich in Nischenmärkten und Spezialanwendungen eine Chance. „Ein einzelner Hersteller nennt ein langfristiges Marktpotenzial von wasserstoffbetriebenen Lkw in der Größenordnung von 10 bis 20 Prozent.“
Auch auf der IAA Transportation in Hannover ist ein Übergewicht der Batterie-Lkw zu sehen. Bei Daimler Truck, Iveco, MAN und Volvo stehen schwere Elektro-Lkw mit dicken Akku-Paketen auf den Messeständen. Etwa der neue Mercedes e-Actros 600, der es mit einer Akku-Ladung 500 Kilometer weit schaffen soll. Noch einmal 100 Kilometer weiter will Volvo mit dem FH Aero Electric kommen, der für das kommende Jahr angekündigt ist. Das Reichweitenproblem ist damit zumindest in der Breite gelöst. Bislang war das eher nicht der Fall. „Aus Sicht des Fahrpersonals sind mehr als 300 Kilometer Reichweite erforderlich, um die heute üblichen Einsatzmuster der Fernverkehrs-Lkw unter Berücksichtigung der Vorgaben zu Lenk- und Ruhezeiten beibehalten zu können“, so Gernot Liedtke, Leiter der Abteilung Wirtschaftsverkehr vom Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Mit den 600 Kilometern bei Volvo ist das Ende der Entwicklung trotzdem noch nicht erreicht. So prognostiziert die Unternehmensberatung Strategy& für die nächsten fünf Jahre einen Reichweitensprung auf bis zu 900 Kilometer. Gleichzeitig verdreifacht sich die durchschnittliche Ladegeschwindigkeit auf 1.200 kW, so die Experten. Mehr Reichweite und höhere Leistungen an der DC-Säule mindern auch ein wenig den Druck beim Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur. Der ist lange Zeit verschleppt worden, nimmt erst seit kurzem Fahrt auf. Gerade hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Lkw-Ladenetzoffensive die Ausschreibung für Schnellladeinfrastruktur an 130 unbewirtschafteten Rastanlagen gestartet, bewirtschaftete Raststätten sollen folgen.
Die öffentlichen Ladepunkte sind nicht zuletzt für die Akzeptanz des E-Lkw nötig, auch wenn viele Experten annehmen, dass der Großteil des Ladens – allein aus Kostengründen – in den Depots von Speditionen und Umschlagzentren stattfinden wird. „Zusätzlich brauchen wir je nach Marktentwicklung und Pausenzeiten zwischen 1.000 und 2.000 Megawatt-Ladepunkte bis 2030 in Deutschland“, so Patrick Plötz vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Vor allem, um Fernverkehrs-Lkw während der Fahrer-Ruhezeiten oder über Nacht aufzuladen. Nicht überall steht kurzfristig die notwendige Netzanschlussleistung zur Verfügung, aber an vielen Orten könnten laut Plötz zeitnah schon einige Elektro-Lkw geladen werden. Langfristig wird es ohne den Ausbau der Stromnetze vor allem im Hoch- und Mittelspannungsbereich und den Bau neuer Transformatoren aber wohl nicht gehen.
Auch bei den Gesamtkosten hat der E-Lkw noch ein paar Aufgaben zu lösen. Während für Pkw-Käufer auch weiche Kategorien wie Image, Design und Komfort eine Rolle spielen, regelt beim Lkw-Käufer allein der Rechenschieber die Auswahl. Der E-Lkw geht dabei immer mit einem Nachteil in die Berechnung der sogenannten Gesamtbetriebskosten (TCO, „Total Cost of Ownership“), liegen die Anschaffungskosten doch deutlich über denen eines Lkw mit Verbrennungsmotor. Aktuell kostet ein Batterie-Truck noch zwei- bis dreimal so viel wie der vergleichbare Diesel.
Hereinholen müssen sie die Differenz vor allem über geringere Energiekosten. „Bei Nahverkehrs-Lkw ist hinsichtlich der TCO inzwischen Kostenparität mit herkömmlichen Lkw gegeben. Hierbei handelt es sich vorrangig um leichte Nutzfahrzeuge. Da sie oft an einem zentralen Standort – zum Beispiel im Depot, von wo sie ihre täglichen Touren starten – geladen werden können“, so Liedtke. Fernverkehrs-Lkw hingegen sind mit E-Antrieb bislang in der Gesamtschau meist noch teurer als Diesel-Modelle. Liedtke glaubt, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis sich die Kosten in allen Einsatzbereichen ausgeglichen haben. Schneller könnte es an den Hauptläufen des internationalen Güterverkehrs gehen, wo teilweise auch zu günstigeren Strompreisen im Ausland geladen werden kann.
Mit einem Kostenvorteil für den E-Lkw rechnen viele Experten gegen Ende des Jahrzehnts. Treiber könnten dabei geringere Komponentenkosten, immer günstigere Batterien, attraktive Ladetarife und eine gute Verfügbarkeit von Ladestationen an den Autobahnen sein – und auch staatliche Förderprogramme. Die Kosten für die Antriebsstränge gehen einer Prognose von Strategy& bis 2030 um etwa 10 Prozent zurück. Batterie-Lkw könnten dann wirtschaftlich sinnvoll im Fernverkehr und auf Linienverbindungen zwischen Logistik-Hubs eingesetzt werden.
Entsprechend optimistisch sind die Prognosen der Unternehmensberater: „Weltweit jeder fünfte Bus und Lkw wird demnach im Jahr 2030 batterieelektrisch angetrieben werden. Zehn Jahre später sind voraussichtlich bereits 90 Prozent des Transports elektrifiziert.“ Getrieben wird die Entwicklung dabei nicht zuletzt von den Regierungen. Bis 2030 müssen europäische Hersteller die Emissionen ihrer Trucks um etwa 45 Prozent im Vergleich 2019 reduzieren, bis 2040 sogar um 90 Prozent. Zugleich greifen in Europa bis 2030 punktuell City-Fahrverbote für konventionelle Lkw. Ähnliche Vorgaben gibt es auch in den USA und China, wo ebenfalls 2030 das Jahr der spürbaren Verschärfungen ist.
Die Fahrzeuge sind da, die Regeln stehen. Nun müssen noch Infrastruktur und Kostenstrukturen nachziehen. Sollte das gelingen, könnten die E-Lkw ihre Pkw-Pendants trotz des späten Starts noch bei der Elektrifizierung überholen.