Koblenzer Galerie Laik zeigt in einer Einzelausstellung neue Bronzen und Bilder von Titus Lerner
Demaskierende Kunst oder: Die Last der Doppelgänger – Koblenzer Galerie Laik zeigt neue Werke Titus Lerners
Neue Bronzen Titus Lerners, diese zeigt Ikarus in Aktion, finden sich in der Ausstellung ebenso wie das Bild eines Mannes, der Kreise in den Sand zeichnet.
Lieselotte Sauer-Kaulbach

Maskierung und Demaskierung: Sie sind seit Langem ein zentrales Motiv im grafischen, malerischen und bildhauerischen Werk des 1954 in Hachenburg (Westerwald) geborenen Titus Lerner. Ein Motiv, das sich dieser Tage auch im Altenhof 9 in Koblenz in auffälliger Häufung findet. Denn ebendort zeigt die Galerie Laik noch bis März 2023 neue Arbeiten des Künstlers, in denen sich neben Altbewährtem auch einige ganz neue Züge erkennen lassen.

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Neue Bronzen Titus Lerners, diese zeigt Ikarus in Aktion, finden sich in der Ausstellung ebenso wie das Bild eines Mannes, der Kreise in den Sand zeichnet.
Lieselotte Sauer-Kaulbach

Exemplarisch für besagtes Motiv steht eine große Bronzeplastik, die sich dem Besucher gleich beim Betreten des Raumes entgegenstellt. Es ist eine menschliche Figur, die eine große Maske in der Hand hält – wobei bewusst nicht klar wird, ob sich dahinter Maskierung oder Demaskierung verbirgt. „Was wir von den Masken über den Menschen lernen“, schreibt der Kulturwissenschaftler Jan Assmann in einem Essay, „ist die Einsicht, dass der Mensch das Wesen ist, das sich verdoppelt, das mit dem einen Körper, der ihm gegeben ist, nicht auskommt.“

Die Maske stehe, so Assmann weiter, für den Entwurf oder die Annahme einer zweiten Identität, für die Teilung zwischen einem privaten und einem öffentlichen Ich, einem wandelbaren und einem fixierten, gemachten Ich, einem als wahr empfundenen und einem konventionellen, äußerlich determinierten Ich. Deshalb sei der Mensch als soziales Wesen ein Masken-Ich, ein Doppelgänger seiner selbst.

Ausbruch aus der doppelten Identität

Doppelgänger, das sind bei Titus Lerner, ob nun in der Bronzeplastik oder im mit Acrylfarben pastos gemalten Bild, stets Figuren, die unter ihrer Maskenhaftigkeit zu leiden scheinen, die sich von ihrer Maske offenbar befreien und aus ihrer doppelten Identität ausbrechen wollen. Und das ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen, denn in einer Bronze durchbricht beispielsweise eine Figur regelrecht ihre doppelgängerische Hülle, wirft die beiden Hälften weit von sich.

Auffällig ist dabei nicht nur in dieser Arbeit, dass die neueren Plastiken Lerners glatter, harmonischer geworden sind, ohne die heftigen Spuren der formenden, Geschaffenes teilweise schon beinahe wieder zerstörenden Hand, die den früheren Figuren des Künstlers oft etwas Kreatürliches, Verletztes, zumindest Verletzliches verliehen.

Von Ikarus bis Sisyphos

Und sind letztlich nicht auch die Götter, die sich der Mensch erschafft, die etliche der Figuren in Lerners Bildern in Händen und auf Sockeln halten, kaum mehr als eine andere, eine zweite, vielleicht zunächst verlockend erscheinende Identität? Träger einer Rolle, bei der man zu spät merkt, dass sie zur Last, zum Zwang, zum selbst geschaffenen Korsett werden könnten, weshalb es schwierig scheint, sie wieder loszuwerden? Möglich ist die Befreiung hiervon dann allenfalls noch in einem beinahe gewalttätigen Akt, sodass die Götter und Geister, die wir riefen, halt- und ziellos um den Menschen herwirbeln – wie auch in einem großformatigen Bild in der Ausstellung.

Dass sich schon unter den frühen Grafiken des Künstlers und ebenso unter den neuen Bronzen mythologische Gestalten wie Ikarus oder Sisyphos finden, ist derweil nur konsequent. Gestalten, die wie der mit künstlichen Flügeln himmelwärts strebende Jüngling einerseits für verderbliche und verwerfliche menschliche Hybris stehen, die andererseits aber auch Urbild des rebellischen Frevlers sind wie der zum ewigen und aussichtslosen Steinewälzen verdammte, Menschen und Götter gleichermaßen verachtende Sisyphos. Wer Titus Lerner näher kennt, weiß, dass auch in ihm ein gewisser rebellischer Geist schlummert, der sich in der Vergangenheit mehrfach in künstlerischen Aktionen wie der Versenkung einiger Terrakotten in der Mosel Bahn brach.

Überwältigende Gesichter

Mag sein, dass sich, ob Resignation oder Altersweisheit, dieser revolutionäre Geist inzwischen ein wenig beruhigt hat. Ähnlich wie bei den Menschen seiner Bilder, die sich gegen die Außenwelt abschotten, ihr eng zusammengekauert den Rücken zukehren oder wie die männliche Figur in einer von strahlendem Gelb beherrschten Arbeit mit Stöckchen ihren Kreis in den Sand zeichnet, dessen Grenze zu übertreten verboten ist.

Das „Noli turbare circulos meos“, das „Störe meine Kreise nicht“ des Physikers und Mathematikers Archimedes von Syrakus findet hier überzeugenden bildlichen Ausdruck. Es sei denn, Lerner stört diese Kreise, diese um sich kreisende Ruhe selbst in seinen in beinahe grellen Farben regelrecht explodierenden, flirrenden, expressionistisch angehauchten Gesichtern, die die Ausstellungsbesucher in der kleinen Galerie schier überwältigen.

Die Ausstellung in der Galerie Laik, Altenhof 9, ist bis März 2023 zu sehen, jeweils montags bis samstags von 11 bis 18 Uhr.