Langweiler/Berlin (dpa/lrs) – Es sind erschreckende Schilderungen von Betroffenen, die vor Jahrzehnten als Kinder im einstigen Kindererholungsheim in Langweiler im Hunsrück waren. Nonnen befahlen ihnen, den Teller leerzuessen, auch wenn sie erbrachen. Im Schlafsaal waren Reden und Umdrehen im Bett verboten. Wer nicht gehorchte, bekam Schläge auf den nackten Po, mit einem Stock oder einer Nadel in der Hand.
Nach Vorwürfen über mutmaßliche Kindesmisshandlungen hat die Kongregation der Marienschwestern mit Sitz in Berlin vor rund einem Jahr eine Aufarbeitung in Gang gesetzt. Nun hat als beauftragte Ansprechperson für die Betroffenen die Berliner Theologin Barbara Kreichelt einen Bericht vorgelegt, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Kindererholungsheim schloss 1988
Insgesamt haben sich demnach 34 Menschen gemeldet, die damals in dem Kindererholungsheim gewesen waren. 27 erinnerten sich grundsätzlich negativ, sieben positiv. Fragebögen wurden von 23 Personen beantwortet. Das Heim wurde von 1951 bis 1988 von den Marienschwestern geführt.
Zwischen 900 und 1.000 Kinder hielten sich pro Jahr laut Bericht in Langweiler auf, Ziel war die Erholung der Kinder. Bis 1980 seien rund 29.000 Mädchen und Jungen für einen Zeitraum von vier Wochen bis zu einem Jahr untergebracht gewesen. Für die Jahre 1980 bis 1988 gebe es keine Zahlen. Die Kinder seien damals zwischen fünf und zwölf Jahren alt gewesen.
«Erholung in Langweiler» hieß unter anderem, dass die Kinder «aufgepäppelt» werden sollten, weil sie zu dünn waren – was wohl auch zu der beschriebenen Ernährung der Betroffenen geführt habe: viel Zucker, viel Milch und Grießbrei, Pudding, aber auch Schmalz, Speckknödel und «durchgedrehte dicke Suppen».
Auch Erbrochenes musste gegessen werden
«Zu essen gab es morgens und abends Schmalzbrote und mittags Kartoffeln mit Specksoße», berichtete ein Betroffener in dem gut 60-seitigen Papier. «Viele haben das fettige Essen nicht vertragen und erbrachen sich über den Tisch.» Alle hätten weiter essen müssen, niemand habe aufstehen dürfen. Ein anderer erzählte, er habe auch sein Erbrochenes essen müssen.
Es gibt auch Schilderungen über starkes Heimweh und persönliche Demütigungen durch die Nonnen: «Ich hatte sechs Wochen Todesangst. (...) Ich habe viel geweint», hieß es. Manche Kinder mussten demnach auch nachts in der Ecke stehen oder wurden vor anderen Kindern wegen ihrer Schwächen lächerlich gemacht, hieß es.
Manche spüren Folgen bis heute
Einige der Betroffenen leiden nach eigenen Aussagen bis heute unter den Folgen des damaligen Aufenthalts. «Meine seelischen Schmerzen kann mir keiner nehmen», schreibt einer. Eine andere berichtet, sie könne bis heute weder Käse noch Quark oder Joghurt mehr essen. Sie sei froh, «dass jetzt mal alles aufgedeckt wird».
Es gibt aber auch positive Stimmen in dem Bericht: Er habe eine Schwester «als sehr nett» in Erinnerung, schrieb einer. Man sei oft im Wald- und Wiesengelände zum Spiele gewesen und habe in einem Bach nach Achat-Steinen gesucht. Von Züchtigungen habe er nichts mitkommen, so ein anderer.
Bis auf eine hochbetagte Schwester seien alle Nonnen, die in dem Heim im Kreis Birkenfeld gearbeitet hätten, inzwischen tot. Zur deutschen Region der Kongregation gehören laut Bericht heute noch 30 Schwestern. Die meisten seien über 80 Jahre alt.
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