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Kevin Kühnert (SPD): „Das Menschenbild unseres Sozialstaates“
Der Generationenvertrag ist eine Art Leitidee unseres Zusammenlebens. Er steht als Symbol dafür, dass Generationen sich gegenseitig in allen Lebenslagen absichern. Nicht jeder für sich in der eigenen Familie, sondern wir alle zusammen als Gesellschaft. Die Jüngeren werden dabei in eine demokratische, offene und friedliche Gemeinschaft hineingeboren, erhalten Bildung, Erziehung und Aufstiegschancen. Für die Älteren sichert der Generationenvertrag den Lebensstandard, organisiert Respekt, Teilhabe und wo nötig auch Pflege und gesundheitliche Versorgung. Getragen wird das System durch die Generation dazwischen. Sie stehen mitten im Leben, arbeiten und mehren den Wohlstand der Gemeinschaft. Sie tun das in der Annahme, dass es ihnen beizeiten mit Solidarität zurückgezahlt wird. Dieses System funktioniert nicht perfekt, aber überwiegend doch ganz gut. Und ja: Dieses System wird angegriffen. Aber doch nicht durch Rentner, die nach 35, 40 oder 45 Beschäftigungsjahren ein bisschen mehr Respekt vor ihrer Lebensleistung einfordern. Angegriffen wird der Generationenvertrag durch Bildungsgebühren, durch immer mehr prekäre Beschäftigung beim Berufseinstieg oder durch den rücksichtslosen Raubbau an unserer Natur. All das widerspricht dem Versprechen wechselseitiger Solidarität. Doch Schuld daran sind nicht meine Großeltern und ihre Freunde. Schuld daran sind Politiker und Unternehmensspitzen jeden Alters, die Solidarität für eine stark juckende Hautkrankheit halten, die man schnell loswerden muss. Der Kampf um den Generationenvertrag wird also nicht zwischen Generationen geführt, sondern zwischen unterschiedlichen politischen Weltanschauungen – Solidarität versus Eigensinn.
Diejenigen, die jetzt empört nach Gerechtigkeit für die Jüngeren rufen, habe ich noch nie bei Demos gegen Studiengebühren, für einen Azubimindestlohn oder bei den freitäglichen Klimademos Tausender Schüler gesehen. Ich weigere mich, qua Alter mit ihnen gemeinsam als Interessengruppe betrachtet zu werden. Ihre Egoismus-Rhetorik spaltet unsere Gesellschaft. Bei der Respektrente geht es um die Rentner, die im Winter nicht selten in zwei von drei Räumen die Heizung abstellen, um von den gesparten Energiekosten den Enkeln etwas zustecken zu können. Die meisten von ihnen sind Frauen. Ausgerechnet eine Debatte um deren Renten zum Aufhänger für eine gesellschaftliche Gruppentherapie zur Generationenfrage zu nutzen, darauf muss man wirklich erst mal kommen.
Die Union schlägt vor, man könne das doch alles mit einer sogenannten Bedürftigkeitsprüfung versehen. Die betroffenen Rentner würden dann nicht automatisch unterstützt, sondern müssten das beim Grundsicherungsamt beantragen. Sie sollen also als Bittsteller zum Staat kommen, weil sie eventuell über Vermögen verfügen. Christian Lindner (FDP) benutzt gern das Beispiel einer Person, die 5 Millionen Euro geerbt habe und dann natürlich nicht mehr zusätzlich beschenkt werden müsse. In der FDP mag das Erben von 5 Millionen Euro ja weit verbreitet sein. Unter teilzeitbeschäftigten Kassierern und langjährigen Lageristinnen scheint mir das jedoch, vorsichtig gesagt, ein selteneres Phänomen zu sein. Man kann auch deutlicher werden: Solche Spielchen sind freche Ablenkungsmanöver.
Die Verfechter der Bedürftigkeitsprüfung wissen, dass ihr Vorschlag genau einen Effekt hat: Abertausende Rentner werden ihren Anspruch nicht geltend machen, weil sie sich für den Gang zum Amt schämen. Eine Politik, die Scham verursacht, ist aber eine respektlose Politik. Deshalb geht es beim Streit um die Respektrente um mehr als nur ums Kleingedruckte. Es geht um das Menschenbild unseres Sozialstaates. Und die Mehrheit der Jüngeren weiß glücklicherweise sehr wohl, dass man damit nicht spielen sollte.
Ria Schröder (FDP): „Das hat mit Generationengerechtigkeit nichts mehr zu tun“
Heils Vorschlag aber verteilt das Geld mit der Gießkanne, statt Bedürftigen zu helfen. Die Fallbeilgrenze von 35 Jahren führt zu neuen Ungerechtigkeiten. Denn wenn die Bäckerin, die 34 Jahre in Vollzeit gearbeitet hat, am Ende keinen Zuschlag von 447 Euro erhält, sondern den Zuschlag für jemanden mitfinanziert, der nur ein Jahr länger gearbeitet hat, womöglich in Teilzeit – wo bleibt da der Respekt? Heil will weg von der Bedürftigkeitsprüfung, das sei „respektlos”. Denn wenn die Zahnarztgattin oder der reiche Erbe nun mal 35 Jahre lang gejobbt hat, dann verdient das mehr Respekt als jemand, der sich immer allein durchschlagen musste? Das System ist nicht durchdacht und schon gar nicht gerecht. Möglicherweise hat jemand zusätzlich Ansprüche aus der Betriebsrente oder hat privat vorgesorgt.
Dass unser Rentensystem auf drei Säulen steht, wird in der Debatte oft vergessen. Außerdem muss das Haushaltseinkommen berücksichtigt werden. Wenn ein Partner hohe Renten- oder Pensionsansprüche erworben hat und beide Partner profitieren, ist eine isolierte Betrachtung wenig aussagekräftig. Nicht alle, die eine geringe Rente erhalten, sind bedürftig. Die Prüfung der Bedürftigkeit ist deswegen unerlässlich. Alles andere ist gegenüber den Menschen unfair, die auf die Hilfe wirklich angewiesen sind.
Die paar Euro mehr im Jahr zahle man gern, sagen viele Jüngere. Und es fällt schwer zu widersprechen: Ich wünsche jedem eine angemessene Rente. Aber ich mache mir auch Gedanken über unsere Zukunft.
Die gute Nachricht lautet: Die Lebenserwartung ist in Deutschland in den letzten 50 Jahren um etwa zehn Jahre gestiegen. Der medizinische Fortschritt, der ansteigende Wohlstand und die Erleichterung vieler körperlicher Anstrengungen durch mechanische oder technische Hilfsmittel führen dazu, dass Menschen gesünder und länger leben. „70 ist das neue 60“, sind sich Gerontologen einig.
Die schlechte Nachricht: Bald wird das Rentensystem nicht mehr finanzierbar sein. Durch den früheren Renteneinstieg, insbesondere durch die Rente mit 63, beziehen Versicherte heute länger Rente. 2016 lag die durchschnittliche Bezugsdauer bei 19,6 Jahren.
Hinzu kommen die gesunkene Geburtenrate und die Zusatzbelastung, die durch den Renteneintritt der „Babyboomer“ ausgelöst wird. Die Folge ist, dass eine immer kleinere Gruppe Erwerbstätiger eine immer größere Zahl von Rentnern finanzieren muss. Auf 100 Beitragszahler kamen letztes Jahr 51 Rentner. Laut Prognose steigt diese Zahl bis 2031 auf 68 an. Entweder muss das Rentenniveau sinken oder die Beiträge müssen steigen. Doch beides verhindert die „doppelte Haltelinie“. Also gibt es noch drei Stellschrauben, an denen wir den Druck auf das System verringern können: qualifizierte Migration, um die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen. Ein Steuerzuschuss, der ins Unermessliche steigt und damit die zukünftigen Erwerbstätigen – also unsere junge Generation – noch mehr belastet. Und das Renteneintrittsalter, über das wir endlich ernsthaft, pragmatisch und mit Respekt für die vielen, insbesondere körperlich hart arbeitenden Menschen in Deutschland sprechen müssen.
Die Politik muss Wege für das Rentensystem finden, um gegen Altersarmut vorzugehen und den Anforderungen einer älteren, aber auch aktiveren Gesellschaft zu begegnen. Denn es geht auch um die Frage der Generationengerechtigkeit und den Respekt vor der jungen Generation. Es ist eine Pflicht der Bundesregierung, die zur Verfügung stehenden Mittel verantwortungsbewusst einzusetzen. Es fehlt an allen Ecken an Investitionen in die Zukunft: etwa bei Kindergärten, Schulen, Berufsschulen und Universitäten! Mit Heils Vorschlag neue Haushaltslöcher in Milliardenhöhe zu bohren, die von der jüngeren Generation gestopft werden müssen, hat mit Generationengerechtigkeit nichts mehr zu tun. Wir brauchen ein langfristiges System, das nachhaltig ist und allen Generationen ein würdevolles Altern sichert.
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