Mainz

Hunderte gekaufte Tweets gegen Tobias Huch: Bestellten Neonazis Mini-Shitstorm wegen OpBlitzkrieg?

Gerade war die Aufregung groß: Nach CDU und SPD diesmal bei der FDP gekaufte Twitterfollower – Urheber unbekannt. Es geht aber noch viel subtiler: Hunderte gekaufte Tweets mit einem Link zu einem negativen Artikel, um einen Gegner virtuell zu stalken? Neonazis könnten hinter einem bezahlten Mini-Shit-Storm auf den Mainzer Tobias Huch während der #Aufschrei-Debatte stecken.

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Mainz – Gerade war die Aufregung groß: Nach CDU und SPD nun bei der FDP gekaufte Twitterfollower – Urheber unbekannt. Es geht aber noch viel subtiler: Hunderte gekaufte Tweets mit einem Link zu einem negativen Artikel, um einen Gegner virtuell zu stalken? Neonazis könnten hinter einem bezahlten Mini-Shit-Storm auf den Mainzer Tobias Huch während der #Aufschrei-Debatte stecken.

Was bewegt Twitterer aus den USA, der Türkei und Ägypten, sich plötzlich an der #Aufschrei-Debatte in Deutschland rund ums Thema Sexismus zu beteiligen? Die Antwort drängt sich auf: Geld. Und hinter dem Großteil der Accounts stecken keine echten Menschen, es sind Spam-Accounts. Die wurden offenbar für eine gezielte Attacke gegen den Mainzer Tobias Huch gemietet. Twitter hat bisher allem Anschein nach nichts unternommen.

Nach dem „Stern“-Bericht über den vermeintlich aufdringlichen Brüderle die Erfahrungen von Frauen mit alltäglichem Sexismus sammeln, das war die Idee, mit der Anne Wizorek auf Twitter die „#Aufschrei“-Lawine mit Zigtausend Tweets lostrat. Doch nicht nur, dass sich auch Männer über die Feministinnen empörten: Unter dem populären Hashtag wurden Links bis hin zu Pornoseiten verbreitet. Unbekannte nutzten „#Aufschrei“ auch zum Angriff auf Tobias Huch.

„Teilweise hat mein Handy minütlich von Erwähnungen auf Twitter gepiept“, berichtet Huch auf Nachfrage. Der Dienst Topsy dokumentierte rund 1000 Tweets mit „Aufschrei“ und dem Twitternamen des Mainzers. Und fast alle verlinkten auf einen für Huch wenig vorteilhaften Artikel unserer Zeitung: Er wurde wegen Steuerhinterziehung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Huch spricht von falschen Partnern, von der faktischen Haftung als Geschäftsführer und betont, sich persönlich nicht bereichert zu haben bei dem Konstrukt um eine Firma in der Schweiz. Um die Dauerbelastung um den Prozess zu beenden, habe er sich damals mit dem Urteil “abgefunden und die Verteidigung abgebrochen„, sagt Huch. “Ich war zu naiv. Ich habe nicht geahnt, dass ich mit diesem Verfahrensausgang einen guten Ansatz für Diffamierungskampagnen bieten würde.„ Seither begegnet ihm die Berichterstattung von damals ständig.


Die “Fieberkurve„ der Tweets mit Huchs Name und dem Link zum Artikel. Am 3. Februar hatte es laut topsy.com fast 250 Kurznachrichten gegeben.

Und jetzt war offenbar das Hashtag #OpBlitzkrieg Auslöser des Stalkings auf Twitter: #OpBlitzkrieg – das sind Aktionen von Hackern aus dem Anonymous-Dunstkreis gegen Seiten von rechtsradikalen und rechtsextremistischen Parteien und Gruppen und von Neonazi-Versandhandeln. Als Ende Januar Aufrufe liefen, den entsprechenden Twitter-Account zu „spamblocken“ – also durch Meldungen an Twitter eine Deaktivierung zu erzwingen – fiel auch oft Huchs Name. „Vielleicht sollte das suggerieren, dass auch Demokraten gegen OpBlitzkrieg mobil machen – oder ich wurde schon dazu gerechnet. Als Linksextremist.“ Was Linksextremisten schaudern lassen dürfte …

Mit den Bezichtigungen wurde er dann förmlich in die Reihen der Blitzkrieger getrieben, wenn man seine Version hört: Huch kam nun über einen Anonymous-Unterstützer aus dem Umfeld der Piraten in direkten Kontakt mit Vertretern von OpBlitzkrieg. Bis dato habe er den Aktionen kritisch gegenüberstanden. „Doch weil künftig keine Namen und Adressen aus gehackten Datenbanken mehr veröffentlicht werden sollen“ – wozu es inzwischen auch eine halboffizielle öffentliche Erklärung gibt – „war mir die Aktion sympathisch.“ Wenn er volksverhetzende Seiten im Ausland sehe und weiß, dass deutsche Behörden machtlos sind, „dann freue ich mich nicht nur heimlich, wenn diese Seiten aufgrund von Sicherheitsproblemen ins Schleudern geraten“. Die Sympathie bekundete er auch deutlich – bis hin zum Reim „Liebe, dumme Nazibande, ihr seid Deutschlands größte Schande. Wir machen weiter wie bisher, und wir werden immer mehr! #OpBlitzkrieg“

Die anonyme Aktion hatte damit ein Gesicht bekommen. Ein vermeintlich in Hongkong sitzendes „Informationsportal über Antifa, Linksextremisten und ihre Strukturen“ verkündete in einem Blogbeitrag, Huch gestehe „Mittäterschaft bei OpBlitzkrieg“ und rief auf, nach künftigen Angriffen auf Neonazi-Seiten immer auch Huch anzuzeigen. Wegen seiner laufenden Bewährung seien Strafanzeigen „besonders sinnvoll“. Auch dort der Verweis auf unseren Text, der nun ständig getwittert wurde. Am 3. Februar waren es rund 250 Tweets. Huch – Gegenwind gewohnt – steckte das vergleichsweise locker weg. „Ärgerlich“ sei es gewesen, seine Kommunikation auf Twitter habe das erschwert. Reaktionen auf die Tweets gab es praktisch nicht, der Text wurde auch kaum gelesen. Zartbesaitete Gemüter könnten es dennoch leicht mit der Angst bekommen.

Huch ist ein streitbarer Geist und eine schillernde Figur, Zum Ehrendoktor hat ihn eine Universität in Liberia gemacht, zur “IT-Legende„ hat ihn die “Bild„ erklärt. Er exponiert sich oft in der Öffentlichkeit mit seiner klaren Meinung, war nicht nur Gründer der „Gegen die Jagd auf Guttenberg“- und der “Beck muss weg„-Seite bei Facebook. Er protestierte bei einem Sarrazin-Besuch in Mainz auch schon mal alleine “Für Meinungsfreiheit". Er legt sich auch gerne mit allen möglichen Leuten an – ob Bushido, Callcenter- und Gewinnspielmafia oder politische Gegner, etwa als Vorsitzender des Vereins FDP Liberté. „Meistens ist der Weg durch die Wand doch der beste“, prangte mal mit seinem Foto auf der Seite seiner Firma. Huch ist rhetorisch den meisten Menschen überlegen – und bekommt oft Kontra, in dem jemand den Artikel über seine Verurteilung rausholt und verlinkt. Das ist inzwischen so oft passiert, dass der Text dritter Treffer bei der Suche nach Huchs Namen ist. Was die Welle mit gekauften Tweets weiter zementiert haben dürfte.

Mit gekauften Tweets könne man „sicher auch Shitstorms anstoßen“, sagt Huch. Es gibt entsprechende Seiten, die Tweets von bestimmten Accounts oder auch Retweets in gewünschter Zahl anbieten – ohne den Inhalt zu prüfen. 10 Dollar für einen Tweet von einem Account mit Millionen Followern, für 50 Dollar gibt's 100 Retweets von unbedeutenden Accounts. Bislang ist das in der Öffentlichkeit kaum Thema, obwohl es viel bedrohlicher ist als die Frage, ob Follower echt sind.

Und das Unternehmen Twitter? Auf eine Anfrage schickt ein Sprecher eine Erklärung zur Policy, die den Kauf und Verkauf von Followern verbiete. Weder technischer Missbrauch noch Accountmissbrauch würden toleriert, manuelle und automatische Kontrollmechanismen würden greifen. Und was hat das mit Huchs Fall zu tun? „In allen wie in diesem individuellen Fall ist es natürlich bedauerlich, dass einige Menschen vor Missbrauch nicht zurückschrecken. Mit den genannten Mitteln werden wir diesen Aktivitäten begegnen.“ Bei einer Stichprobe unserer Zeitung fanden sich immer noch all die Amerikaner, Türken und Ägypter, die so unvermittelt Interesse an der deutschen Aufschrei-Debatte hatten.

Von Lars Wienand

Autor:
Lars Wienand
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