Koblenz

Pulse of Europe protestiert gegen europäische und deutsche Flüchtlingspolitik

Foto: Pulse of Europe

„Hölle von Moria – Schande Europas – Menschenwürde jetzt!“ war Motto der Kundgebung, mit dem sich Pulse of Europe Koblenz nach längerer coronabedingter Abstinenz kürzlich mit einer Kundgebung auf dem Bahnhofsplatz zurückmeldete.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Hape Etzold, Initiator von Pulse of Europe Koblenz, stellte in seinen einführenden Worten klar, warum gerade die für ein starkes Europa engagierte Bürgerbewegung hart mit der europäischen Flüchtlingspolitik ins Gericht geht und in vorderster Reihe beim Protest gegen die Zustände in Moria steht: „Diese Hölle von Moria ist das Gegenteil von dem, wofür unser Grundgesetz, Europa, Glaube und Hoffnungen stehen: Solidarität, Menschenwürde, Nächstenliebe, Fraternité. Moria ist das Totalversagen europäischer Werte und Hoffnungen.“

Dem aktuellen Anlass entsprechend wurde nicht wie bei Pulse üblich die Ode an die Freude gesungen, sondern der Text der alternativen „Europahymne der Vielen“, in der es heißt: „Öffne deine Außengrenzen und bleibe Refugium. (…) Wir sind viele, werden mehr, Solidarisch miteinander ist doch gar nicht mal so schwer.“

Landtagsabgeordnete und Stadträtin Anna Köbberling (SPD) griff als erste Rednerin das Leitthema der Kundgebung auf und bezeichnete Moria als „Schande Europas“. Sie berichtete unter dem Beifall der Teilnehmenden der Kundgebung: „Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz ist bereit, bis zu 500 Geflüchtete aus den griechischen Lagern zusätzlich aufzunehmen und so einen Beitrag zu leisten, dass die griechischen Lager geräumt werden können“.

Kulturdezernentin Margit Theis-Scholz (SPD) zeigte sich in ihrem Grußwort für die Stadt Koblenz erfreut, dass so viele Menschen auch in Koblenz sich solidarisch zeigen und erinnerte an die große und andauernde Hilfsbereitschaft der Menschen seit dem Jahr 2015. Theis-Scholz schlug hierbei den Bogen zur erfolgreichen Integrationspolitik der Stadt Koblenz und einem Leitmotiv, das parteiübergreifend Koblenzer Politik prägt: „Koblenz bleibt bunt“

Stadtrat und Landtagskandidat Carl-Bernhard von Heusinger (B90/Grüne) kritisierte mit Hinweis auf die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin die uneindeutige Haltung der Bundesregierung, die somit nicht allein dem untätigen und blockierenden Innenminister zuzurechnen sei: „Es ist höchste Zeit, dass die Bundeskanzlerin klar stellt, dass Deutschland bereit ist, den in Not geratenen Flüchtlingen in Moria zu helfen.“ Als Sinnbild verfehlter europäischer Flüchtlingspolitik prangerte von Heusinger die die europäischen Außengrenzen bewachende Grenzpolizei Frontex an.

Stadtrat Gordon Gniewosz (B 90/Grüne), selbst Mitinitiator von Pulse of Europe in Koblenz, zitierte in seiner abschließenden Rede Norbert Blüm, der bereits 2018 die Diskussion in Deutschland, die Situation in den griechischen Lagern und die europäische Flüchtlingspolitik kritisiert hatte: „Wir reden über Flüchtlinge wie über Sachen und verstecken den Skandal der Herzlosigkeit in kalten Statistiken. (…) Wenn 500 Millionen Europäer keine fünf Millionen oder mehr verzweifelte Flüchtlinge aufnehmen können, dann schließen wir am besten den Laden 'Europa' wegen moralischer Insolvenz.“ Gniewosz befand: „Recht hat er. Und deshalb sagen wir, auch nachdem die Feuer gelöscht sind: Moria brennt. Denn das ist ein Sinnbild: Denn mit Moria brennt unser Haus Europa, das auf den Grundwerten Freiheit und Gleichheit, auf die Menschenwürde und die Menschenrechte fußt.“

Alle Redenden nahmen Bezug auf die vorliegenden Beschlüsse des Stadtrats, die es der Stadt ermöglichen, jetzt zusätzlich Geflüchtete aufzunehmen – wenn denn die Bundesregierung zulässt. Der Rat hatte mehrheitlich am 4. Juni 2020 beschlossen: „Die Verwaltung wird aufgefordert, gegenüber dem Land die Bereitschaft der Stadt Koblenz zu erklären, bei Kostenerstattung und im Rahmen der verfügbaren Kapazitäten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen.“

In einem weiteren, eine Initiative der „Aktion Seebrücke“ aufgreifenden Ratsbeschluss vom 15. Mai 2020 heißt es konkret zu den in Griechenland gestrandeten Geflüchteten: „Die Stadt Koblenz erkennt die dramatische Lage in den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern an und die Verwaltung wird beauftragt, die vorhandene nicht genutzte Infrastruktur zu reaktivieren und zu ermitteln, wie viele geflüchtete Menschen, insbesondere Frauen, Kinder, Jugendliche und Corona-Risikogruppen die Stadt Koblenz aufnehmen kann. (…) Die Stadt soll innerhalb von zwei Wochen den zuständigen Stellen im Land und Bund anbieten, ein Kontingent besonders schutzbedürftiger in griechischen Flüchtlingslagern festsitzenden Menschen aufzunehmen und den Bundesinnenminister auffordern, seiner humanitären Verpflichtung nachzukommen.“

Dem Adressaten dieser Aufforderung entsprechend richtete sich die Kritik aller Redenden insbesondere an Innenminister Seehofer. Die Kritik an Europa richtete sich vorrangig an die blockierenden Staaten, die keine Geflüchteten aufnehmen wollen, und an die Verantwortlichen in Brüssel, die hierauf Rücksicht nehmen.

Die Teilnehmenden an der Kundgebung setzten einen optisch eindrucksvollen Schlussakzent, indem sie mit coronagerechtem Abstand eine Kette bildeten, bei der jede Person in der Reihe einen Buchstaben hoch hielt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.