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Rheinland-Pfalz

Nach den Sicherheitspannen: Teure Rolle rückwärts bei der Abschiebehaft

Von Dietmar Brück
Symbolischer Akt, der von den Grünen bejubelt wurde: Die damalige Familienministerin Irene Alt schnitt den Stacheldraht am Abschiebegefängnis in Ingelheim durch. Nun wird für viel Geld wieder aufgerüstet.  Foto: dpa
Symbolischer Akt, der von den Grünen bejubelt wurde: Die damalige Familienministerin Irene Alt schnitt den Stacheldraht am Abschiebegefängnis in Ingelheim durch. Nun wird für viel Geld wieder aufgerüstet. Foto: dpa

Die massiven Sicherheitspannen, die dem offenbar gewaltbereiten Abschiebehäftling Hicham B. die Flucht ermöglicht haben, ziehen ein ganzes Bündel an Konsequenzen nach sich. Unter anderem soll die Bewachung gefährlicher Abschiebehäftlinge verschärft und das Ingelheimer Abschiebegefängnis wieder sicherer gemacht werden, das vor Jahren medienwirksam „abgerüstet“ worden war. Das Integrationsministerium handele unter der Maxime „so viel Freiheit und Humanität wie möglich und so viel Sicherheit wie nötig“, erklärte Ministerin Anne Spiegel (Grüne).

Lesezeit: 3 Minuten
Hicham B., der eine dicke Strafakte besitzt, türmte aus einer psychiatrischen Klinik bei einem Fußballspiel. Die Klinikleitung war ahnungslos, dass sie einen Hochrisikofall aufgenommen hatte und der eingesetzte private Sicherheitsdienst durfte Hicham B. nicht mal an der Flucht hindern. Der mutmaßliche Marokkaner war zuvor im Ingelheimer Abschiebegefängnis inhaftiert gewesen. Dort ...
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Straffällige Asylbewerber: Wer ist wann für was zuständig?

Der allergrößte Teil der Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz verhält sich gesetzeskonform. Was aber passiert mit Migranten, die Straftaten begehen? Ein Überblick.

Ein Asylbewerber begeht eine Straftat, sitzt seine Haft ab und ist wieder frei. Was geschieht dann?

Wer sich noch im Asylverfahren befindet, kann nicht abgeschoben werden. Asylbescheide kommen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – bis dahin bleiben die Asylbewerber im Land.

Welche Formen der Überwachung sind in so einem Fall möglich?

Zum einen kann eine Residenzpflicht verhängt werden. Außerdem kann die Polizei helfen. Etwa indem sich jemand regelmäßig melden muss, eine Fußfessel bekommt oder täglich Besuch erhält. Oder Beamte observieren. „Das ist aber nichts, was man auf Dauer tun kann“, sagt Uwe Lederer vom Referat Verbrechensbekämpfung im Innenministerium. „Wenn wir von Überwachung sprechen, suggeriert das manchmal, wir hätten den Menschen im Griff und könnten garantieren, dass der Betroffene keine Straftaten begeht. Dem ist nicht so“, sagt Lederer.

Wer entscheidet über Abschiebungen und Bleiberecht?

Zuständig für sogenannte ausländerrechtliche Angelegenheiten sind die Kreisordnungsbehörden. Allerdings hat das Integrationsministerium die Fachaufsicht. Es prüft im Jahr – meist auf Bitten der Kommune – rund 300 Fälle und kann bei unterschiedlicher Rechtsauffassung eine bindende Weisung erteilen. Das geschieht im Jahr bei „einer Handvoll“ von Fällen.

Wo wohnen Ausreisepflichtige?

Sie bleiben bis zu ihrer Ausreise in den Kommunen. Es gibt in Rheinland-Pfalz kein zentrales Ausreisezentrum mehr. Diese Landeseinrichtung wurde in der vergangenen Legislaturperiode geschlossen, weil sie laut Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) „keine signifikanten Erfolge bei der Rückführung“ erbrachte und die gemeinsame Unterbringung „sehr problematisch war“.

Wann kommt ein Zuwanderer in Abschiebehaft?

Anerkannte Flüchtlinge sowie Asylbewerber sind prinzipiell besonders vor Abschiebung geschützt. „Nur wenn eine besonders schwere Straftat vorliegt und der Betreffende eine Gefahr für die Allgemeinheit ist, kommt eine Rückführung in Betracht“, erklärt Referentin Marei Pelzer von Pro Asyl.

Doreen Fiedler/Oliver von Riegen (dpa)

Ministerium sieht Infopflicht bei Kommunen und Kreisen

Im Integrationsministerium ist – Wochen nach der Flucht des gefährlichen Abschiebehäftlings Hicham B. – offenbar ein gewisser Handlungsdruck erkannt worden. In einem Rundschreiben werden die Ausländerbehörden der Kreise und Städte nun aufgefordert, künftig alle wichtigen Erkenntnisse an die Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige in Ingelheim (GfA) zu übermitteln, wenn ein Abschiebehäftling dort aufgenommen wird.

Dazu zählen strafrechtliche Verurteilungen, anhängige strafrechtliche Ermittlungen und sonstige Informationen, die für eine Bewertung einer möglichen Fremdgefährdung, künftige Straftaten oder Gefährlichkeit „von Bedeutung sein können“. Dies sei notwendig, um Vorkehrungen im Haftvollzug treffen zu können oder zu beurteilen, ob spezielle Bewachung durch die Polizei notwendig ist, wenn die Person ins Krankenhaus kommt. Nur: Im Fall Hicham B., der beim Fußballspiel aus der Alzeyer Psychiatrie floh, waren wichtige Information zur Gefährlichkeit des Mannes bereits in dem in Ingelheim vorliegenden Haftbeschluss vom 10. Oktober zu lesen. Daher waren die hohe Fluchtgefahr ebenso bekannt wie die Drohung, dass Hicham B. sich einer Abschiebung durch Suizid entziehen und dabei mehrere Menschen mit in den Tod nehmen will. Trotzdem musste der Kreis Bewacher organisieren. us

Liga betont: „Ausreisepflichtiger ist kein Straftäter“

In der aktuellen Diskussion um das Thema Abschiebehaft weist der Vorsitzende der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz, Hans-Jürgen Eberhardt, darauf hin, dass es sich bei Ausreisepflichtigen nicht um Straftäter handelt. Klar sei daher, dass sich der Vollzug in der Abschiebehaft vom normalen Strafvollzug unterscheiden müsse. Schließlich wären die Menschen nur in Haft, damit ihre Ausreise sichergestellt werden kann.

„Für uns heißt das: so viel Sicherheit wie nötig und so viel Freiheit wie möglich“, sagte Eberhardt. Außerdem fordert die Liga die Landesregierung auf, sich verstärkt um Integrationsangebote für Ausreisepflichtige zu kümmern. „Das ist eine gute Investition in die Zukunft der Menschen, egal, ob sie dauerhaft bei uns bleiben können oder aber doch noch ausreisen müssen“, sagte der Liga-Vorsitzende. Mitte 2017 hätten 6430 Duldungsinhaber im Land gelebt. Duldungen bekommen Menschen, wenn sie ausreisepflichtig sind, aber nicht ausreisen können, weil sie beispielsweise krank sind, Papiere fehlen oder sie eine Ausbildungsduldung haben. Hinzu kämen etwa 1000 Afghanen, die wegen der desolaten Sicherheitslage nicht ausreisen können. mkn
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