Parlament
Landtagsfraktion der Freien Wähler vor dem Ende
Mainz (dpa/lrs). Der rheinland-pfälzische Landtag wird in Kürze um eine Fraktion ärmer. Die Freien Wähler verlieren angesichts des Rückzugs zweier Abgeordneter ihren Fraktionsstatus – nur wenige Tage nach einem denkwürdigen Landesparteitag. Der Parlamentarier Herbert Drumm verlässt die Fraktion mit sofortiger Wirkung, wie er der Deutschen Presse-Agentur in Mainz sagte. Das kündigte auch Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) zum Auftakt der Landtagssitzung mit.
Sein Fraktionskollege Bernhard Alscher hatte seinen Rückzug bereits bei dem von heftigem Streit geprägten Landesparteitag der Freie Wähler am Samstag in Kordel angekündigt. Am Montag sagte er der dpa, er werde diesen Schritt zum 6. Oktober tun.
Mindestgröße für Fraktion wird unterschritten
Bislang gehörten der Fraktion der Freien Wähler, die 2021 erstmals den Einzug in das Landesparlament geschafft hatte, sechs Abgeordnete an. Mit den dann zwei Rückzügen wird die von der Geschäftsordnung des Landtages vorgeschriebene Mindestgröße von 5 Mitgliedern ab dem 6. Oktober unterschritten.
Landtagspräsident Hering sagte, Drumm habe ihm die Entscheidung schriftlich mitgeteilt. Drumm kam im Jahr 2021 als Abgeordneter in den rheinland-pfälzischen Landtag. Vor seinem politischen Engagement für die Freien Wähler war er Mitglied der CDU. Alscher wiederum war erst im Juli als Nachfolger des mittlerweile ins Europaparlament gewechselten Joachim Streit in die Fraktion gerückt und kehrt ihr nun nach kurzer Zeit den Rücken.
Streit: «Mir kommen die Tränen»
Der ehemalige Fraktionschef Streit reagierte «vollkommen schockiert». «Mir kommen die Tränen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. «Wer ein öffentliches Amt hat, ist an erster Stelle verpflichtet zu dienen, den Wählern und Bürgern, dem Landtag, aber auch den Mitarbeitern der Fraktion und den Mitgliedern der Partei.» Drumm stelle «seine egoistischen Interessen über all das», kritisierte Streit. «Das ist Betrug am Wähler.» Drumms Verhalten sei ehrlos.
Der Generalsekretär der Freien Wähler Rheinland-Pfalz, Christian Zöpfchen, nannte Drumms Austritt bedauerlich. Ihm fehle dafür jegliches Verständnis.
Alscher, früherer Bürgermeister der Verbandsgemeinde Birkenfeld, hatte im Vorfeld des Parteitags in Kordel den im Juni überraschend zum neuen Fraktionschef gewählten Helge Schwab scharf kritisiert. Das wiederum hatte Streit in Kordel als «unterirdisch» bezeichnet.
Bei dem Parteitag war der schon länger schwelende Konflikt zwischen Anhängern Streits und denen des früheren Parlamentarischen Geschäftsführers, Stephan Wefelscheid, der eigentlich Nachfolger Streits als Fraktionschef werden wollte, offen zu Tage getreten. Auch ein Rückzug Wefelscheids aus der Fraktion scheint noch möglich, war er als Landeschef der Freien Wähler in Rheinland bei dem Parteitag in Kordel noch nicht mal zum Tagungspräsidenten bestimmt worden.
Drumm mit heftiger Kritik an Streit
Drumm erklärte in einer Mitteilung, die Fraktion der Freien Wähler habe lange Zeit gute Arbeit geleistet, «insbesondere in ihrer Oppositionsrolle und ganz besonders durch Herrn Wefelscheid». Das habe sich mit dem Weggang Streits nach Brüssel grundlegend geändert. Streit habe seine Entscheidung, vollständig aus dem Landtag auszuscheiden, erst im letzten Moment getroffen. Die Neuwahl des Fraktionsvorstandes hätte seinerzeit verschoben werden müssen, damit der für Streit nachrückende Alscher hätte mitentscheiden können. So aber habe die alte Fraktion den neuen Vorstand gewählt und Streits Stimme den Ausschlag gegeben.
«Ich halte Dr. Streits Vorgehensweise für äußerst bedenklich, sie ist die Hauptursache für die jetzige katastrophale Situation», erklärte Drumm weiter. In der aktuellen Konstellation könne die Fraktion die von ihr zu erwartenden Aufgaben nicht erfüllen, «nämlich sachorientiert und ohne ausufernde persönliche Befindlichkeiten dem Land und seinen Bürgerinnen und Bürgern zu dienen».
Schwab spricht von Erpressung
Harsche Worte fand auch Fraktionschef Schwab. Er teilte mit, Drumm habe nach einer Fraktionssitzung den Fraktionsvorstand zum geschlossenen Rücktritt aufgefordert und gesagt, dass sein Austritt nur so zu verhindern sei. Dafür habe er dem Vorstand fünf Minuten Zeit eingeräumt, berichtete Schwab in einer Mitteilung und betonte: «Selbstverständlich lässt sich der Vorstand der Freie Wähler-Landtagsfraktion weder nötigen noch erpressen», betonte Schwab. Drumm müsse nun auch sein Landtagsmandat niederlegen. «Ansonsten muss ich ihm Bereicherungsabsicht und Egoismus vorhalten.» Auch als stellvertretender Landesvorsitzender sei Drumm nicht mehr haltbar.
Schwab sagte weiter, Drumm gefährde mit seinem Verhalten die Existenz und somit den Arbeitsplatz von zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktion. Hintergrund dessen ist, dass der Status einer Landtagsfraktion unter anderem gewichtige finanzielle Auswirkungen hat.
Verlust des Fraktionsstatus hat Folgen
Nach Angaben des Landtages gehören zu den Geldleistungen, die eine Fraktion bekommt, ein Grundbetrag von 70.025 Euro, ein sogenannter Steigerungsbetrag von 2.191 Euro für jedes Fraktionsmitglied sowie ein zusätzlicher Steigerungsbetrag von 514 Euro pro Mitglied für jede Fraktion, die die Landesregierung nicht trägt, also eine Oppositionsfraktion wie die der Freien Wähler. Bei diesen Beträgen handelt es sich um monatliche Leistungen, die die Fraktionen im Voraus erhalten, die Leistungen werden jährlich angepasst.
Auch einige politische Mitwirkungsrechte sind an den Fraktionsstatus gekoppelt. So ist die Redezeit fraktionsloser Abgeordneter gegenüber der von Fraktionen reduziert. Das Recht zur Einbringung eines Gesetzentwurfs ist nach der Geschäftsordnung des Landtags einer Fraktion oder acht Abgeordneten zugewiesen, aktuelle Debatten können ebenfalls nur von einer Fraktion oder acht Abgeordneten beantragt werden. In Landtagsausschüssen haben fraktionslose Abgeordnete nur ein Rede- und Antragsrecht, jedoch kein Stimmrecht.
Gruppe fraktionsloser Abgeordneter wächst
Alscher hatte am Rande des Parteitags gesagt, sein Landtagsmandat behalten zu wollen. Auch Drumm hat bislang nicht erklärt, sein Mandat abgeben zu wollen. Sie würden sich damit einreihen in die im Laufe der Legislaturperiode immer größer gewordenen Gruppe fraktionsloser Abgeordneter. Der gehören bereits der frühere grüne und mittlerweile in das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eingetretene Abgeordnete Andreas Hartenfels an sowie Michael Frisch, Martin Louis Schmidt und Matthias Joa, die früher alle Teil der AfD-Fraktion waren.
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