Die Corona-Bürokratie: Die Überreglementierung lässt die Bevölkerung immer mehr ermüden
Zwar liegt jetzt endlich der lang angekündigte Stufenplan vor, der mehr Perspektive schaffen soll. Doch besteht die Gefahr, dass die Unübersichtlichkeit dessen, was beschlossen wurde, den Frust der Menschen im Langzeit-Lockdown zusätzlich befördert. Umfragen von Ende Februar zeigen jedenfalls schon deutlich weniger Vertrauen in das Krisenmanagement von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
In dieser Phase der Pandemie komme es umso mehr auf das Mitmachen der Menschen an, mahnt der Deutsche Landkreistag. Daher müsse der Staat die Ängste, Sorgen und Erschöpfungszustände der Bevölkerung ernst nehmen. „Die verabredete Öffnungsmatrix weist allerdings einen hohen Komplexitätsgrad auf, sodass wir damit an die Grenzen der Umsetzbarkeit gelangen“, kritisiert der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes, Reinhard Sager. Ein zusätzliches Problem in der Kommunikation mit dem Bürger: Bei der Impfstrategie hat der Schutz der besonders gefährdeten Gruppen Priorität. Bei den Öffnungsschritten soll dagegen die Zahl der Neuinfektionen Richtschnur sein.
Der Frust entlädt sich
Besonders heftig entlädt sich der Frust in der Debatte um die Impfungen. Bei diesem Thema räumt inzwischen auch die Kanzlerin ein, „dass wir hier noch Steigerungspotenzial haben“. Während bereits Ende Februar die Hälfte aller Israelis und mehr als 15 Prozent der New Yorker mindestens einmal geimpft waren, haben in Deutschland bis Mittwoch nur 5,5 Prozent der Bevölkerung die erste Spritze erhalten. Auch bei der Verfügbarkeit von Schnell- und Selbsttests haben andere Staaten – zum Beispiel Österreich – die Nase vorn.
„Wenn der regelmäßige Test so normal wird wie das regelmäßige Zähneputzen, dann können bald fast alle Menschen normal weiterleben und wieder ihre Rechte ausüben“, sagt FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae. Dazu brauche es aber einen kostengünstigen oder kostenlosen, jederzeit und überall verfügbaren Schnelltest oder Selbsttest. Das sei außerdem „allemal billiger als die schwindelerregenden Milliardenhilfen, die wir derzeit über das Land kippen“.
„Überbürokratisiert und überreglementiert“ sei die von Bund und Ländern gemeinsam organisierte Covid-19-Impfkampagne, findet Nils Bandelow, Politologe von der TU Braunschweig. Anstatt auf pragmatische Lösungen zu setzen, habe man eine Impfverordnung aufgesetzt, die viele Probleme produziert und dadurch eine schnelle Immunisierung großer Teile der Bevölkerung verhindert habe. Außerdem sei entschieden worden, Impfstoffe aus Staaten wie China oder Russland aus politischen Gründen nicht zu beschaffen. Dabei stelle sich jedoch die Frage, „ob man sich das in der Krise leisten kann“.
Gefährdete Gruppen geschützt
Wer jetzt eine Zwischenbilanz zieht, stellt fest: Eine Überforderung des Gesundheitssystems haben die Verantwortlichen bislang verhindern können. Die besonders gefährdeten Gruppen wurden einigermaßen gut vor schwerer Erkrankung und Tod geschützt – auch wenn bei einigen Hochbetagten durch die Isolation der Lebensmut und die geistige Gesundheit Schaden nahmen. Der Datenschutz funktioniert super, dafür ist die Nachverfolgung von Infektionsketten weniger effektiv als in Staaten, wo man es damit nicht so genau nimmt.
Wirtschaftlich gesehen, kennt die Corona-Pandemie wie jede Krise Gewinner und Verlierer. Viele Menschen reagieren auf die Komplexität der Pandemie mit einer Verengung des eigenen Blickwinkels. Die einen schauen auf die verpassten Entwicklungschancen der Kinder. Die anderen nehmen die überlasteten Pfleger in den Blick. Der Blick über den eigenen Tellerrand fällt schwer.
Doch zur Wahrheit gehört auch: Manch einer hat sich im Corona-Biedermeier ganz gemütlich eingerichtet, während andere verzweifelt ihre wirtschaftliche Existenz oder die Bildungschancen ihrer Kinder davonschwimmen sehen. Wer die Pandemie als Beamter in einer geräumigen Wohnung am Waldrand erlebt, tut sich mit der Einhaltung von Corona-Regeln leichter als das junge Gastronomenpaar oder die fünfköpfige Familie aus der Hochhaussiedlung.
Politiker lassen sich in der Corona-Krise von Virologen und Epidemiologen beraten. Doch Wissenschaft ist keine Ideologie – und wenn es neue Daten gibt, ändern Forscher dann auch ganz selbstverständlich und ohne Gewissensbisse ihre Meinung. Die Aufgabe, politische Entscheidungen zu erklären, müssen andere übernehmen. Einer, der „ein gutes Näschen dafür hat, was man gut verkaufen kann“, sei Bayerns Ministerpräsident, sagt Bandelow. Söder sei „sehr flexibel in seinen Positionen“, konstatiert der Politologe. Nach der jüngsten Bund-Länder-Runde legte sich Söder nicht fest. Er sprach lieber von einer Übergangszeit und sagte: „Wir hoffen sehr, dass der März ein Chancenmonat wird.“
Anne-Beatrice Clasmann