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Koblenz/Lahnstein

Abschiedsbrief bewegt das Netz: 60-Jähriger schreibt letzte Zeilen an Ermordeten

Von Doris Schneider
Um den Mörder von Gerd Michael Straten zu fassen, hat die Polizei auch eine Belohnung ausgeschrieben, teilte sie bei einer Pressekonferenz mit. Foto: Borowski
Um den Mörder von Gerd Michael Straten zu fassen, hat die Polizei auch eine Belohnung ausgeschrieben, teilte sie bei einer Pressekonferenz mit. Foto: Borowski

Dass ein bei Facebook veröffentlichter literarischer Text eine solche Aufmerksamkeit finden würde, darüber könnte sich der Lahnsteiner Michael Eisenkopf eigentlich freuen. Wenn die Umstände nicht so schrecklich wären: Der 60-Jährige hat eine Art Abschiedsbrief an den getöteten und enthaupteten Gerd Michael Straten geschrieben, den er im Internetportal „Brückenschreiber Koblenz“ veröffentlicht hat.

Lesezeit: 3 Minuten
Eisenkopf gehört der Autorengruppe an, die regelmäßig unter anderem Kurzgeschichten veröffentlicht und jeden Freitag einen neuen Text auf ihrer Seite einstellt. Er war an der Reihe – und er hatte das unbedingte Bedürfnis, den Ermordeten in einem Beitrag zu würdigen. Die Wege der beiden quasi Gleichaltrigen mit demselben Vornamen haben sich ...
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Ein Abschiedsbrief bewegt das Netz

Michael Eisenkopf kannte den ermordeten Gerd Michael Straten seit 20 Jahren – wenn auch nicht ganz eng. Eisenkopf hat seinem Namensvetter einen letzten Brief geschrieben, den über über Facebook verbreitet hat. Seine Zeilen bewegen das Netz. Hier ist der Brief im Wortlaut:

Michael Eisenkopf kannte den ermordeten Gerd Michael Straten seit 20 Jahren – wenn auch nicht ganz eng.
Michael Eisenkopf kannte den ermordeten Gerd Michael Straten seit 20 Jahren – wenn auch nicht ganz eng.
Foto: privat

Die Würde bleibt!

Wir hatten den gleichen Vornamen. Gleiche Generation, häufiger Name. Und wir kannten uns. Seit etwa zwanzig Jahren. Dann, vor ein paar Tagen, erreichte mich die Nachricht, was mit dir geschehen ist.

Du warst ein ruhiger Mensch. Angenehm, wenn auch nicht immer einfach zu nehmen. Auf deine Weise immer besonders.

Freitags kamen zur meist gleichen Zeit die meist gleichen Leute in den Bioladen, so, als seien sie verabredet. Es war einer von der Sorte, wie sich der heutige Bio-Supermarkt-Käufer einen altmodischen Bioladen vorstellt. Ikea-Regale, Getreidesäcke, Obst und Gemüse, Bio-Brot und schwarzes Brett. Und einem verschrobenen Inhaber, der bekannte, mit seinem Laden die Welt retten zu wollen und mit seinen Erziehungsversuchen allen auf den Wecker ging.

Nein, du warst kein unangenehmer Zeitgenosse, hast wenig von dir mitgeteilt, andere aber auch nicht ausgefragt. Ein Einzelgänger in gutem Sinne. Wenn wir kamen, warst du meist schon da. Du trankst deinen Kaffee und wir unterhielten uns. So wie es an jenen Nachmittagen in solchen Läden noch gute Kultur war. Statt eines Kaffees konnte es für dich auch mal ein Glas kaltgepresstes Olivenöl sein, weil du glaubtest, dass es gut für dich sei.

Damals hattet ihr gerade euer Geschäft geschlossen, Rahmen, Poster und Bilder ließen sich in der Koblenzer Altstadt nicht gut genug verkaufen. Wohl zeitgleich die Trennung von deiner Freundin, viel auf einmal für dich. Wir merkten, dass es dich aus der Bahn geworfen hatte. Schulden waren auch übriggeblieben und ein neuer Job nicht in Sicht. Du warst ein Individualist, das hast du auch selbst betont und es mag sein, dass es gekränkter Stolz war, der dir im Weg stand.

Es war dir wichtig, dir deine Würde zu bewahren, auch in den letzten Jahren. In einer Lebenssituation, die für die meisten Menschen schon „unten“ bedeutete, behieltest du deine Selbstachtung, schafftest es offensichtlich, auch beim Platte machen weiterhin in Würde zu leben. Ein morgendlicher Kaffee beim Kaffee-Sommelier. Gepflegte Erscheinung, soweit es deine Lebensumstände zuließen, rudimentäre soziale Kontakte, niemand sollte dich als „Penner“ verunglimpfen. Du bliebst in deiner und in unserer Welt, auch wenn der Spagat für dich groß gewesen sein muss. Ich hatte geglaubt, du hättest die Kurve gekriegt, dich lange nicht mehr gesehen bis zu dem Tag, als dein Bild durch die Medien ging. Jetzt gibt es eine Belohnung von zehntausend Euro, um deinen Mörder zu finden, das ist gut. Das Geld hätte vorher dein Leben vielleicht in bessere Bahnen lenken können.

Schlimmes ist dir widerfahren, ‚schlimm‘ ist in dem Zusammenhang fast eine obszöne Verharmlosung. Unfassbar, dass gerade jemandem wie dir so etwas geschehen konnte. „Leben und leben lassen“ könnte dein Lebensmotto gewesen sein, aber das kann ich nur vermuten.

Heute finde ich es schwer erträglich, überhaupt in einer Welt zu leben, in der irgendeinem Menschen derartig Grausames angetan wird. Auch nach dutzenden gedanklichen Annäherungen kann ich mir kein Szenario ausdenken, was zum Verbrechen an dir geführt haben kann. Und jetzt höre ich auf, mir überlegen zu wollen, was ein Grund dafür sein mag. Denn es kann keinen geben. Außer im Hirn eines kranken Mörders.

Als Geste meiner Achtung verneige ich mich in Gedanken vor dir. Deine Würde hat dir in meinen Augen keine noch so bestialische Form des Verbrechens nehmen können.

Deine Würde ist dir geblieben, Michael.

Wer kann helfen, den Mord aufzuklären?

Die Soko Hauptfriedhof sucht weiterhin Zeugen, die etwas über den Ermordeten und sein Umfeld sagen können.

  • Wer kannte Gerd Michael Straten?
  • Wer kann Angaben zu seinem Umfeld und zu Kontaktpersonen machen?
  • Wer hat Auffälliges im Bereich des Hauptfriedhofes bemerkt?
  • Wer kann Angaben zu Streitigkeiten zwischen dem Opfer und anderen Personen machen?
  • Wer kennt weitere Personen, die auf dem Hauptfriedhof leben oder sich dort oft aufhalten?
  • Wer kann sonstige sachdienliche Hinweise geben?

Hinweise nehmen die Kriminaldirektion Koblenz, Tel. 0261/1031, sowie jede andere Polizeidienststelle entgegen. Infos: www.polizei.rlp.de/de/fahndung

Der Mordfall Gerd Michael Straten
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