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Rhein-Hunsrück

„Was man nicht sieht, gibt es nicht“: Reportage aus dem unsichtbaren Suchtalltag

Von Charlotte Krämer-Schick
Wie es mit Rebecca Kahls Stelle weitergeht, steht noch in den Sternen. Sie berät Kinder und Jugendliche ab 13 Jahr bei Sucht und Drogenkonsum.
Wie es mit Rebecca Kahls Stelle weitergeht, steht noch in den Sternen. Sie berät Kinder und Jugendliche ab 13 Jahr bei Sucht und Drogenkonsum. Foto: Werner Dupuis

Endlich konnte Diana einmal „Nein!“ sagen. Nein zum Alkohol, den ihr ein Mitschüler in der großen Pause im Rauchereck angeboten hatte. Darauf ist Diana mächtig stolz. „Ich war so froh, ich hab nach der Schule einen Luftsprung gemacht“, sagt sie. Diana ist 14 Jahre alt.

Lesezeit: 6 Minuten
Es gab Zeiten, da hat sie regelmäßig getrunken – und nicht gerade wenig. Auch andere Rauschmittel spielten eine Rolle in ihrem Leben. Welche genau, weiß Diana selbst nicht mehr so recht. Das sei auch schon eine Weile her. „Seit meinem letzten Termin bei dir bin ich normal geblieben“, sagt sie. Das ...
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Experten setzen auf niedrigschwellige Hilfe

Rhein-Hunsrück. Seit 2011 gibt es das vom Kreis unterstütze Case Management, eine fallbezogene Beratung bei Suchtproblemen. Die Planstelle von Rebecca Kahl ist bei Caritas und Diakonischem Werk verankert, der Kreis fördert diese Arbeit mit einem Zuschuss von rund 55.000 Euro jährlich. Der Kreisausschuss hat in seiner jüngsten Sitzung, in der es um die zweijährige Verlängerung des Zuschusses ging, beschlossen, diesen Betrag anderweitig zu verwenden oder ganz zu streichen. Diese Entscheidung wurde getroffen, obwohl Experten dringend davor gewarnt hatten.

„Ich habe mich über die Ablehnung im Kreisausschuss sehr geärgert“, sagt Rolf-Josef Zehe, Konrektor der Realschule plus in Simmern. Der Lehrer hat im September an einer Sitzung des Jugendhilfeausschusses teilgenommen hatte, in der sich dieser Fachausschuss für die Verlängerung des Zuschusses ausgesprochen hat. Dieses Votum kassierte der Kreisausschuss aber Anfang November.

Zehe beobachtet, dass gerade Zigaretten und Alkohol von den Schülern in immer höherem Maße konsumiert werden. „Das Alkoholproblem ist relativ neu“, sagt der Konrektor. Doch die Konsumenten würden stetig mehr und zunehmend jünger. „Unter 12-Jährigen ist es schon nicht mehr ungewöhnlich, dass sie rauchen“, sagt Zehe – und dies sei teils auch von den Erziehungsberechtigten erlaubt. „Es gibt Eltern, die kaufen für ihre Kinder die Zigaretten ein“, berichtet er. Häufig würden Eltern aber auch einfach gar nichts gegen den Konsum unternehmen. „Bei Konsumenten sprechen wir hier von Kindern aus ganz normalen Familien“, sagt Zehe. Natürlich sei Alkohol-, Drogen- oder Tabakkonsum auf dem Schulgelände nicht erlaubt, betont er. „Doch Lehrer und Schulleitung werden der Sache nicht mehr habhaft.“

Die Jugendlichen sind in der Regel schneller

Weiter berichtet Zehe: „Die Schüler verstecken sich, Drogen und Alkohol werden irgendwo gebunkert, oder die Konsumenten sind einfach nicht im Unterricht und schwänzen.“ Ruft die Schule die Polizei, sind die Jugendlichen in der Regel schneller: „Bis die Beamten hier sind, haben die schon alles verschwinden lassen.“ Und wegen Tabakkonsum rückt die Polizei sowieso nicht aus.

Personell ist die Polizei derzeit nicht gut genug aufgestellt, um sich der Drogenproblematik zu widmen, erläutert Gebhard Petry, Erster Kriminalhauptkommissar und stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Simmern. Für tiefere Ermittlungsverfahren seien fünf bis sechs Beamte nötig, die sich um nichts anderes kümmern. Zudem gebe es „den typischen Haschischverkäufer an der Ecke“ kaum noch. „Das ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt der Beamte.

Rauschgiftkriminalität sei eine extrem aufwendige Sache. „Dafür brauche ich Leute“, sagt Petry. Zumal sich der Handel mehr und mehr auf das Internet und das sogenannte Darknet verlagert hat, einen anonymen Teil des Internets. Dass sogenannte Legal Highs frei zugänglich im Internet bestellt werden können, sieht Petry als problematisch an. „Die kann jeder bestellen“, sagt er – obwohl der Konsum tödlich sein kann. Man wisse eben nicht, was wirklich in den Tüten drin ist. „Theoretisch müsste jedes Kraut einzeln chemisch untersucht werden.“

Zehe: “Wir können und dürfen da nicht wegsehen."

Für Konrektor Zehe erhärtet sich der Verdacht, dass die politischen Verantwortlichen lieber so tun, als gebe es überhaupt keine Drogen- und Suchtproblematik im Kreis. Doch für ihn steht fest: „Wir können und dürfen da nicht wegsehen.“ Wenn Jugendliche erst einmal Konsumenten seien, nutze alle Prävention nichts – und die Schulen hätten nur noch wenig Handlungsspielraum. „Das Ordnungsamt ist unterbesetzt, und wenn wir schulische Maßnahmen ergreifen, bringt das nichts“, sagt Zehe. Über Unterrichtsausschluss etwa würden Jugendliche nur lachen. Glücklicherweise stünden den Schulen zumindest stundenweise Schulsozialarbeiter und Hilfen für Erziehung zur Verfügung. „Das hilft schon sehr“, sagt Zehe. Letztlich müsse dann aber hauptsächlich die Schulleitung das Problem lösen.

Dass der Landkreis in Schulen flächendeckend sogenannte Hilfen zur Erziehung eingerichtet hat, sieht Michael Gutenberger, Leiter des Jugendamts der Kreisverwaltung in Simmern, durchaus positiv. Der Einsatz von Schulsozialarbeitern sei ebenfalls eine erste große Hilfe. Doch das Problem bleibt: Wenn die Schulsozialarbeiter eine Suchtproblematik feststellen, müssen auch sie auf Spezialisten zurückgreifen. Falle die Planstelle von Rebecca Kahl weg, könnte das den Rhein-Hunsrück-Kreis daher teuer zu stehen kommen, ist Gutenberger sicher. Denn neben der reinen Beratung betreut Kahl die Betroffenen und ihr Umfeld – also Angehörige und Familien – auf besondere Weise. Diese Arbeit geht weit über die reine Sucht- und Drogenberatung hinaus, weiß das Jugendamt. „Solche familienpädagogische Hilfen müssten ersatzweise eingekauft werden“, erklärt Gutenberger, da dies von vorhandenen Stellen nicht zu leisten ist. Somit sei der Erhalt des Case Managements der günstigere Weg. ces

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