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Remagen

Links gegen Rechts: Kriminologin sagt „Remagen ist nicht Hamburg“

Am Remagener Rhein-Ahr-Campus werden am Samstag Neonazis und Gegendemonstranten zum Tag der Demokratie aufeinander treffen. Doch wer sind diese Demonstranten aus dem linken Lager, die sich vehement gegen die Gesinnung der Neonazis stellen?

Lesezeit: 3 Minuten
Erwartet werden Antifa-Mitglieder, die vorrangig aus dem Rhein-Main-Gebiet, Koblenz und Bonn stammen. Sie planen eine Tanzdemo, rufen zum friedlichen Protest auf. Doch der Staatsschutz schätzt etwa 100 von ihnen als gewaltbereit ein, viele sind polizeibekannt. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Situation am Samstag eskaliert? Wir haben mit der Kriminologin ...
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Neonazis im Kreis: Ex-Chefs so vernetzt wie nie

Kreis Ahrweiler. Für Neonazis ist es das größte und wichtigste Treffen in Rheinland-Pfalz: der Trauermarsch in Remagen am Samstag, um angeblich der toten deutschen Soldaten in den Kriegsgefangenenlagern am Rhein zu gedenken. Der Aufmarsch findet zum neunten Mal in Folge statt. Der Staatsschutz geht von 250 Teilnehmern aus, das wären so viele wie im Vorjahr. Später am Tag soll zudem ein Rechtsrock-Konzert stattfinden mit vier prominenten Szenebands. Das Motto: „Verteidige Europa“. Den Ort geben die Veranstalter nebulös mit „Westeuropa“ an.

Nach Remagen kommt seit Jahren alles, was in der Neonaziszene Rang und Namen hat. Ehemalige Führungskräfte von Kameradschaften, die „Crème de la Crème des militanten Rechtsextremismus“, wie es ein Mitarbeiter des Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz ausdrückt. Er sagt weiter: „Da kommen einige Vorstrafen zusammen.“ Mindestens die Hälfte der Teilnehmer komme aus NRW, andere aus dem südlichen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, eine Minderheit aus der Region.

Auffällig ist für ihn, dass die Veranstalter, ehemalige Anführer des aufgelösten Aktionsbüros Mittelrhein (ABM), den Aufmarsch diesmal kaum beworben haben: „Sie versuchen, die Demo zu einem Eliteevent zu machen.“ Vornehmlich für die kämpfende Elite, die als Avantgarde voranschreite und mit dem Segen der schweigenden Bevölkerung handle. Je weniger Werbung, desto exklusiver wirkt die Veranstaltung.

Das alles zeigt: Das Braune Haus in Bad Neuenahr als Aktionsbasis mag es seit März 2012 nicht mehr geben. Ehemalige ABM-Mitglieder mögen monatelang in U-Haft gesessen haben und fünf Jahre auf der Anklagebank des Koblenzer Landgerichts; ehe der sogenannte ABM-Prozess Ende Mai wegen Überlänge vorerst platzte. Jedoch: Einzelne Strukturen sind noch da. Die ehemaligen ABM-Anführer sind etablierter und vernetzter denn je. Durch den Prozess sind sie als Angeklagte zu Märtyrern geworden und in der inoffiziellen Hierarchie der deutschen Neonaziszene ein paar Stufen nach oben geklettert, wie der Mitarbeiter des Beratungsnetzwerks sagt. Noch während des Prozesses sind einige ehemalige ABM-Leute zur NPD Mittelrhein gewechselt; einer der Anführer ist seit Jahren deren Kreisvorsitzender.

An manchen Tagen, an denen er nicht im größten Saal des Landgerichts saß, reiste er als Vortragsreisender durch Deutschland, berichtete vom vermeintlichen Unrecht, dem er und seine Kameraden ausgesetzt seien. Mitte August hat er in Berlin-Spandau den Rudolf-Heß-Gedenkmarsch mitveranstaltet. Die Polizei zählte rund 800 Teilnehmer. Sehr weit kamen diese wegen diverser Blockaden nicht.

Ende Oktober machte eine Delegation der NPD Mittelrhein einen Kurztrip nach Straßburg, um Udo Voigt zu besuchen, den Europaabgeordneten der Partei. Ganz offen zeigen sich ehemaligen ABM-Anführer und die Dortmunder Szenegröße Michael Brück bei einem Gläschen mit Voigt auf Facebook, berichten über ihre Eindrücke. Dort weiß die Seite der NPD Mittelrhein 1548 Unterstützer hinter sich, die Seite des Ablegers Junge Nationale Ahrtal gefällt 936 Personen in dem sozialen Netzwerk (Stand: 15. November).

Auch wenn die Neonazis in der Region nach wie vor verankert sind, gibt es keine Anzeichen für eine neue Zentrale à la Braunes Haus. Darin sind sich Szenebeobachter von Beratungsnetzwerk, Antifa Koblenz und Staatsschutz einig. Kathrin Süßenbach, zuständige Kriminaldirektorin im Koblenzer Polizeipräsidium, sagt: „Von einer organisierten Szene wie damals haben wir keine Kenntnis. Was in Hinterzimmern abläuft, können wir nicht beurteilen.“ Um das herauszufinden, habe die Polizei momentan keine rechtliche Handhabe.

Die Straftaten, die Neonazis in der Region zugeschrieben werden, liegen laut dem Fachkommissariat für Staatsschutzdelikte seit ein paar Jahren konstant im unteren zweistelligen Bereich. Darunter seien keine Gewalttaten, es gehe fast immer um Aufkleber und Graffitis mit verfassungsfeindlichen oder volksverhetzenden Symbolen.

Der Mitarbeiter des Beratungsnetzwerks meint, dass sich die hiesige Neonaziszene nach der Razzia und während des ABM-Prozesses zersplittert hat: Ein Drittel hat sich losgesagt, ein Drittel hält die Füße still und versucht, sich ein neues Leben aufzubauen – was mehr als 300 Verhandlungstage und U-Haft definitiv erschweren. Und das letzte Drittel, darunter die ehemaligen ABM-Anführer, ist weiterhin stark in der Ideologie verankert und setzt die ganze Energie in den Szeneaufstieg.

Ein Mitglied der Koblenzer Antifa sagt: „Unser Eindruck ist, dass die Szene wieder verstärkt Zulauf hat und aktiver wird. Das liegt auch daran, dass in Teilen der Bevölkerung Furcht und die Bereitschaft zur Radikalisierung stärker werden.“ Aber die Szene agiere insgesamt eher unter einem Deckmantel – auch wegen der Repression durch den Prozess.

Beim jährlichen Trauermarsch in Remagen indes treten die Rechten offen auf. Der Mitarbeiter des Beratungsnetzwerks ist sich sicher, dass dies auch nächstes Jahr wieder so sein wird. Klar sei: „Nichtbeachtung führt nicht zu einem Ende dieses Phänomens. Dafür gibt es keine einzige empirische Studie.“ Das Gegenteil sei der Fall: „Sie fühlen sich als Avantgarde und sind der Meinung: Wer nicht gegen uns demonstriert, sich nicht zeigt, denkt wie wir.“

Von unserem Redakteur Jan Lindner
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