Bürger-Wahlzeit in der Redaktion der Nahe-Zeitung im Idar-Obersteiner Kennedycenter: Antje Lezius (CDU) und Joe Weingarten (SPD), die beiden favorisierten Direktkandidaten für den Sieg im Wahlkreis Bad Kreuznach-Birkenfeld, stellen sich den Fragen von Menschen, die für ganz bestimmte Themen stehen. Im vierten Block geht es um die Pflegeproblematik.
Dazu befragt Carolin Totten aus Sulzbach, seit 2006 im Diakonie-Krankenhaus Kirn als Gesundheits- und Krankenpflegerin (früher hieß das schlicht Krankenschwester) tätig, die beiden Kandidaten.
Wobei es das Verb „befragen“ nicht in Gänze trifft: Die 33-jährige Mutter einer kleinen Tochter redet den beiden Kandidaten eher eindringlich ins Gewissen. Es macht sich schnell eine gewisse Betroffenheit breit – weil das Thema jeden treffen kann: „Es ist nicht fünf vor zwölf, auch nicht fünf nach zwölf, sondern halb eins.“
Und das gelte nicht nur für „ihr“ Krankenhaus, betont sie mit Nachdruck: Sie schätze ihren Arbeitgeber sehr, sei Teil eines großartigen Teams: „Es gibt aber keine Reserven für Spitzenbelastungen. Der Dienstplan ist so eng getaktet, dass kein Spielraum für Eventualitäten existiert: Wird jemand krank, gerät alles durcheinander. Urlaubspläne erstellen – eine Aufgabe, um die keine Stationsleitung beneidet wird.“
Ohne das ständige freiwillige Einspringen aus der Freizeit heraus, ohne das Übernehmen von Überstunden, wäre das ganze „Kartenhaus“ aus ihrer Sicht schon längst zusammengestürzt. Das Einspringen kann übrigens laut Gesetz abgelehnt werden: „Wenn der Dienstplan aushängt, gilt er. Da muss keiner anders arbeiten, als geplant.“ Die Arbeitgeber bauen aber auf das Helfersyndrom ihres Personals, das im Pflegeberuf nun mal ausgeprägt vorhanden ist: „Niemand will seinen Kollegen allein eine Schicht schieben lassen, man springt ein und hilft aus, weil man weiß, wie es ist, und weil man an die Patienten denkt. Die sind nämlich die Leidtragenden bei allem.“
Konkret heiße das: „Würde jeder nur Dienst nach Dienstplan machen und nicht einspringen, dann könnten die Kliniken permanent Dienste nicht besetzen. Nicht nur nicht minimal besetzen, sondern gar nicht besetzen. Das ist Fakt.“
Totten berichtet den Kandidaten von einer Flut an Formularen: Die Dokumentation insbesondere bei den Pflegepatienten, die nach den Kriterien als „hochaufwendig“ eingestuft werden, sei sehr zeitraubend, müsse ausführlichst erfolgen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) überprüft engmaschig Patienten-Akten und lehnt konsequent die Anerkennungen (und Bezahlung) ab, wenn ihrer Meinung nach nicht ausreichend genug dokumentiert wurde: Schreibtischarbeit ohne Ende, ohne sich um die kümmern zu können, die im Fokus stehen müssten: nämlich die Patienten, kritisiert Totten.
Für Weingarten ist die Pflegethematik die größte Herausforderung der nächsten Jahre, das sei ihm während des Wahlkampfs eindeutig bewusst geworden: Unter anderem setzt er sich dafür ein, funktionierende, moderne Technik zu nutzen, um der Dokumentationsbelastung zumindest teilweise den Boden zu entziehen: „Da muss man zunächst einmal investieren.“ Zudem müsse Geld ins System gesteckt werden: „Das werden wohl auch Steuermittel sein müssen.“
Lezius kommentiert: „Die Digitalisierung bietet in diesem Bereich Chancen. An rechtlichen Absicherungen führt ja kein Weg vorbei.“ Sie verweist auf Investitionen der Bundesregierung in Milliardenhöhe: „Es kommt vielleicht nicht so an der Basis an – oder auch noch nicht so an, wie das wünschenswert wäre.“ Viel sei nachweislich vor allem im Bereich der Altenpflege, der Pflege durch Angehörige und in der Hospizarbeit getan worden.
Weingarten weiter: „An der ganzen Problematik hängt auch der Schwanz der Krankenkassenpolitik hintendran. Und bei der jetzigen Gehaltsstruktur findet man kein Personal.“ Totten mahnt: „Die Schuld wird hier seit Jahren hin- und hergeschoben, ohne dass sich etwas ändert.“
Lezius räumt ein: „Es wurde viel zu lange nichts getan, weil man kein Geld dafür hatte. Das ist jetzt anders.“ Weingarten blickt in die Zukunft: „Wir reden hier über noch nicht überschaubare Summen. Man muss schrittweise vorgehen. Dazu kommt ja noch der Mangel an Allgemeinmedizinern und Fachärzten in der der ländlichen Region. Davon sind ja auch Bereiche im Kreis Birkenfeld massiv betroffen.“
In der Pflege muss es das Ziel sein, das Beste für Patienten und Heilberufe herauszuholen, sind sich die Kandidaten einig. Größten Respekt zollen beide den Frauen und Männern an der Pflegebasis, die hervorragende Arbeit leisteten.
Weingarten betont: „Es kann sein, dass wir in vier Jahren wieder hier sitzen, sich manches verbessert hat, es aber immer noch nicht reicht und wir noch draufpacken müssen.“ Vera Müller
Das sagen die anderen Bundestagskandidaten zum Thema “Pflege":