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Bad Sobernheim

Jonas wäre untergegangen: Mit Fingerspitzengefühl gegen den Schulfrust

Diplom-Pädagogin Sabine Bretzke-Scheid von der Realschule plus in Bad Sobernheim hilft Schülern, wenn es beim Lernen oder im Umgang mit Lehrern oder Mitschülern hakt.  Foto: Cordula Kabasch
Diplom-Pädagogin Sabine Bretzke-Scheid von der Realschule plus in Bad Sobernheim hilft Schülern, wenn es beim Lernen oder im Umgang mit Lehrern oder Mitschülern hakt. Foto: Cordula Kabasch

Die Schule ist ihm schwer auf den Magen geschlagen: Jonas (Name von der Redaktion geändert) ist einer der Schüler, die von Anfang an Probleme hatten. Zappelig, unaufmerksam, aggressiv: So präsentierte er sich schon in der Grundschule, blieb sitzen und hatte dann auf der weiterführenden Schule viel Ärger mit Lehrern und Mitschülern, bis er flog und auf der Realschule plus in Bad Sobernheim landete. Seine Eltern und er selbst waren verzweifelt. Dann vertraute sich Jonas Schulsozialarbeiterin Sabine Bretzke-Scheid an.

Lesezeit: 3 Minuten
„Das Kind wäre untergegangen. Ich hätte nicht gedacht, dass mein Sohn noch einmal die Kurve kriegt“, sagt Jonas' Mutter erleichtert. Sie sitzt auf dem Sofa im Büro der Schulsozialarbeiterin in der Realschule plus in Bad Sobernheim, dort, wo sonst die Jungen und Mädchen ihr Herz ausschütten und über Liebeskummer, Drogenprobleme ...
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Eine Chance für die Kinder: Cordula Kabasch kommentiert

Wer vom heutigen Schulbetrieb mehr kennt als nur den Pausenhof, der weiß, wie wichtig Schulsozialarbeit ist. Denn Schule ist längst vom Lern- zum Lebensort geworden, wie er komplexer kaum sein könnte. Überspitzt gesagt: In einer Klasse sitzen überbehütete Kinder neben denen, die Zuhause dem Fernseher überlassen werden.

Dazwischen sind alle möglichen Schattierungen vorhanden. Sie reichen von zahlreichen Herkunftsländern und Bildungsvoraussetzungen bis hin zu unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Der Klassenverband ist ein Zufallsmix geworden, den kaum mehr als das Alter der Kinder verbindet.

Diese Vielfalt ist freilich auch eine Chance. Sie kann das Leben bunter, internationaler machen, sie kann Toleranz und Verständnis fördern. Doch auf der anderen Seite schafft diese Heterogenität neue Problemlagen, die Lehrer und Eltern allein nicht mehr auffangen können.

Erziehungswissenschaftler haben die positiven Auswirkungen von Schulsozialarbeit längst belegt. Sie kann Kinder vor dem schulischen Abstieg bewahren, Motivation und Zuversicht stärken, sie kann Chancen verbessern. Wer dort den Rotstift ansetzt, läuft Gefahr, unsere Gesellschaft weiter zu teilen in (Erfolg-)Reiche und Arme, Gewinner und Verlierer.

E-Mail: cordula.kabasch@rhein-zeitung.net

Wenn es im Lebensort Schule hakt: Kreis will 1,1 Millionen ausgeben

Kreis Bad Kreuznach. Die Schulsozialarbeit an den Grundschulen und weiterführenden Schulen beschäftigt am kommenden Montag erneut die Politik. Im Kreistag wird dann darüber entschieden, ob die Schulsozialarbeit auch über 2018 hinaus fortgesetzt wird. Die dafür vorgesehenen Kosten von jährlich rund 1,1 Millionen Euro sollen zudem in den Haushalt 2018 eingestellt werden, was die Hälfte der freiwilligen Leistungen des Kreises umfasst. Landrätin Bettina Dickes (CDU) spricht sich klar dafür aus.

Als wichtigen Bestandteil der Schulbildung bezeichnet Bettina Dickes das Thema. „Ich bin eine klare Verfechterin der Schulsozialarbeit und werde entschieden dafür eintreten, dass der Landkreis diese auch in Zukunft an allen Schulen zumindest im bisherigen Rahmen ermöglicht“, erklärt sie auf Anfrage des Oeffentlichen Anzeigers. Der Kreisjugendhilfeausschuss hat bereits eine Empfehlung an den Kreistag gerichtet, die Schulsozialarbeit auf dem bisherigen finanziellen Niveau beizubehalten.

Heftig über Sperrvermerk diskutiert

Der dafür vorgesehene Betrag hat in den vergangenen vier Jahren nur leicht geschwankt und wird im kommenden Jahr am höchsten liegen, wenn der Kreistag zustimmt. Für 2018 sollen 1,135 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt werden. Zwischen 2014 und 2017 lag der Betrag zwischen 1,07 und 1,1 Millionen Euro.

Das Kreisjugendamt koordiniert die Projekte der Sozialarbeit und teilt den Schulen Zeitkontingente zu. Im Kreisgebiet gibt es insgesamt 24 weiterführende Schulen, davon 22 in Trägerschaft des Kreises. An allen wird vom Kreis Schulsozialarbeit ermöglicht. Dazu zählen neben den weiterführenden auch die Grund-, Förder- und Berufsbildenden Schulen, wobei die Grundschulen zum Teil zusätzliche Finanzspritzen aus ihren Verbandsgemeinden erhalten, um das Stundenkontingent aufstocken zu können.

Genau das hatte in der VG Bad Kreuznach zunächst für heftige Diskussionen und einen inzwischen aufgehobenen Sperrvermerkt geführt (wir berichteten). Die CDU-Fraktion hatte im VG-Rat darauf gedrängt, im Einzelfall zu prüfen, ob über die Arbeit der Lehrer hinaus Schulsozialarbeit notwendig ist, da gerade bei jüngeren Kindern die von den Lehrern angewandte Pädagogik im Vordergrund stehe, die einen wesentlichen Bestandteil des Studiums ausmache.

Dass Schulsozialarbeit notwendig ist, sehen auch Kinderärzte und Eltern so. Sie machten bereits Druck, forderten mit Unterschriftenaktionen eine Verlängerung des Angebots über 2018 hinaus. Denn die Schulsozialarbeit dient auch der Vorbeugung, um die Kosten der Jugendhilfe gering zu halten. „Schließlich geht es darum, die Schüler so zu unterstützen, dass ihnen das Lernen auch möglich ist“, erläutert Diplom-Pädagogin Sabine Bretzke-Scheid, die an der Realschule plus in Bad Sobernheim arbeitet.

Soziale Problemlagen wie Scheidung, Trennung oder der Verlust eines Elternteils können ihre Hilfe erforderlich machen. Gesellschaftliche Umstände wie eine zunehmende Berufstätigkeit von Eltern, höhere Erwartungen an die Kinder und weniger Freiräume zum Toben und Spielen sind weitere Faktoren, weswegen Sozialarbeit in den Schulen aus ihrer Sicht an Bedeutung gewinnt. Beratung, Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit, Gespräche mit Eltern und Krisenintervention sind dabei nur einige Punkte, die während und nach der Unterrichtszeit abgedeckt werden.

Bis zu 40 Stunden für die Kinder

Außerdem steht die Zusammenarbeit mit Jugendämtern, Erziehungsberatungsstellen oder Schulpsychologen im Mittelpunkt. Die Fachstunden für die Schulsozialarbeit an den weiterführenden Schulen in Stadt und Kreis sind dabei abhängig von der Schülerzahl und den Belastungsfaktoren. An den Realschulen plus und den Gesamtschulen variiert das Kontingent je nach Bedarf zwischen 0,5 (das entspricht 19,25 Stunden) und 1,3 Stellenanteilen. An den Förderschulen und Gymnasien steht nach Informationen der Kreisverwaltung ein Stellenanteil von 0,5 zur Verfügung.

Von unserer Redakteurin Cordula Kabasch

Mehr als 5000 setzen sich ein: Kommentare von Eltern und Schülern

Kreis Bad Kreuznach. Sie helfen bei Mobbing, Drogenmissbrauch und Problemen zu Hause: Schulsozialarbeiter sind in den Bildungseinrichtungen heutzutage gefragt. Wie hoch ihr Stellenwert ist, zeigen die Kommentare von Eltern und Schülern, die die Onlinepetition zur Weiterführung der Schulsozialarbeit unterschrieben haben. Ein Auszug:

  • „Inklusion funktioniert nicht ohne Schulsozialarbeit!“
  • „Schulsozialarbeit ist wichtig, gerade in unserer Zeit. So kann auffälligen Kindern geholfen werden. Je später desto schwieriger.“
  • „Die OECD hat wieder einmal zu Recht bemängelt, dass die BRD zu wenig vom Bruttosozialprodukt in Bildung investiert. Da Schule heute immer mehr Aufgaben der Erziehung der Eltern übernimmt (Alleinerziehende/beide müssen arbeiten) ist Schulsozialarbeit ein Kernstück der Begleitung von Kindern und Jugendlichen bis zu ihrem Schulabschluss.“
  • „Es wird höchste Zeit, dass eine entsprechende Finanzausstattung in unserem Bildungssystem erfolgt.“
  • „Dass man hier überhaupt etwas tun muss, ist ein Witz. Das sollte absolut selbstverständlich sein.“
  • „Lehrerinnen und Lehrer brauchen dringend Unterstützung.“
  • „In Zeiten, in denen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf meist zulasten der Kinder erfolgt, ist es umso wichtiger, zur Abfederung der Probleme Schulsozialarbeit dauerhaft anzubieten.“
  • „Es müssten auch noch mehr Sozialarbeiter eingestellt werden, um individueller arbeiten zu können.“
  • „ Die Zukunft liegt in unseren Kindern.“
  • „Mit viel Engagement wurde in den letzten Jahren ein soziales Unterstützungssystem in den Schulen aufgebaut, das Schüler, Eltern, Familien und Lehrkräfte vertrauensvoll und ganzheitlich begleitet und stärkt. Die Früchte der Schulsozialarbeit sind überall zu entdecken. Darum muss dieses Angebot nachhaltig gesichert werden und darf keinem Rotstiftdiktat zum Opfer fallen – um der Kinder und Jugendlichen, der Familien und auch Lehrkräfte willen.“

Sozialarbeiter sind unsere Ansprechpartner: Kinderärzte machen sich für Projekt stark

Kirn. Ein Thema beschäftigt zurzeit viele Lehrer, Eltern sowie Kinder und Jugendliche. Am Montag, 27. November, wird der Kreistag über die Fortführung der Schulsozialarbeit entscheiden. Das Projekt, das seit einigen Jahren sehr erfolgreich durchgeführt wird, läuft Ende 2018 aus. Schüler, Eltern und Lehrer kämpfen um die Weiterführung der Schulsozialarbeit.

Die Kinder- und Jugendärzte an Nahe und Glan unter Federführung von Kinder- und Jugendarzt Dr. Bernd Zerfaß aus Kirn haben ebenfalls eine Stellungnahme zur Fortsetzung der Schulsozialarbeit abgegeben. Unter den mehr als 5000 Unterschriften, die Landrätin Bettina Dickes übergeben wurden, waren auch viele von Kirner Schulen und aus der Praxis von Dr. Bernd Zerfaß. Er hatte diese dem Schulelternbeirat nach Bad Kreuznach geschickt, um zu zeigen, dass man gemeinsam für die Schulsozialarbeit kämpft. Der Arzt ist zudem als Elternvertreter Mitglied in der Steuerungsgruppe Schulsozialarbeit, die sich regelmäßig in der Kreisverwaltung in Bad Kreuznach trifft. Wir sprachen mit Dr. Bernd Zerfaß über die Schulsozialarbeit und sein Engagement.

Warum ist für Sie als Kinder- und Jugendarzt die Schulsozialarbeit so wichtig?

Meine Kollegen und ich haben bei unserer Arbeit täglich mit Kindern zu tun, die in ihrem privaten und schulischen Leben nicht klarkommen. Die Kinder haben physische Beschwerden und Krankheiten. Sie und ihre Eltern wollen dann einen Ratschlag von uns. Das sind unter anderem Lernschwächen, chronische Kopf- und Bauchschmerzen, das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom, Angst, Mobbing und Schulverweigerung, um nur einige zu nennen.

In all diesen Fällen ist der Schulsozialarbeiter für uns häufig der erste Ansprechpartner, denn die Wartezeit bei einem Kinderpsychologen beträgt oft bis zu einem halben Jahr. Das ist viel zu lang, denn die Probleme müssen sofort angegangen werden.

Warum ist Ihrer Erfahrung nach Schulsozialarbeit so besonders wichtig?

Die Schulsozialarbeiter sind für mich, wie schon betont, der erste Ansprechpartner bei den genannten Problemen. Sie genießen bei den Kindern, den Eltern und den Lehrern großes Vertrauen, was eine Vermittlung zwischen allen Beteiligten oft sehr erfolgreich macht. Sie unterliegen außerdem der Schweigepflicht, und das ist für alle, die Hilfe brauchen, ganz besonders wichtig.

Ich kann immer wieder feststellen, dass sich die Symptome verbessern. Außerdem mache ich die Eltern in der Sprechstunde auch darauf aufmerksam, dass sie sich mit dem Schulsozialarbeiter in Verbindung setzen können. Viele denken zunächst nicht daran und sind dankbar für diesen Hinweis. Bei der Steuerungsgruppe Schulsozialarbeit sind die Vertreter des Jugendamtes und der Fachhochschule Köln sowie Lehrer, Eltern und Ärzte dabei, die sich um eine Weiterführung bemühen.

Reichen die Schulsozialarbeiter aus oder müsste es noch mehr geben?

Zunächst einmal wäre der Wegfall der Schulsozialarbeit in unserem Kreis eine Katastrophe für die Kinder und Jugendlichen. Und ja – meiner Meinung nach müsste es noch mehr geben. Die Stunden, beispielsweise an den Grundschulen im Kreis, sind äußerst knapp bemessen. Das sollte aufgestockt werden, denn die Probleme werden nicht kleiner. Von der Fachhochschule Köln wird die Schulsozialarbeit im Kreis Bad Kreuznach wissenschaftlich begleitet, und die konnte und kann den Bedarf ermessen. Die Studienergebnisse wurden veröffentlicht und liegen der Kreisverwaltung vor. Das Ziel sollte sein, dass jeder Jugendliche einen Schulabschluss macht, um in unserer Gesellschaft eine Zukunft zu haben. Das wurde auch vor den Wahlen betont. Dafür brauchen wir die Schiene der Schulsozialarbeit. Deshalb ist es auch gut investiertes Geld, denn wenn die Jugendlichen keinen Arbeitsplatz bekommen, muss doch der Staat zahlen.

Was müsste sich ändern?

Mit den Schulsozialarbeitern müsste man vor allen Dingen fairer umgehen. Bis dato haben sie das Pro-blem, dass sie nicht fest angestellt sind, sondern immer nur befristet. Das ist für eine Lebensplanung nicht besonders dienlich. Deshalb appellieren wir als Kinder- und Jugendärzte an die Kreismitglieder, am 27. November für die langfristige Weiterführung der Schulsozialarbeit zu stimmen.

Das Gespräch führte Rosemarie Hartung

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