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Bad Kreuznach

Europäische Sonnenwende: Die seltene Pflanze gab es bei uns früher öfters

Von Christoph Erbelding
Sie ist sehr selten geworden, doch an den Reben des Weingut Hexamers wächst sie noch: die Europäische Sonnenwende. Foto: Karl-Heinz Fuldner
Sie ist sehr selten geworden, doch an den Reben des Weingut Hexamers wächst sie noch: die Europäische Sonnenwende. Foto: Karl-Heinz Fuldner

Als der Bad Kreuznacher Apotheker im Ruhestand Eduard Fey den Bericht unserer Zeitung über den Fund der Europäischen Sonnenwende unweit des Heimbergturms zwischen Schloß- und Waldböckelheim las, erinnerte er sich an das alte Buch des Lehrers Geisenheyner in seinem Archiv und kramte es hervor.

Lesezeit: 2 Minuten
Im Jahr 1903 war Geisenheyners Werk „Flora von Kreuznach und dem gesamten Nahegebiet“ bereits in der zweiten Auflage erschienen. Eine Informationsquelle, die nicht mehr so ganz aktuell ist, allerdings interessante Erkenntnisse liefern kann im Bezug auf die kürzlich an den Reben des Weinguts Hexamer (Meddersheim) entdeckte und in Deutschland sehr ...
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Hübsch – aber Vorsicht! Seltene Pflanze hält Experten und Weingut auf Trab

Karl-Heinz Fuldner war auf seiner Lieblingsstrecke unterwegs, als er eine bemerkenswerte Entdeckung machte. Der 67-jährige aus Boos joggt einmal pro Woche gerne zum Heimbergturm. Der Weg ist dann das Ziel für den Diplom-Biologen, er variiert lediglich ab und an seine Aufstiegsroute. Vor einigen Wochen führte ihn die Strecke zur Aussichtsplattform zwischen Schloß- und Waldböckelheim an den Reben des Weinguts Hexamer vorbei. Und das war Fuldners Glück.

Denn dort machte der Hobby-Botaniker, der sich im Naturschutzbund (Nabu) Bad Sobernheim engagiert, einen Fund, mit dem er in der Szene der Pflanzenkundler für Aufsehen gesorgt hat. Und nicht nur dort. Denn ihre Seltenheit, aber auch ihre giftige Wirkung war fortan an mehreren Stellen Thema.

Vom Aussterben bedroht

Am Ende der Zeilen eines Weinbergs sah Fuldner eine Pflanze, die er nicht klassifizieren konnte. Er griff sich daher einen Zweig und versuchte, diesen nach seiner Ankunft zu Hause genauer zu bestimmen. Er bat auf dem Portal naturgucker.de um Hilfe und bekam sie: Es handele sich um Europäischen Sonnenwende, teilte Fuldner ein Botaniker aus Berlin mit. Karl-Heinz Fuldner hatte eine Pflanze entdeckt, die in Deutschland zuweilen vom Aussterben bedroht ist.

„Ich konnte die Pflanze zunächst einfach nicht zuordnen“, verrät der Fuldner auf Nachfrage. Das verwundert kaum. Auf dem Internetportal naturgucker.de hatte es bis dato in den vergangenen Jahren nur zwei Nennungen der Europäischen Sonnenwende in Deutschland gegeben: eine aus dem Botanischen Garten in Frankfurt (31. Juli 2018), eine aus Eschelbach (Baden-Württemberg, 27. Juli 2016). Fuldner trug seinen Fund als dritten Beitrag ein. Und dann sorgte er dafür, dass noch zwei weitere Beiträge zu dieser seltenen Pflanze ergänzt wurden. Und die stammten ebenfalls aus dem Kreis Bad Kreuznach: Der 67-Jährige nahm Kontakt zu Rainer Michalski, dem Vorsitzenden des Nabu in Bad Kreuznach auf, berichtete diesem von seinem Pflanzenfund, und Michalski erinnerte sich daraufhin daran, dass er die Pflanze einst im Jahr 2008 selbst zweimal ausfindig gemacht hatte. Er hatte seine Funde jedoch nicht unter naturgucker.de veröffentlicht. Michalski war in Laubenheim und Bad Kreuznach auf Europäische Sonnenwenden gestoßen. „Ich hatte es damals schlicht vergessen, die Funde einzutragen“, betont Michalski, der seine Eintragungen nun nachholte.

Damit beziehen sich nun von fünf registrierten Funden der Pflanze in Deutschland auf naturgucker.de drei auf den Kreis Bad Kreuznach. An der Nahe scheint sich die Europäische Sonnenwende also besonders wohl zu fühlen. Dennoch musste Michalski staunen, als er von Fuldner informiert wurde. Immerhin waren seine Funde schon einige Jahr her.

Klassifizierungen sind schwierig

Zwar sei es eingedenk der ungemeinen Artenvielfalt immer schwierig, zu klassifizieren, wie selten ein Fund tatsächlich ist. „Natürlich wird es die Pflanze noch öfters geben. Wir fliegen ja nicht mit Hubschraubern umher und suchen fieberhaft nach dieser Pflanze. Der Fund hat aber definitiv einen hohen Stellenwert, weil es sich hierbei um eine seltene Pflanze handelt“, sagt Michalski.

Gestützt wird seine Einschätzung durch Daten auf dem Internetportal floraweb.de, das in den Jahren 1999 bis 2001 im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ins Leben gerufen wurden. Auf floraweb.de ist zu erfahren, dass die Europäische Sonnenwende nur noch in Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg regelmäßig auftritt, allerdings auch dort stark gefährdet (Rheinland-Pfalz, Hessen) oder sogar vom Aussterben bedroht ist (Baden-Württemberg). Unbeständig soll die Pflanze noch in Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Bayern vorkommen, in den übrigen Bundesländern ist sie nicht zu finden. Die Europäische Sonnenwende ist überhaupt die einzige Pflanze in der Gattung der Sonnenwenden, die auch in Mitteleuropa vorkommt – zumeist in Südeuropa (oft in Spanien, Griechenland, Portugal und Italien).

Dass sich die seltenen Funde immer wieder an der Nahe ergeben, liegt laut Fuldner einerseits an veränderten klimatischen Verhältnissen und andererseits an den Bodenbeschaffungen, die gerade in Weinbergen der Pflanze die Möglichkeit bieten, zu überleben. Michalski ergänzt: „Die Europäische Sonnenwende benötigt offene Böden, damit die Samen dort aufgenommen werden können.“ Die beiden Naturschützer sind nun natürlich dafür, dass der selten Pflanzenfund eine entsprechende Behandlung erfährt und geschützt wird. Gleichwohl: Die Pflanze, die der Mediziner Albrecht von Haller in seinem Lexikon von 1755 noch als dienlich gegen Warzen, Krebs und Geschwüre bezeichnete, ist erwiesenermaßen giftig, kann im schlimmsten Fall zum Tod durch Herzstillstand führen – wenn sie verzehrt wird. „Ansonsten hat sie keine Auswirkungen“, betont Michalski. „Außerdem können in Weinanbaugebieten mehrere giftige Pflanzen vorkommen, etwa Hahnenfußarten oder Klatschmohn. Das sollte also kein Argument sein, die Pflanze zu entfernen.“ Fuldner betont: „Die Pflanze hat gute Chancen, zu überleben und im kommenden Jahr erneut zu wachsen, wenn sie nicht entfernt wird.“

Ein Herz für die Sonnenwende

Aber wie sieht es das Weingut, an dessen Reben die Pflanze entdeckt wurde? Fuldner hat zeitnah mit dem Weingut Hexamer aus Meddersheim Kontakt aufgenommen. „Mir war die Pflanze schon aufgefallen. Die üblichen Sträucher kennt man, durch meine Ausbildung habe ich auch ein wenig Ahnung von der Thematik, diese Pflanze kannte ich nicht“, betont Winzer Harald Hexamer. Der Chef des Meddersheimer Weinguts betont: „Die Pflanze kommt nicht direkt mit den Trauben in Kontakt. Ich finde es bemerkenswert, dass so eine Pflanze auch im konventionellen Weinbau überleben kann.“ Sie wächst unterhalb einer Felswand aus Lavagestein – und profitiert von der Hitze, die diese Wand im Hochsommer zurückwirft. Für Hexamer ist klar, dass er die Pflanze weiter wachsen lassen möchte: „Wir werden nichts gegen sie unternehmen.“ Karl-Heinz Fuldner wird sie somit auch im kommenden Jahr wieder entdecken können. Bei seinen Joggingrunden zum Heimbergturm. Christoph Erbelding

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