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Autofreie Innenstädte: Folgt bald auch Bad Kreuznach? Eine Stimmungsabfrage

Zwar in der Innenstadt, aber derzeit das Gegenteil von autofrei: die Salinenstraße kurz vor dem Salinenplatz. Ob die Innenstadt autofrei werden könnte? Dazu gibt es in Bad Kreuznach viele verschiedene Meinungen. Foto: Stefan Butz
Zwar in der Innenstadt, aber derzeit das Gegenteil von autofrei: die Salinenstraße kurz vor dem Salinenplatz. Ob die Innenstadt autofrei werden könnte? Dazu gibt es in Bad Kreuznach viele verschiedene Meinungen. Foto: Stefan Butz

Überall wird sie diskutiert oder eingeführt: die autofreie Innenstadt. Spaniens Hauptstadt Madrid setzte das Konzept, Autos aus der gesamten Innenstadt zu verbannen, um, aber auch kleine Städte wie Hasselt (69.000 Einwohner) in Belgien oder Houten (Niederlande, 49.000 Einwohner) haben die Innenstadt in Gänze oder in Teilen den Fußgängern und Radfahrern zurückgegeben.

Lesezeit: 1 Minute
So wirklich neu ist die Forderung nicht, schließlich könnte man Fußgängerzonen als Beginn der autofreien Innenstadt sehen. Wir haben bei Vertretern von Politik und Wirtschaft nachgefragt, wie es um eine autofreie Innenstadt in Bad Kreuznach bestellt sein könnte. Ziel der autofreien Innenstadt: mehr städtische Lebensqualität entwickeln, weniger Abgase in der Luft. ...
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Nur freiwillig, kein Zwang

Als Mahnerin in Sachen autofreie Innenstadt positioniert sich die Bad Kreuznacher Oberbürgermeisterin Heike Kaster-Meurer (SPD). Die Region sei zu ländlich, der ÖPNV in Bad Kreuznach zu schwach für eine autofreie Innenstadt.

Es bestehe die Gefahr, dass sich die Kundschaft von außerhalb andere, mit dem Auto zu erreichende Ziele suche.

Dementsprechend wären die Auswirkungen einer autofreien Innenstadt wirtschaftlich katastrophal. Allerdings wäre sie auch „ein wunderbarer und wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und zur Gesundheitsförderung“. Zudem werde die Stadt attraktiver – aber ob dadurch der mögliche Wegfall von Auto-Touristen kompensiert werden könnte, bezweifelt die Oberbürgermeisterin.

Ideen zum Thema hat sie trotzdem: Für Anlieferer und Retter müssten die Straßen immer frei sein. Autos könnte man an Sammelpunkten abstellen – P+R samt Fahrradverleih. Das soll auf jeden Fall kommen. Aber als freiwillige Maßnahme. Nicht als Zwang.

Die ganze Stadt soll autofrei werden

Die wohl weitestgehende Position vertritt der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Er antwortete für die Bad Kreuznacher Greenpeace-Gruppe. Der VCD will nicht nur die Innenstadt sperren, sondern die ganze Stadt nicht mehr für Autos zugänglich machen.

Ansonsten würde man die Bewohner der Zufahrtsstraßen zur Innenstadt belasten und Innenstadtbewohner privilegieren, schreibt Hermann Holste vom VCD. Mobilität könne nur erhalten bleiben, wenn die Stadt den ÖPNV wieder selbst übernehme – im Zweckverband mit den Umlandgemeinden, die laut Holste allzu oft Menschen „mit billigem Bauland anlocken, dadurch mehr Steuern einnehmen und sich nicht darum kümmern, wie ihre Neubürger ihre Arbeitsstelle in Bad Kreuznach erreichen“.

Radverkehr auf allen wichtigen Verkehrsachsen, so wie es im integrierten Verkehrskonzept steht, müsse her. Radwege dürften dabei nicht auf Fußwegen eingezeichnet werden, sondern auf Fahrbahnen. Außerdem müsse flächendeckend Tempo 30 eingeführt werden. Negative wirtschaftliche Auswirkungen sieht Holste nicht, wenn die Umstellung langsam erfolgt. Bring- und Holdienste könnten bei Einkäufen helfen. Eine autofreie Innenstadt würde die Kurstadt attraktiver machen.

Keine Antwort auf Schlagwort

„Die CDU-Fraktion hat bezüglich des Verkehrs ein umfangreiches Maßnahmenpaket erarbeitet“, schreibt CDU-Fraktionschef Werner Klopfer als Antwort auf unsere Anfrage.

Einzelne Fragen beantwortet er nicht, da „autofreie Innenstadt“ ein Schlagwort und das Thema Verkehr zu komplex dafür sei.

Die Neustadt muss zuerst dran sein

Jürgen Locher von der Linken ist für eine autofreie Innenstadt, will Anwohner- und Lieferverkehr dort aber weiter ermöglichen. Auch „Zwischenstufen wie Zonen nur mit Anwohnerparken oder das Ausweisen einzelner Straßen im Innenstadtbereich als autofrei“ sind für ihn eine Option.

Die Parkhäuser würden das Areal jedoch bereits einschränken. Zuerst könnte laut Locher die historische Neustadt autofrei werden. Dafür müsse es preisgünstigen oder gleich kostenlosen ÖPNV geben, der Wohngebiete und Stadtteile besser anbindet.

Konkret könne man die Bushaltestelle am Bourger Platz direkt an die Wilhelmstraße verlegen, dem Radverkehr mehr Platz geben und wichtige Fußverbindungen wie den Löwensteg sofort erneuern. Auch P+R-Plätze für die Innenstadt wären laut Locher gut.

Er warnt allerdings vor reiner Verkehrsverlagerung – wie zum Beispiel bei der Ost-West-Trasse. Dies könne sogar negative Folgen haben. Geringere Höchstgeschwindigkeiten und bessere Straßen könnten sich hingegen positiv auswirken. Und aus Parkflächen könnten Grünanlagen werden.

Zudem plädiert Locher für gemeinsame Verkehrsflächen für alle und befürwortet Werbeaktionen. Zum Beispiel: eine Woche kostenfrei Bus fahren.

Erst ist ein Umdenken nötig

Für die BüfEp-Fraktion um Wilhelm Zimmerlin ist eine autofreie Innenstadt eine spannende Idee. Er verweist auf Konstanz als Vorbild. Nur die Fußgängerzone reiche da nicht. Dafür benötige es aber ein Umdenken in der Verwaltung, die lange Jahre nur autofreundliche Verkehrspolitik betrieben habe.

„Das sieht man besonders daran, dass es entlang der Stadttangenten keine brauchbaren und sicheren Wege für Radfahrer, Fußgänger und Rollstuhlfahrer gibt.“ Man müsse aber auch bei einer autofreien Innenstadt darauf achten, die Nahversorgung nicht zu kappen. Der Luftqualität würde eine solche Änderung gut tun – wenn man Ausweichverkehr vermeidet, ÖPNV und Radverkehr stärkt. Parkplätze würde man dort keine mehr benötigen.

Wilhelm Zimmerlin schlägt die Pfingstwiese als Großparkplatz vor. Für den kurstädtischen Tourismus würde er positive Auswirkungen erwarten. Zimmerlin betont: „Flanieren und Autoverkehr vertragen sich wie Hund und Katze.“

Gut für die Innenstadt

Lothar Bastian von den Grünen sieht wegen Klimawandel einerseits und Luftbelastung andererseits keine Alternative zur autofreien Innenstadt. Für ihn liegt das Areal „zwischen Hochstraße, Wilhelmstraße und Bahnlinie“, es „umfasst also Altstadt, Innenstadt und das Kurgebiet“. Dort soll nur Anwohnern, Handwerkern und Lieferanten die Zufahrt erlaubt sein.

Zudem benötige es einen besseren Bustakt und eventuell mehr Haltestellen. Bastian ist sich sicher: „Wenn die Gegenkampagnen der kurzsichtigen Auto-Fanatiker verklungen sind, wird sich gerade der Handel in der Innenstadt freuen, weil das Flanieren in einem fußgängerfreundlichen Stadtgebiet die Käufer wieder stärker in die Innenstadt locken wird – es entsteht also ein neuer Standortvorteil gegenüber den Gewerbegebieten am Stadtrand.“

Die bestehenden Parkhäuser will Bastian einbinden. Das Wassersümpfchen könnte bebaut werden, andere Parkplätze würden wegfallen. Die autofreie Innenstadt helfe auch dem Tourismus.

Untersuchungen für Kernbereich

Für Andreas Henschel von der SPD ist die autofreie Innenstadt vorstellbar – für den Kernbereich zwischen Rüdesheimer Straße und Bahnlinie, Wilhelmstraße und Schlossstraße.

Dazu benötige es aber intensive Untersuchungen. Zudem brauche es „ein gut ausgebautes Netz für einen öffentlichen Alternativverkehr“ und kostenlose Parkplätze an Haltestellen jenseits der Innenstadt.

So müsse verhindert werden, dass Kundschaft abwandere. Henschel setzt auch stark auf die digitale Vernetzung der Verkehre. Die autofreie Innenstadt könne „zu einer deutlichen Belebung des innerstädtischen Handels führen“. Schließlich werde die Aufenthaltsqualität gesteigert. Zudem gelte es, „parallel ein verbessertes Kultur- und Freizeitangebot zu bieten“. Parkflächen könnten komplett zurückgebaut oder zu Sammelpunkten für alternative Verkehre umgebaut werden. Touristisch könne man die autofreie Innenstadt als Alleinstellungsmerkmal bewerben.

Ein größeres beruhigtes Areal

Nur eine Erweiterung der Fußgängerzone um den Bereich der Salinenstraße kann sich die FDP um Jürgen Eitel vorstellen. Schließlich seien Fußgängerzone und Teile der historischen Neustadt bereits jetzt autofrei.

Dass Wilhelm- und Salinenstraße als Bundesstraße durch die Innenstadt führten, sei absurd. Dies müsse man ändern. Dann könne man eventuell auch die Wilhelmstraße einem verkehrsberuhigten Bereich hinzufügen.

Eitel macht deutlich, dass man in Bad Kreuznach einen 24-Stunden-ÖPNV benötige. Allerdings müsse man auch prüfen, dass rund um den verkehrsberuhigten Bereich genügend Parkplätze zur Verfügung stünden. Dann gebe es auch keine Probleme mit einer Ausweitung des autofreien Bereichs.

Allerdings müsse man über die Parkplatzzufahrten nachdenken. Im verkehrsberuhigten Bereich erwartet Jürgen Eitel weniger Lärm und Feinstaubbelastung sowie mittels dieses Bereichs positive Auswirkungen für den Tourismus.

Einer autofreien Innenstadt nicht abgeneigt

Einer autofreien Innenstadt nicht komplett abgeneigt ist Gunter Martini, bis zu seiner Pensionierung bei Mercedes-Schad in führender Position tätig und Sprecher der Bad Kreuznacher Automobilhändler.

Für ihn liegen die Vorteile klar auf der Hand: „Luftverschmutzung nimmt ab, Unfälle würden reduziert, mehr Platz auf den Straßen, mehr Platz für Begegnungen.“

Aber weniger Autos in der Innenstadt bedeuteten nicht nur eine erhebliche Veränderung, sondern zunächst einmal auch große Investitionen: in Infrastruktur, in ÖPNV, in neue lokale Wirtschaftszweige, in private Mobilitätsdienstleister. „Dies erfordert eine langfristige Planung für den nötigen Ausbau, um solch ein Szenario zur Realität werden zu lassen.“ Er ist sicher: „Für so eine Mobilitätswende findet sich schon heute ein großer Zuspruch.

Jedoch sollte man die heute schon vorhandenen Möglichkeiten, um die Innenstadt fußgängerfreundlicher zu gestalten, ausnutzen.“ Martini fragt, wieso Rossstraße und Mühlenstraße noch über die Mannheimer Straße für den Autoverkehr frei sind und wann die Salinenstraße eine Umgehung erhält. Er will aber auch sicherstellen, dass die „Freude am Autofahren“ erhalten bleibt – genauso wie die Bereitschaft zum „Kauf vor Ort“.

Kundenrückgang befürchtet

Skeptisch steht IHK- und Wirtschaftsjuniorengeschäftsführer Jörg Lenger der Idee der autofreien Innenstadt gegenüber: Schließlich sei der Stadtkern, Mannheimer Straße und Kreuzstraße, bereits autofrei.

Es fehlten jedoch Umgehungsstraßen. Eine autofreie Innenstadt könne zudem zu Kundenrückgängen beim stationären Einzelhandel und bei der Gastronomie führen, somit die Lebensqualität dort verringern und hätte nur dann positive Auswirkungen für die Umwelt, wenn dadurch keine zusätzlichen Verkehrsstaus hervorgerufen würden, die zu hoher Abgasbelastung führen.

Das sei aber die Gefahr, wenn der ÖPNV nicht ausgebaut werde. Zudem ist Lenger für günstigere Parkgebühren.

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