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Westerwald/Neuwied

Armbrustdrama führt zu weiterem Suizid: Welche Rolle spielte Sportclub?

Von Grün/Kühr/Hoffmann-Heidrich
Ein schauerliches Bild: Im Schaufenster der Hachenburger Kampfsportschule befindet sich diese blutbefleckte, gefesselte Puppe. Fotos: Sascha Ditscher
Ein schauerliches Bild: Im Schaufenster der Hachenburger Kampfsportschule befindet sich diese blutbefleckte, gefesselte Puppe. Fotos: Sascha Ditscher Foto: Sascha Ditscher

Vier Männernamen sind es, die bei den Recherchen nach dem Armbrustdrama von Passau immer wieder auftauchen. Zwei der Männer sind inzwischen tot: Neben Torsten W. aus Borod, der vor einer Woche zusammen mit zwei Frauen in einer Pension in Bayern aufgefunden wurde, ist die zweite Person Philipp W., ein Lehrer, der sich 2016 das Leben nahm.

Lesezeit: 4 Minuten
Der Fall sorgte damals für Aufsehen, weil der Pädagoge vor seinem Suizid einen Abschiedsbrief an zahlreiche Medien versandte – auch an unsere Zeitung. Philipp W. stand als Lehrer in Kontakt mit Carina U. aus Neunkhausen, einer 19-Jährigen, die am Montag zusammen mit einer 35-Jährigen tot in einer Wohnung im niedersächsischen ...
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Aussteiger packen nach Armbrustdrama aus: Wie Torsten W. die Menschen manipulierte

Westerwaldkreis. Nach den mysteriösen Todesfällen von Passau und Wittingen stellt sich die Frage, wie beide zusammenhängen. Dabei wird immer deutlicher, dass die Fäden bei Torsten W. aus Borod zusammenlaufen. Der 53-jährige Kopf der Hachenburger Kampfsportschule „Scorpion MMA & Muay Thai, boran“, Mittelalter-Fan und frühere Betreiber eines Mittelalter-Ladens ist offenbar die Schlüsselfigur im Armbrust-Drama. Doch wer war Torsten W., der in seinem Wohnort eher ein Unbekannter war und den Nachbarn als Mann beschreiben, der mit mehreren und wechselnden Gefährtinnen zusammenlebte? Ein früheres Mitglied der Kampfsportschule packt aus.

Der Grund dafür: „Ich möchte, dass die zwielichtige Rolle und die Machenschaften der Kampfsportschule gerade auch beim Verschwinden und beim Tod von Carina U. in den Fokus der Ermittler und der Öffentlichkeit rückt“, sagt die Aussteigerin Carmen S. (Name von der Redaktion geändert). Das tragische Schicksal der 19-jährigen Carina U. aus Neunkhausen, die als 16-jährige Gymnasiastin Mitglied der Hachenburger Kampfsportgruppe wurde, damit in den Dunstkreis von Torsten W. geriet und sich daraufhin von ihren Eltern lossagte, zeigt, welche unheimliche Macht der Westerwälder auf sein Umfeld ausübte. In einem Fernseh-Interview schildern Carinas Eltern, wie ihre Tochter dem Boroder verfiel, ihm geradezu „hörig“ gewesen sei.

Wie hat Torsten W. das geschafft? Die Insiderin Carmen S. schildert im Gespräch mit unserer Zeitung die Hintergründe. „Um das Jahr 2000 wurde ich Mitglied der Kampfsportschule von Torsten W.. Eine Freundin nahm mich mit dorthin“, erzählt Carmen S. (Name von der Redaktion geändert). Die Kurse gab Torsten W. zunächst in der Turnhalle in Höchstenbach, später zog die Schule in die Sportscheune in der Hachenburger Graf-Heinrich-Straße um. „Ich wollte einfach nur Sport machen. Anfangs fand ich es gut. Doch es wurde immer mehr Hardcore. Dreimal in der Woche drei Stunden Training. Wer nicht regelmäßig kam, bekam ins Gewissen geredet. Auch ich bekam das zu spüren. Wenn ich mal fehlte, ließ er mich das beim Training spüren und packte mich hart an“, schildert die 42-Jährige und fügt hinzu: „Es wirkte auf mich alles sektenartig und befremdlich. Zum Glück war ich für die ganze Masche nicht empfänglich. Dafür war ich zu kritisch, hatte eine große Klappe und vor allem ein gutes Elternhaus“, schildert sie selbstbewusst.

Torsten W. habe die Mitglieder der Gruppe um sich geschart und kontrollieren wollen. „Er wollte die Menschen beherrschen. Wir sollten auch unsere Freizeit gemeinsam verbringen. Er wollte alles wissen, wir sollten auch unsere Freunde mitbringen. „Er war charismatisch und zog mit seinen Geschichten auch die Männer in den Bann“, schildert Carmen S.. Schnell habe sie gemerkt, dass die großtuerischen Geschichten nicht stimmten. So habe Torsten W. erzählt, er sei Psychologe, konnte aber weder Abitur noch ein Diplom vorweisen. „Er gab nie Antworten, woher er kam oder was er gelernt hat. Ich weiß nicht, wovon er lebte. Immer wieder bat er seine Kunden um Geld“, erinnert sich Carmen S.

„Er hat schon damals zwei junge Frauen aus dem Raum Hachenburg um sich geschart, die ihm hörig waren“, sagt sie. Die Frauen seien devot gewesen. Er habe sie barsch behandelt, ihnen befohlen, Zigaretten zu holen oder die Halle zu putzen. „Sie haben alles gemacht, was er sagte“, schildert sie. Torsten W. habe auch ihr vorschreiben wollen, wie sie sich kleiden, schminken und die Haare machen sollte. „Ich sollte schwarze Sachen tragen und mir die Haare schwarz oder rot färben. Er hat mir sogar gesagt, was ich essen soll. Es war wie eine ganzheitliche Gehirnwäsche und Manipulation“, erzählt Carmen S.. Torsten W. sei selbstverliebt, ein Narzisst gewesen. „Er sagte ,Ich bin euer Meister', und wir mussten uns vor ihm verbeugen“, sagt sie.

Die Eltern ihrer damals noch minderjährigen Freundin mussten eine Erklärung unterschreiben, die darüber aufklärte, dass beim Training das Jungfernhäutchen reißen könne. „Das kam uns sonderbar vor. Er fragte auch, ob wir bereits sexuell aktiv sind“, sagt Carmen S., die dem Guru damals über den Mund fuhr und ihm antwortete, dass ihn das nichts angehe. Dennoch habe Torsten W. sie damals angemacht. Einmal sei sie alleine mit ihm beim Training gewesen. „Das empfand ich als sehr unangenehm“, sagt sie. Schnell sei ihr klar geworden, dass es sich bei dem Training nicht nur um Kampfsport handelte, sondern um Annäherungen sexueller Natur, fast schon sexuelle Nötigung. „Wir haben uns damals zuerst mit Ausdauertraining warm gemacht, dann ging es mit einem Sparringspartner weiter. Als sie in einer Schlüsselszene auf die Matte gelegt wurde und der Leiter der Kampfschule sich auf sie legte, habe sie sich nur noch durch einen gezielten Tritt zwischen die Beine retten können. „Danach habe ich sofort gekündigt und habe auch Freunde vor der Kampfsportschule gewarnt“, betont die Westerwälderin.

Auch weitere Kampfsportler haben die Gruppe vor einigen Jahren verlassen. Sie berichten: „Der Verein war zweigliedrig organisiert: Vorne im Raum fand das normale Training statt. Ab und zu hat Torsten W. schwächere, labilere Persönlichkeiten zu einem besonderen Training ins Hinterzimmer eingeladen.“ Torsten W. – eine widersprüchliche Persönlichkeit in einer Tragödie, in der viele Fragezeichen bleiben.

Von Nadja Hoffmann-Heidrich und Stephanie Kühr

Dojo in Hachenburg distanziert sich von Vorfällen

Nach den Vorfällen in Passau und Wittingen häufen sich im Sakurayama Dojo in Hachenburg, in dem japanische Kampfkunst unterrichtet wird, die Anfragen.

Betreiber Matthias Schütz und alle Mitglieder des Sakurayama-Dojo, ebenso die Lehrer und Schüler des in den Räumlichkeiten trainierenden Zanshinkai-Dojo erklären dazu, dass sie nie Kontakt zu den Opfern, deren Kampfsportverein, einer mittelalterlichen Organisation oder deren Mitgliedern hatten. „Unsere Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen“, heißt es weiter auf der Internetseite der Kampfkunstschule.

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