Rheingau-Taunus-Kreis

Raus aus alten Bahnen: Erste Fachtagung Gesundheit und Pflege des Rheingau-Taunus-Kreises

„Weg mit den alten Strukturen“: Referentin Jutta König setzte sich für eine Neugestaltung des Pflegealltags ein.  Foto: Rheingau-Taunus-Kreis
„Weg mit den alten Strukturen“: Referentin Jutta König setzte sich für eine Neugestaltung des Pflegealltags ein. Foto: Rheingau-Taunus-Kreis

„Die Not war ein guter Lehrmeister“, stellt bei der ersten Fachtagung „Gesundheit und Pflege im Rheingau-Taunus-Kreis“ Jutta König fest, schreibt der Landkreis über die Tagung. Und Jutta König muss es wissen, denn sie ist examinierte Altenpflegerin, war Pflegedienst- und Heimleiterin, arbeitet als Unternehmensberaterin und Dozentin sowie Sachverständige und engagiert sich in der Forschung, um die Digitalisierung im Pflegebereich voranzubringen.

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Während der Pandemie mussten in vielen Pflegeeinrichtungen mit „eingefahrenen, antiquierten Strukturen" und seit Jahrzehnten praktizierten und nach dem immer selben Muster vorgegebenen Tagesabläufen gebrochen werden, um die Situation zu meistern, so die Expertin. „Alle Bewohnerinnen und Bewohnern müssen jeden Tag um Punkt 9 Uhr gewaschen am Frühstückstisch sitzen. Das ist so und war schon immer so!“, erzählt sie. Für Individualität, Flexibilität, gar den Tagesrhythmus eines Menschen ist da wenig Platz.

Nächtliche Kontrollgänge der Pflegekräfte in den Einrichtungen müssen sein, auch wenn sie die Nachtruhe der älteren Menschen stört. „In Einrichtungen, die diese Kontrollgänge stark reduziert haben, waren die Bewohnerinnen und Bewohner viel ausgeglichener. Das hat eine Untersuchung ergeben!“, berichtet die Referentin wortreich.

Roboter ersetzt keine Pflegekraft

Organisiert wurde die Veranstaltung vom Kompetenzzentrum Pflege und der Gesundheitskoordination im Rheingau-Taunus-Kreis in Zusammenarbeit mit der Stadt Bad Schwalbach. Dabei ging es schwerpunktmäßig und das wichtige Thema der Gewinnung von Fachkräften in der Pflege: „Der Roboter ersetzt im kommenden Jahrzehnt nicht die Pflegekraft. Ich sehe in der Digitalisierung die Zukunft und in einem Aufbruch der verknöcherten Strukturen und von Arbeitsabläufen“, so die Expertin.

Jutta Königs Plädoyer ist der Moment während der Tagung doch eine Spur Leichtigkeit, Genialität und auch Witz erhält. Denn es geht um nicht weniger als um die Frage: Wer übernimmt die Betreuung der in den kommenden Jahren ansteigende Zahl an Pflegebedürftigen? Da erzeugen ihre Worte an diesem Tag einen Funken, der so etwas wie eine optimistische Aufbruchstimmung unter den circa 80 Anwesenden aus dem Pflege- und Gesundheitsbereich sowie Interessierten auslöst. Diese Stimmung sorgt in der Podiumsdiskussion jedoch auch für Forderungen. So soll „die Regulierungswut in der Pflege eingedämmt“, Freiheiten und Veränderungen zugelassen werden, wenn sie doch dem Wohlbefinden der Pflegebedürftigen dienen.

Jutta König kennt viele Pflegeeinrichtung aus eigener Anschauung, kennt die Dienstpläne und die sehr fest verankerten Tagesabläufe des Pflegepersonals. Das und die durchregulierten Arbeitsbedingungen lassen den Beruf der Pflegekraft als unattraktiv gelten. Deshalb fordert sie Mut für Veränderungen. Denn: „Es ist überraschenderweise gerade nicht die Bezahlung, die im Ranking der Wünsche an oberste Stelle steht“, sagt sie: „Gefordert werden Möglichkeiten einer optimalen Gestaltung der individuellen Arbeitszeiten sowie möglichst flexiblere Arbeitsbedingungen und abwechslungsreiche -abläufe insgesamt.“ Niemand wolle und könne „die Eier legende Wollmilchsau“ sein. Jutta König: „Also weg mit den alten Strukturen!“

Positive Rückmeldungen

Der Bedarf an Pflegekräften steigt im Rheingau-Taunus-Kreis nach den Berechnungen von Dr. Oliver Lauxen vom Institut für Wirtschaft und Kultur der Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt noch deutlich an. Schon aktuell sind viele Stellen im Gesundheits- und Krankenhaus-Bereich unbesetzt. Gravierender sieht es in der Altenpflege aus. Oliver Lauxen: „Es fehlen dort derzeit 118 Altenpflegerinnen und -pfleger und 36 Altenpflegehelferinnen und -helfer!“ Und mit steigender Zahl an Pflegebedürftigen bis 2035 steigt auch der Bedarf an Fachkräften weiter, gab Lauxen zu bedenken.

Zum Abschluss gab es eine Podiumsdiskussion mit den Referentinnen und Referenten, moderiert von Beate Sohl, der Gesundheitskoordinatorin im Kreis. Organisiert hatten die Fachtagung, für den es viel Lob vonseiten der Anwesenden gab von Elke Jörg-Pieper, Ellen Philipp und Carmen Mathias vom Kompetenzzentrum Pflege des Rheingau-Taunus-Kreises: „Die Fachtagung war sehr informativ. Interessante Vorträge. Wir nehmen viel Neues mit“, so zwei Teilnehmerinnen. red