Limburg

Apotheker Christian Hacker zum schlechten Ruf des Impfstoffs: „Astrazenaca schützt vor schweren Verläufen“

Anlässlich der aktualisierten Zulassungen für den Astrazeneca-Impfstoff hat sich Christian Hacker, Chefapotheker des St.-Vincenz-Krankenhauses, über die Wirksamkeit des Präparats geäußert.
Anlässlich der aktualisierten Zulassungen für den Astrazeneca-Impfstoff hat sich Christian Hacker, Chefapotheker des St.-Vincenz-Krankenhauses, über die Wirksamkeit des Präparats geäußert. Foto: Krankenhaus

Der Impfstoff des britisch-schwedischen Unternehmens Astrazeneca hat ein schlechtes Image und wird als Impfstoff zweiter Klasse abgestempelt. Viele halten ihn für minderwertig und wollen sich nicht mit einem ihrer Ansicht nach schlechteren Vakzin impfen lassen. Warum diese Vorbehalte nicht berechtigt sind, wie gut und wie wirksam Astrazeneca tatsächlich ist und warum man sich auf jeden Fall impfen lassen sollte, darüber hat sich der Leiter der Zentralapotheke des St.-Vincenz-Krankenhauses Limburg, Christian Hacker, im Interview geäußert.

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Ist Astrazeneca ein Impfstoff zweiter Klasse?

Nein, definitiv nicht, Astrazeneca ist kein Impfstoff zweiter Klasse. Er wurde dazu gemacht und zu Unrecht abgestempelt. Das kam durch die Vergleiche der Wirksamkeit. Bei Astrazeneca spricht man von einer Wirksamkeit von circa 70 Prozent, während die anderen beiden zugelassenen Impfstoffe Wirksamkeiten von 95 und 94 Prozent aufweisen.

Was genau ist in diesem Zusammenhang mit „Wirksamkeit“ gemeint?

Der Begriff „Wirksamkeit“ ist irreführend, weil seine Bedeutung mit der Alltagsbedeutung verwechselt wird. Wenn es um Impfstoffe geht, wird die Wirksamkeit durch einen Vergleich von Geimpften und Nicht-Geimpften bestimmt. In Fachkreisen versteht man unter Wirksamkeit ein relatives Risiko von Ungeimpften gegenüber Geimpften.

An Zahlen veranschaulicht bedeutet das: Von 100 Ungeimpften würden 20 erkranken und von 100 Geimpften nur noch sechs Personen. Dies entspricht dann der Wirksamkeit von 70 Prozent. Wenn man sich zusätzlich noch die Krankheitsverläufe im Einzelnen anschaut, wird man feststellen: Mit jedem Impfstoff schützt man sich vor schweren Erkrankungen und schweren Verläufen – egal, ob man sich mit Biontech, Moderna oder Astrazeneca impfen lässt.

Wie unterscheidet sich der Astrazeneca-Impfstoff von den anderen zugelassenen Impfstoffen?

Er unterscheidet sich sowohl im Impfstoffaufbau – es ist kein MRNA-, sondern ein Vektor-Impfstoff – als auch durch seine geringfügige Altersbegrenzung: Biontech ist ja schon ab 16 Jahren zugelassen, während Astrazeneca und Moderna erst ab 18 Jahren zugelassen sind. Aktuell hat das Robert-Koch-Institut aufgrund neuer Studiendaten aus England und Schottland nun seine Empfehlung geändert, sodass der Impfstoff auch für die Gruppe der über 65-Jährigen eingesetzt werden kann. Die neuen Daten belegen eindrücklich seine Wirksamkeit bei der Verhinderung von Covid-19-Erkrankungen und insbesondere bei der Verhinderung schwerer Krankheitsverläufe.

Warum war er bisher für diese Altersgruppe nicht zugelassen?

Das lag allein daran, dass für ältere Menschen noch nicht genügend Studienergebnisse vorlagen. Aber auch vorher schon bedeutete die Altersbeschränkung nicht, dass der Impfstoff bei älteren Menschen nicht wirkt. Grundsätzlich aber stellt dieses vorsichtige Vorgehen nachdrücklich unter Beweis: Bei einem zugelassenen Impfstoff können wir absolut sicher sein, dass er in der angegebenen Altersklasse verlässlich wirkt. Genau diese Sicherheit wollen wir ja haben.

Wie schwer kann man trotz einer Impfung erkranken?

Beim Astrazeneca-Impfstoff weiß man ganz eindeutig durch Studienergebnisse, dass nach der Zweitimpfung keine schweren Krankheitsverläufe mehr aufgetreten sind. Natürlich kann man sich infizieren und auch erkranken, auch wenn man mit Astrazeneca geimpft ist. Aber man hat auf jeden Fall keine schweren, sondern mildere, abgeschwächte Krankheitsverläufe. Studienergebnisse aus Großbritannien zeigen ganz klar 94 Prozent weniger Krankenhausaufenthalte sogar schon nach der ersten Impfdosis.

Ich bin geimpft: Kann ich trotzdem noch anstecken?

Das ist eine schwierige und heikle Frage. Erste Studienergebnisse aus Israel mit Biontech zeigen zwar, dass nach einer Impfung eine geringere Infektiosität vorliegt. Aber es gibt hierzu noch keine abschließenden Bewertungen. Wir müssen also nach wie vor aufpassen. Auch die Geimpften müssen nach wie vor die Abstandsregeln und Schutzmaßnahmen einhalten. Das ist ganz, ganz wichtig.

Schützt der Impfstoff auch vor Mutationen?

Man muss zugeben, dass es bei diesem Impfstoff Probleme mit der südafrikanischen Mutante gibt. Aber in Deutschland verzeichnen wir vor allem eine Ausbreitung der britischen Mutante. Der Astrazeneca-Impfstoff schützt nachweislich davor, und so kann mit dieser Impfung die Ausbreitung der britischen Mutante auf jeden Fall gestoppt werden. Deswegen ist es sinnvoll, sich jetzt mit Astrazeneca impfen zu lassen – einfach, um zu verhindern, dass uns das Virus links überholt und wir mit den Impfungen nicht nachkommen.

Kann nach einer Astrazeneca-Impfung eine Auffrischungsimpfung mit einem anderen Impfstoff erfolgen?

Also, wer sich jetzt für den Astra-Impfstoff entscheidet, trifft keine Entscheidung fürs ganze Leben. Man kann selbstverständlich bei späteren Auffrischungsimpfungen mit einem anderen Impfstoff geimpft werden. Die Grundimmunisierung sollte aber zunächst – bis weitere Studienergebnisse vorliegen – mit dem gleichen Impfstoff erfolgen.

Welche Impfreaktionen und Nebenwirkungen sind zu erwarten?

Wie bei allen Impfstoffen ist eine lokale Reaktion an der Einstichstelle möglich. Armschmerzen, Frösteln, Kopf- und Gliederschmerzen – das sind die gängigen Nebenwirkungen. Im schlimmsten Fall ist man ein oder anderthalb Tage schachmatt. Aber dann ist auch alles schon wieder vorbei.

Eine weitverbreitete Sorge bei jungen Frauen: Kann der Astrazeneca-Impfstoff unfruchtbar machen?

Ein klares Nein. Bei keiner Untersuchung im Rahmen der Zulassung gab es Hinweise darauf, dass es zur Unfruchtbarkeit kommen kann.

Es ist also definitiv ein Fehler, sich nicht mit Astrazeneca impfen zu lassen, wenn die Möglichkeit besteht?

Ich kann nur appellieren, sich auch mit Astrazeneca impfen zu lassen. Der Impfstoff hat zu Unrecht einen schlechten Ruf. Es ist ein verfügbarer, zugelassener, von der Stiko bewerteter Impfstoff, der vor schweren Verläufen schützt – ich kann nur dazu aufrufen, diese Chance zu nutzen. Ein amerikanischer Virologe hat auf die Frage nach der Wirksamkeit mit einer Gegenfrage geantwortet: Wollen Sie einen Impfstoff, der Sie vor Husten schützt, oder einen, der Sie vor dem Tod bewahrt? Dem kann ich mich nur anschließen. Denn Astrazeneca schützt vor schweren Verläufen und vor Beatmung auf der Intensivstation.