Bad Kreuznach/Birkenfeld. Seit wenigen Wochen ist er angekommen: Joe Weingarten, Nachrücker für Andrea Nahles im Bundestag. Der gebürtige Bad Kreuznacher mit den Jugendjahren in Weiersbach lebt heute in Alsenz, wenige Kilometer außerhalb seines Wahlkreises.
Der Sozialdemokrat und diplomierte Verwaltungswissenschaftler ist nicht neu im Bundestag, gehörte 1991 der SPD-Fraktion als Referent für Wirtschaftspolitik an, arbeitete ab 1992 in der Mainzer Staatskanzlei (Zukunftsfragen), war Geschäftsführer der Landesgartenschau Kaiserslautern und leitete ab 2010 die Abteilung Innovation, Technologie und Digitalisierung des rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministeriums. Die Stichworte beim Gespräch mit dem „Oeffentlichen“ am Montagabend:
Heimat: Er lebt im wenige Kilometer außerhalb des Kreises Bad Kreuznach gelegenen Alsenz, das mit Obermoschel eigentlich zum Bundestagswahlkreis 209 Kaiserslautern zählt. Fakt: MdBs haben keine Residenzpflicht, müssen nicht in „ihrem“ Wahlkreis wohnen. Und dennoch: Weingarten versteht den Wahlkreis 201 Bad Kreuznach/Birkenfeld als seine politische Heimat. „Ich bin in der Region verwurzelt und heimatverbunden, ich sehe und verstehe die Probleme der Menschen“, sagt der Vater dreier Kinder (20, 20, 30 Jahre). Er denkt daran, „Joes Stammtisch“ anzubieten, an dem er Bürger regelmäßig zum Themen- und Meinungsaustausch treffen will.
Ob lokal oder auf RLP-Ebene: Es habe ihm schon immer Spaß gemacht, für das Land zu arbeiten. Faszinierend sei etwa das Gespräch mit Boehringer-Chef Hubertus von Baumbach gewesen.
SPD-Fraktion: Fraktionschef Rolf Mützenich, Martin Schulz und Ulla Schmidt hätten ihn „sehr freundlich“ empfangen, andere Fraktionsmitglieder rieten ihm zu einer sorgsamen Wortwahl. „Klasse, dass du deine Meinung sagst“, habe man ihn ermuntert. Insgesamt habe er keine Feindseligkeiten erlebt. Durch die mediale Berichterstattung habe er zu Beginn eine gewisse Prominenz gehabt, „aber so wollte ich nicht weitermachen“, erklärt Weingarten. Will sagen: Ball flach halten, erst mal schauen, was da wo und wie in Berlin läuft. Er schloss sich dem Seeheimer Kreis, einer eher konservative Gruppierung innerhalb der SPD-Fraktion, an; die anderen beiden Gruppen sind die Parlamentarische Linke und das Netzwerk (Mitte).
Ausschüsse: In Berlin hat Weingarten zwei Ausschüsse im Blick: Im Gremium Digitale Agenda ist er Mitglied und damit für seine Fraktion bei diesen Themen auch Berichterstatter. Dem Ausschuss Wirtschaft und Energie gehört er stellvertretend an. Es sei nicht einfach gewesen, in diese Gremien einzuziehen, da Andrea Nahles, seine Vorgängerin im Bundestag, keinen Ausschusssitz innehatte.
Bundestag: Das Gremium mit momentan 709 Abgeordneten soll nicht weiterwachsen, denkt der neue MdB. Es zu verkleinern, würde jedoch bedeuten, die Wahlkreise größer zu fassen. Und das sieht Weingarten skeptisch, weil ein noch größeres Gebiet den Abgeordneten von den Menschen entferne und weil das die Politik verändere und Partei-„Apparatschiks“ nach oben bringe. Den Bundestag verkleinern in einer Zeit, da die Ministerien um 1500 Mitarbeiter gewachsen sind? Das belege die ständig zunehmende Aufgabenfülle sowohl für die Administration als auch für die Abgeordneten, so Weingarten weiter.
5-Prozent-Hürde: Bei 13 Prozent bewegt sich die SPD momentan in bundesweiten Umfragen. Der 32-Prozent-Hype zu Zeiten von Martin Schulz (Februar 2017) war schnell vorbei. Könnte die SPD 2021 etwa an der 5-Prozent-Hürde scheitern? So skeptisch ist Joe Weingarten nicht, die Partei vertrete eine Vielzahl an Themen, die die Bevölkerung beträfen, habe in der Großen Koalition einen bedeutenden Anteil umgesetzt. Die Dinge, die man beschließe, auch umfassend zu kommunizieren – darin sieht er eine wichtige Aufgabe. Die SPD habe nicht nur viele kleine Leute als Wähler verloren, sondern auch Facharbeiter. „Wir sind nicht nur eine Partei für Benachteiligte, sondern auch für Erfolgreiche, für die Leistungsträger.“
Fusion mit der Linken: Nachdem sich Oskar Lafontaines langer Schatten nach und nach verkleinert, wird über eine Fusion von Linken und SPD spekuliert. „Nicht vor Mitte der 20er-Jahre“, ordnet Weingarten eine mögliche Fusion frühestens um das Jahr 2025 ein.
Wahlkampf 2021: Grundrente, Pflege und Mindestlohn sind für den Abgeordneten, der mit seiner Frau Dorothea Kaleschke-Weingarten seine 101-jährige Mutter im Haus pflegt, drei zentrale Themen für den Wahlkampf 2021. Völlig unverständlich für ihn, warum die neue SPD-Spitze da Themen wie das Tempolimit propagiere.
Bildung: Rätselhaft ist auch für Weingarten, warum in den 16 Bundesländern an völlig unterschiedlichen Bildungsstandards und -organisationsformen festgehalten werde. Nicht zu unterschätzender Nebenaspekt: die Ferienbetreuung. Sie sei Aufgabe der staatlichen Bildungspolitik, „das kann man nicht einfach den Eltern zuschieben“.
Von unserem Redakteur Stefan Munzlinger