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Koblenz

Kleine Kämpfer: Frühgeborene haben oft keinen leichten Start ins Leben

Von Stefanie Braun
Die kleine Stoffhummel hatte Piet im Inkubator immer dabei.
Die kleine Stoffhummel hatte Piet im Inkubator immer dabei. Foto: Privat

Gerade mal 38 Zentimeter groß war Piet, als er auf die Welt geholt werden musste. Elf Jahre ist das nun her. Dem Jungen ist nichts mehr anzumerken. Wir haben zum „Tag der Frühgeborenen“ mit Piets Mutter gesprochen.

Lesezeit: 3 Minuten
Viel dran war noch nicht an dem bisschen Mensch, erinnert sich Kerstin Ax. Ihr Sohn Piet kam mehr als zehn Wochen zu früh auf die Welt – zwangsweise. „Ich hatte Bluthochdruck während der Schwangerschaft“, sagt die 44-Jährige. Für das ungeborene Kind wurde es irgendwann schwierig im Mutterleib – und für ...
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Eine Lunge wie ein Baum im Winter: Mediziner erklärt, welchen Problemen sich Frühchen stellen müssen

Jedes elfte Kind kommt in Deutschland zu früh auf die Welt, so lautet die Schlagzeile, die durch die Medien ging. Die Techniker Krankenkasse (TK) hatte hierzu eine Studie herausgegeben. Bereits im Jahr 2016 hieß es von der TK, dass sich die Anzahl der Kinder mit einem sehr geringen Geburtsgewicht in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt habe.

Manuel Ohlert, Oberarzt im Kemperhof.
Manuel Ohlert, Oberarzt im Kemperhof.
Foto: Stefanie Braun

Gründe seien das höhere Alter der werdenden Mütter, aber auch die steigende Zahl der Schwangerschaften, die durch eine künstliche Befruchtung zustande gekommen sind. Fast 9 Prozent aller Geburten sind Frühgeburten heißt es in dem TK-Bericht, schon 2016 lag die Frühgeborenen-Rate laut dem Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ bei 8,6 Prozent. Deutschland zählt damit europaweit zu den Spitzenreitern.

Auch im Kemperhof in Koblenz, das Teil des Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein ist, werden Frühgeborene behandelt. Jährlich kommen hier insgesamt rund 1500 Kinder zur Welt. Frühchen können direkt vor Ort in einer neonatologischen und pädiatrischen Intensivstation behandelt werden. Der Neonanotologe und Oberarzt Manuel Ohlert arbeitet seit 2014 auf der Station und ist zudem verantwortlich für die Neugeborenen-Intensivstation. Und weiß, wie vielfältig die Gründe sein können, warum ein Kind zu früh auf die Welt kommt: „Das hat fast etwas Schicksalhaftes.“ Es gebe nicht den einen Grund, der zu einer Frühgeburt führt, entsprechend könne man nicht eine wirksame Präventivmaßnahme ausarbeiten: „Sonst würden wir in der Medizin alles daran setzen.“ Ärzte hätten den Wunsch, eine Schwangerschaft so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, und die Anzahl der Frühgeburten weiter zurückzudrängen.

In Zeiten des demografischen Wandels keine leichte Aufgabe: „Es finden mehr Schwangerschaften in einem höheren Alter statt, teils durch künstliche Befruchtungen.“ Ab 35 Jahren steige die Wahrscheinlichkeit für eine Risikoschwangerschaft. Dies erhöhe das Risiko einer Frühgeburt, allerdings werde auch die medizinische Versorgung immer besser: „Zwar können wir viele Schwangerschaften heute deutlich verlängern, aber es gibt auch eine Tendenz zu Frühgeburten. Insgesamt bleibt die Zahl dieser jedoch konstant.“

Ein Kind gilt als Frühgeburt, wenn es vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren wird. Überlebensfähig seien die Kinder ab der vollendeten 22. Schwangerschaftswoche, allerdings überlebe trotz modernster Medizin und Versorgung nicht jedes Kind, sagt Ohlert. Denn die Probleme, denen sich das Neugeborene stellen muss, sind vielfältig. „Zwar sind alle Organe im Körper angelegt, aber keines ist voll ausgereift.“ Das fängt an bei der Haut: „Was für Neugeborene sonst schön und wichtig ist, nämlich die zärtliche Berührung durch die Eltern, kann bei Frühgeborenen durchaus Schmerzen verursachen.“

Auch das Gehirn sei noch mitten in der Entwicklung und werde durch die Frühgeburt abrupt aus seiner geschützten Umgebung gerissen: „Das verursacht Stress beim Kind und kann auch langfristig zu Einschränkungen bei der Entwicklung führen.“ Die Lunge vergleicht Ohlert im Gespräch mit Eltern immer mit einem Baum im Winter: „Die Knospen sind schon da, aber die Blätter, über die der Baum atmen kann, noch nicht.“ Zudem gebe es noch viele „Kurzschlussverbindungen“ zwischen Lunge und Herz. „Die Lunge hat im Mutterleib noch keine richtige Funktion, zudem ist sie noch nicht mit Sauerstoff gefühlt.“

Das Blut nehme deswegen keinen direkten Weg von Herz zu Lunge, um sich mit Sauerstoff aufladen zu lassen, sondern laufe über andere Verbindungen. Diese Kurzverbindungen schließen sich bei einem Frühgeborenen erst nach Wochen, bei einem älter geborenen Kind bereits innerhalb von Stunden bis Tagen. Auch der Darm habe im Mutterleib noch keine richtige Aufgabe, nach einer Frühgeburt müsse er jedoch sofort zur Tat schreiten. „Das Mittagessen eines Frühgeborenen ist in etwa 1 Milliliter Muttermilch – in diesen Dimensionen bewegen wir uns.“

Auch wenn die Haut noch unausgereift und dünn und sehr empfindlich ist, Kontakt zu den Eltern ist fast überlebenswichtig für das Kind: „Nach den ersten Schreckstunden sind die Eltern bei ihrem Kind, lesen im vor, erzählen Geschichten, streicheln es, lassen Kleidungsstücke in den Kästen, damit das Kind den elterlichen Geruch weiter wahrnehmen kann. Wir Mediziner können gar nicht so viel Gutes tun, wie der Kontakt zu den Eltern tun kann.“ Ohne förderndes Umfeld gedeihe kein Frühgeborenes gut, weiß Ohlert. Wichtig sei jedoch auch, dass Eltern eine Anlaufstelle haben, abseits von Ärzten und Kliniken: „Dass sich Eltern gegenseitig unterstützen, ist ein wichtiges zweites Standbein zur Medizin.“

Von unserer Redakteurin Stefanie Braun
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