Normandie

Zwischen Natur, Genuss und Geschichte: Hinterland der Normandie hat spannende Begegnungen und Eindrücke zu bieten

Von Elmar Hering
Sonntäglicher Markt in Rouen.
Sonntäglicher Markt in Rouen. Foto: Elmar Hering

Die Normandie, das sind nicht bloß der Mont-Saint-Michel, die großen Seebäder und die Erinnerung an die Landung der Alliierten vor 75 Jahren. Auch das Hinterland hat viel zu bieten, und daran haben die Wahl-Normannen, die Zugezogenen, einen nicht unerheblichen Anteil. Reisenden offen-bart sich ein Landstrich enormer Vielseitigkeit.

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Ein herrlich schattiges Fleckchen: Unter der großen Eiche der Domaine de la Lochetière lässt es sich aushalten.

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Heroine, Gaia und Églantine, die drei Percherons americaines der Familie Merel.

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Auf der Domaine de la Lochetière: Sylvia Merel liebt ihre Pferde.

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Die stattlichen Percherons americaines nehmen das Training ebenso ernst wie Pferdeflüsterer David Brondino.

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Kochen mit Gastgeberin Sylvia Merel.

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Mahlzeit: Zu Tisch bei Sylvia und Yann Merel.

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Der Familienbetrieb von Grégoire Ferré ist ebenfalls im regionalen Naturpark des Perche beheimatet. Aus hektarweise Äpfel wird Cidre und Calvados produziert.

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Frisch gebrannt hat der Calvados rund 70 Volumenprozent Alkohol. Durch die weitere Verarbeitung sinkt dieser Wert auf 40 bis 45 Prozent.

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Grégoire Ferré prüft seinen Calvados.

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Die Basilika Notre Dame ist Mittelpunkt des überraschend weitläufigen Wallfahrtsortes Montligeon.

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Hohlwege wie dieser sind typisch für den Süden der Normandie, die es versteht, alle erdenkbaren Grüntöne hervorzuzaubern.

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In Boissy Maugis (Departement Orne) hat sich die Österreicherin Ulrike Rudolf mit ihrem „Bistrot des Écuries“ einen Traum erfüllt.

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Typisches Fachwerkhaus im Marais-Vernier.

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Typisches Fachwerkhaus im Marais-Vernier unweit der Seine-Mündung.

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Im Marais-Vernier bietet Isabelle Hue geführte E-Bike-Touren an.

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Typisches Fachwerkhaus im Marais Vernier.

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Im Marais-Vernier ist der See La Grand'Mare mit seinem Aussichtsturm ein naturnahes Ausflugsziel.

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Pferde grasen an den Ufern des Binnensees La Grand Mare.

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Tierisch tierreich.

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Tierisch tierreich.

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Die Fischzuchtanlage von Marc Genet in Saint-Wandrille.

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Fischzüchter Marc Genet.

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Fischzüchter Marc Genet.

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Bruder Lucien führt durch die Abbaye Saint Wandrille de Fontenelle im Departement Seine- Maritime.

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Das Bier aus der Brauerei der nahen Abbaye Saint Wandrille.

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Der Hauptplatz der Altstadt von Rouen.

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Die große, astronomische Uhr ist eines der Wahrzeichen in der Altstadt von Rouen.

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Ein kleiner Platz in der Altstadt von Rouen, dem Maler Claude Monet gewidmet, der Ende des 19. Jahrhunderts im südöstlich gelegenen Giverny lebte.

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Großartig: die illuminierte Kathedrale von Rouen.

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Sonntäglicher Markt in Rouen.

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Sonntäglicher Markt in Rouen.

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Sonntäglicher Markt in Rouen.

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Die Normandie, das sind fünf Departements und darin vier regionale Naturparks. Abseits der Küste ist über weite Strecken die Landwirtschaft prägend. Einst hat sie der Region zu einem gewissen Maß an Wohlstand verholfen, davon künden Herrenhäuser, Höfe und Mühlen. Heute heißen die Schätze: Käse, Butter, Sahne sowie natürlich Cidre und Calvados (von den Einheimischen kurz Calva genannt). Das 40- oder 45-prozentige Cidre-Destillat füllt zum Beispiel im Familienbetrieb „La Maison Ferré“ zahllose Eichenfässer. Hier, im Naturpark des Perche, stehen die Obstbäume der Familie Ferré auf 35 Hektar, meist sind es die typischen, kleinen Apfelsorten, in geringerem Maße auch Birnen. Gut ein Drittel des Ertrages verarbeiten sie selbst – aus tonnenweise Äpfeln werden etwa 50.000 Liter Cidre. Dieser wiederum wird, an ungefähr zehn Tagen pro Jahr, gebrannt. Das Ergebnis ist klarer, 70-prozentiger Alkohol. Erst durch die jahrelange Fasslagerung entsteht der Calvados (geschützte Herkunftsbezeichnung).

So wie der klassische Calva in der Regel als Digestif genossen wird, so mangelt es auf der Getränkekarte nicht an Ideen für den Aperitif: als erfrischende Variante aus Cidre und ein wenig Cassis- likör (kir normand) sowie aus Calvados und Apfelsaft (pommeau).

Das Hinterland der Normandie ist aber nicht nur eine Agrarregion (auffällig: die bocage mit den schützenden Hecken zwischen den Feldern), es ist auch eine überwiegend katholische Gegend. Davon kündet nicht zuletzt die große Zahl der Kirchen, Klöster und Abteien. Dennoch sind die Dimensionen des Wallfahrtsortes Montligeon (Departement Orne) überraschend. Zentrum des geistlichen Werks der „Gebetsbruderschaft für die armen Seelen im Fegefeuer“ ist die riesige Basilika (erbaut 1896 bis 1911). Daneben spielte und spielt das soziale Werk eine wichtige Rolle – lange Zeit gab eine eigene Druckerei den Menschen aus der Region Lohn und Brot, heute bieten die „Ateliers Buguet“ (benannt nach dem Gründer der Bruderschaft) Platz für Werkstätten und ähnliches.

Nicht nur dort wird also auf Schritt und Tritt klar: Der Mensch lebt nicht vom Gebet allein. Und da kommen die Wahl-Normannen ins Spiel. Einige von ihnen stammen aus dem nahen Paris, bieten Unterkünfte und Kochkurse an oder betreiben empfehlenswerte Restaurants – vor allem im eher stillen Perche, sozusagen direkt vor den Toren der Hauptstadt. Diesen Traum hat sich auch Ulrike Rudolf erfüllt. Seit 2011 betreibt die Österreicherin in Boissy Maugis (Departement Orne) ihr „Bistrot des Écuries“ und setzt dabei auf Produkte aus der Region. Touristisch ist zuletzt, im wahrsten Wortsinn, viel Bewegung in diese Region gekommen, dafür sorgt nicht zuletzt der rund 425 Kilometer lange Radweg von Paris bis zum Mont-Saint-Michel (Véloscénie).

Wer sich stattdessen nordwärts hält und den Unterlauf der Seine ansteuert, der wird ein Stück Normandie entdecken, dessen unverwechselbare Fachwerk-Architektur gleichsam das Markenzeichen der Region darstellt. Das i-Tüpfelchen sind die reetgedeckten Häuser dieses alten Baustils, oftmals mit Irispflanzen auf dem Dachfirst (zwecks Feuchtigkeitsregulierung). Nicht umsonst gibt es im Naturpark „Boucles de la Seine Normande“ (Naturpark der Seineschleifen) die 53 Kilometer lange „Route des Chaumières“ (Straße der Reetdachhäuser). Für Naturfreunde ist dabei das Marais-Vernier, die größte Moorlandschaft Frankreichs, von besonderem Interesse. Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert legten holländische Arbeiter dieses Schwemmland der Seine trocken, schufen so nicht nur zusätzliche Wiesen, Weide- und Ackerflächen, sondern aus heutiger Sicht ein einmaliges Biotop auf rund 4500 Hektar. Vor allem Wasservögel fühlen sich dort wohl, Störche staksen durch die Wiesen, nicht weit entfernt grasen, in größerer Zahl, Pferde und Rinder. Und wenn im Juni der Flachs auf den Feldern blaut blüht, scheint der Himmel nah.

Farben und Licht der Normandie blieben von den Künstlern nicht unentdeckt. Maler wie Claude Monet (1840 bis 1926) fanden hier ihre Motive, machten den Impressionismus zum bestimmenden Stil ihrer Epoche.

Vieles davon fand seinen Niederschlag im nahen Rouen, der Hauptstadt der Normandie. Früher war die Stadt am Seine-Ufer ein Zentrum der Textilindustrie, heute zählt die quirlige Universitätsstadt rund 110.000 Einwohner. Architekturfans werden in der Altstadt dem zierlichen Fachwerk (colombages) wieder begegnen, auffällig ist aber auch die Vielzahl der Kirchen und Klöster. Rouen ist Bischofssitz. Drei Kathedralen liegen dicht beieinander, in der größten (erbaut vom 12. bis 16. Jahrhundert) misst allein das Hauptschiff stattliche 127 Meter Länge. Eines der alten Grabmäler ist Richard Löwenherz gewidmet, der der Stadt aus Liebe zur Normandie angeblich sein Herz vermachte. Nicht weit entfernt befindet sich die Rue Eau de Robec, die Straße der Färber. Dort lebte zeitweise der Schriftsteller Gustave Flaubert (1821 bis 1880) und sammelte Inspirationen für sein berühmtestes Werk „Madame Bovary“. Als dieses Buch 1857 erschien, lag ein Ereignis schon 426 Jahre zurück, das in Rouen bis heute sichtbar ist und unzählige Besucher anzieht: Am 30. Mai 1431 wurde Jeanne d'Arc im Alter von nur 19 Jahren auf dem Scheiterhaufen hingerichtet: Da nutzte ihr die Rehabilitation 25 Jahre später wenig. Fraglos ungebrochen ist die Anziehungskraft der Schutzheiligen, nicht nur für Franzosen.