Miami

Willkommen im Land der Alligatoren: Mit dem Sumpfboot über die Everglades

Von Annika Wilhelm
Weiß, wie er mit den riesigen Reptilien umzugehen hat: Tyler Riffel ist Experte für Alligatoren. Auf der Everglades Alligator Farm kann man die Tiere hautnah erleben, ob in Gefangenschaft oder in freier Natur.
Weiß, wie er mit den riesigen Reptilien umzugehen hat: Tyler Riffel ist Experte für Alligatoren. Auf der Everglades Alligator Farm kann man die Tiere hautnah erleben, ob in Gefangenschaft oder in freier Natur. Foto: Annika Wilhelm

Stark genug, um einen Menschen zu töten, aber in keiner Weise aggressiv – so beschreibt Tyler Riffel die Tiere, mit welchen er sich tagein, tagaus beschäftigt. Vielen jagt der alleinige Gedanke an die Reptilien mit dem wuchtigen Körper und den scharfen Zähnen einen Schauer über den Rücken – Tyler Riffel hingegen legt seinen Kopf gemächlich auf ihr Maul. Die Rede ist von Alligatoren, die in den Everglades im südlichen Florida beheimatet sind.

Lesezeit: 7 Minuten
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So gefährlich und unberechenbar die Prädatoren auch wirken, die eigentliche Gefahr der Everglades schwimmt nicht einmal im Wasser, sondern schwirrt durch die Luft: Stechmücken fühlen sich in dem tropischen Feuchtgebiet besonders wohl. Und nichts ahnende Touristen, die ihr Mückenspray zu Hause gelassen haben, sind ein leichtes Ziel. Eingesprüht von Kopf bis Fuß, geht es durch die Pforten der Everglades Alligator Farm – hier werden die Tiere nicht etwa gezüchtet, um später als Delikatesse auf dem Teller zu landen, sondern damit Touristen die Reptilien aus der Nähe kennenlernen können, in dem Gebiet, das den Tieren den perfekten Lebensraum bietet.

Wer sich nur auf Stechmücken und Alligatoren einstellt, ist hier jedoch falsch: Am Eingang grüßen gleich zwei Papageien mit einem krächzenden „Hi“, wenige Meter später folgen Stachelschweine, Leguane und Echsen, Enten und ein Emu, der bei den vorbeilaufenden Menschen interessiert nach Essen sucht. Der große Vogel ist nicht das einzige Tier, das Hunger hat: „Kommt schnell, die Fütterung wollt ihr nicht verpassen!“, schallt es vom Ende des Weges.

Der Emu scheint nicht kamerascheu zu sein.
Der Emu scheint nicht kamerascheu zu sein.
Foto: Annika Wilhelm

Ein blonder Mann macht auf sich aufmerksam, winkt die Besucher zu sich. Als Tyler stellt er sich vor, bester Freund der Alligatoren – jedenfalls derer, die auf dieser Farm beheimatet sind. Und seine besten Freunde wissen bereits, was sie jeden Moment erwartet, denn zahlreiche grün-gelbliche Reptilienaugen beobachten ihn aus einem abgezäunten Bereich.

Im Wasser liegen sie, scheinbar lauernd, zeigen gerade einmal ihre Augen und ihre breiten Schnauzen. Andere liegen an Land. Und zwar so still und ruhig, alle in einer ähnlichen Position und mit geradem Blick nach vorne, dass im ersten Moment der Gedanke kommt: Sind das echte Tiere, oder sind das Skulpturen? Kein einziger von den massiven Körpern bewegt sich, weder diejenigen, die auf dem sandigen Boden an Land liegen, noch diejenigen, die im Wasser auf der Stelle treiben. Nicht einmal, als Tyler eine leblose Ratte hochhält. Er holt aus, wirft sie – und erst, als das Fressen mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden prallt, regen sich die Kaltblüter.

Alligatoren jagen mit ihren Ohren.

Alligator-Experte Tyler Riffel

Aber lange nicht alle: Drei von ihnen stürzen sich mit geöffnetem Maul auf die Beute, einem gelingt es, sie hinunterzuschlingen. „Alligatoren jagen mit ihren Ohren. Darum attackieren diese hier erst, wenn die Beute auf den Boden fällt“, erklärt der Experte. Das sei auch der Grund, warum sie am liebsten im Wasser jagen: Wenn Beute ins Wasser fällt, macht diese viel mehr Krach. Eine Ratte trifft im nächsten Moment das Wasser – diesmal sind es keine drei Alligatoren, die sich regen, sondern so viele, dass das Zählen schwerfällt. Das eben noch stille Wasser schlägt inzwischen Wellen, während die Reptilien um die Ratte kämpfen. Kurze Zeit später ist es wieder still.

Riesenechsen mit Walnusshirn

Während Tyler erklärt, dass sich in diesem Bereich kaum männliche Tiere befinden, man diese aber an der Größe erkennen würde, wirft er die nächste Ratte – diesmal bewegt sich keines der Tiere. Der Grund ist ganz einfach, sagt Tyler: „In dem Moment, in dem die Beute auf den Boden gefallen ist, habe ich so laut gesprochen, dass sie es gar nicht gemerkt haben. Sie haben ein Walnusshirn.“ Einer der Alligatoren hat es aber wohl doch mitbekommen: Er robbt seinen massiven Körper an seinen Artgenossen vorbei und kriecht zu der Ratte, um diese schlussendlich zu verspeisen.

Acht Ratten bekommen die 500 Alligatoren an diesem Morgen. Ob das nicht zu wenige seien, fragt sich die Zuschauertribüne. Alligatoren sind Kaltblüter, sie essen nicht den ganzen Tag, und sie müssen auch nicht jeden Tag gefüttert werden. Alle zwei Wochen bekommen sie mit einem Gabelstapler eine riesige Menge Frischfleisch, „damit sie glücklich und fett bleiben“, erklärt Tyler. Als er die Tiere am Morgen füttert, ahnt noch keiner, dass er anderthalb Stunden später seinen Kopf auf dem Maul eines Alligators liegen hat.

Über die grasbewachsenen Gewässer gleitet man mit sogenannten „Airboats“, Sumpfbooten.
Über die grasbewachsenen Gewässer gleitet man mit sogenannten „Airboats“, Sumpfbooten.
Foto: Annika wilhelm

Auf der anderen Seite der Farm läuft bereits der Motor warm: Auf dem kanalähnlichem Wasser wartet ein eher ungewöhnliches Boot. Fünf Sitzreihen, ein hochgelegener Fahrersitz am Ende des Bootes und hinter ihm ein riesiger Propeller: Das Sumpfboot („Airboat“) soll eine Gruppe über die flachen Gewässer der Everglades gleiten lassen. Wer solch eine Fahrt wagen will, sollte besser Ohrenschützer tragen – kaum zieht man diese ab und hört den ohrenbetäubenden Lärm des Motors, lassen die Finger den Gehörschutz automatisch wieder zurück auf die Ohren brettern.

Schilder warnen bereits davor, ähnlich einer Wildwasserbahn: Es könnte nass werden. „Wer vorn sitzt, wird sogar klatschnass“, merkt der Fahrer an. (Vorweg: Auch in der letzten Reihe wird man nass.) Mit einem leichten Ruckeln setzt das Boot sich in Bewegung und fährt entlang der Mangroven. Exotische Vögel wie der Snakebird stehen am Rand des flachen Wassers, auf den Ästen der Bäume liegen Leguane. „Auf die freuen sich die Alligatoren“, schmunzelt der Fahrer des Bootes, der in erhöhter Position auf alles aufmerksam macht, das in dem Feuchtgebiet kreucht und fleucht.

Ein kleineres Exemplar eines Sumpfbootes.
Ein kleineres Exemplar eines Sumpfbootes.
Foto: Annika Wilhelm

Augen auf im Alligatorparadies

Einen Alligator in Gefangenschaft und in freier Natur zu erleben, sind zwei unterschiedliche Dinge. Und obwohl der „Fluss aus Gras“, wie man die Everglades bezeichnen könnte, ihr natürlicher Lebensraum ist, kann eine Fahrt mit dem Sumpfboot nicht garantieren, einen Alligator zu entdecken. Das Whale Watching von Südflorida – doch an diesem Tag haben die Mitfahrer Glück. Noch bevor es auf die offene Fläche geht, entlang der Mangroven, schwimmt ein Alligator, dessen Augen und Maul aus dem Wasser aufblitzen. Hinter einem Sicherheitszaun sind sie den meisten wohl lieber – auf dem Boot klammern sich in diesem Moment jedenfalls einige an dem Geländer fest, während andere ihren gespannten Blick von dem Tier nicht abwenden können.

„Festhalten!“, ruft der Fahrer laut genug, dass es durch die Ohrschützer durchdringt. Keine Sekunde später drückt er auf das Gaspedal und die gerade noch entspannte Fahrt wird zur rasanten. Eine ruhige, schaukelnde Bootsfahrt auf einem Fluss? Fehlalarm, auf einem Sumpfboot, das durch die Everglades rast, fühlt es sich eher wie auf einer Wildwasserbahn-Fahrt im Erlebnispark an.

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Über die grasbewachsenen Gewässer gleitet man mit sogenannten „Airboats“, Sumpfbooten.

Bullenreiten auf floridianisch

Adrenalin schießt durch den Körper, der Bauch kribbelt, das Gesicht verzerrt sich automatisch zu einem freudigen Lachen, während das Boot sich anfühlt, als würde es über das Wasser fliegen. Ähnlich wie bei der Sichtung des Krokodils: Einige umklammern das Geländer des Boots, aus Angst herauszufallen – Sicherheitsgurte gibt es keine –, andere werfen ihre Hände in die Luft. Währenddessen nach Alligatoren Ausschau halten? Unmöglich. Die Zugluft bringt die Augen zum Tränen, doch richtig nass wird es erst, wenn das Boot sich in die Kurve legt: Selbst in der letzten Reihe ist am Ende der Fahrt das T-Shirt klatschnass. Das ist aber nicht schlimm, die heißen Sonnenstrahlen trocknen es wieder. In nur 15 Minuten.

In freier Natur tauchen zwar keine Alligatoren mehr auf, dafür hat Tyler Riffel aber eine Überraschung: seine beiden Lieblingsalligatoren, Beauty und Steven. Die beiden leben getrennt von anderen Alligatoren, in einem extra Gehege, zu zweit. Jeden Tag trainiert Tyler seine beiden „Haustiere“. Barfuß, in Jeans und T-Shirt, steigt er in das Gehege, geht auf den Teich zu, in welchem die beiden 35-jährigen Reptilien liegen.

Tyler Riffel unter Freunden.
Tyler Riffel unter Freunden.
Foto: Annika Wilhelm

Beauty, die 80 Kilogramm schwere Alligatordame, sei gefährlicher als ihr Artgenosse. Sie ist kleiner, leichter, schneller. „Ihr Mutterinstinkt ist so stark ausgeprägt, dass sie sogar, wenn sie noch keine Babys hat, gefährlich wird“, erklärt Tyler. Sie betrachte ihn entweder als Bedrohung, die sie und ihre Babys fressen möchte – oder als Fressen für sich selbst. Ermunternde Worte desjenigen, der sich gerade etwa einen halben Meter von dem Prädatoren entfernt aufhält. Sobald er in das Wasser steigt, tauchen die beiden Alligatoren ab – und das nutzt Tyler, um nach dem Schwanz des Tiers zu greifen, es daran durch das Wasser zu ziehen und schließlich hochzuheben.

Wer ist hier der Chef?

Das Staunen des Publikums ist nicht unbegründet, doch Tyler legt eine Schippe drauf: Steven, das 150 Kilogramm schwere Männchen, hat nicht so viel Lust wie Beauty. Er wehrt sich regelrecht, sobald Tyler nach ihm greift – er zeigt keine Zähne, aber dafür kriecht er schneller wieder ins tiefere Wasser, als es seinem Trainer recht ist. Nach drei Versuchen gelingt es ihm: Den Alligator zieht er aus dem Wasser, positioniert ihn dort, wo er ihn gern hätte.

Tyler Riffel füttert Alligatoren, trainiert sie, verbringt wohl mehr Zeit mit den Tieren als mit Menschen.
Tyler Riffel füttert Alligatoren, trainiert sie, verbringt wohl mehr Zeit mit den Tieren als mit Menschen.
Foto: Annika Wilhelm

„Wisst ihr noch, als ich sagte, ich könne meinen Kopf an sein Maul halten und werde nicht gefressen? Mal sehen, ob Steven heute Hunger hat“, witzelt Tyler, bevor er das Maul des Alligators öffnet. Scharfes Einziehen der Luft aus dem Publikum: Der Amerikaner legt seinen Kopf auf das geöffnete, breite Maul des Alligators. Tosender Applaus aus dem Publikum. Noch eine Überraschung hat Tyler auf Lager: Alligatorenbabys, die die Zuschauer auf den Arm nehmen dürfen – und mit denen Tyler gern Quatsch macht: Er nutzt sie als „Telefon“. Alligatoren sind eben nicht aggressiv – auf Distanz oder wenn man Tyler Riffel ist.

Wissenswertes für Reisende

Zielgruppe: Miami ist geeignet für alle Altersgruppen, die warmes Wetter lieben.Beste Reisezeit: ganzjährig

Corona-Lage: Aktuelle Informationen und Reisewarnungen gibt es auf der Seite des Auswärtigen Amtes unter www.auswaertiges-amt.de

Unsere Ausflugstipps:

  • Wynwood: Streetartviertel mit kulinarischen Höhepunkten
  • Vizcaya Museum and Gardens: mediterrane Palastanlage inmitten von Miami
  • Fairchild Tropical Botanic Garden: tropische Pflanzen und Schmetterlingshaus
  • Schnebly’s Winery and Brewery: Weine aus exotischen Früchten (Lychee, Avocado, Mango und viel weiteres)

Unsere Autorin ist gereist mit American Airlines und hat übernachtet in The AC Hotel Miami Dadeland und Mayfair House Hotel & Garden. Diese Reise wurde unterstützt von Greater Miami Convention & Visitors Bureau.