Insel Langeoog: Von einem, der auszog, das Malen zu lehren

Anselm zusammen mit Malschülern in seinem Atelier. Er zeigt, wie mit Pastellkreide Langeoogs wilde Seite im Bild festgehalten werden kann.
Anselm zusammen mit Malschülern in seinem Atelier. Er zeigt, wie mit Pastellkreide Langeoogs wilde Seite im Bild festgehalten werden kann. Foto: Christina Nover

Wenn Anselm Prester sich in seinem Bett aufrichtet, kann er die Fischkutter sehen, die vor der Insel ihre Bahnen ziehen. Gemächlich pflügen sie durch die Nordsee, hinter ihnen ein Schweif aus Möwen. Vor der weiten See ein kilometerlanger Strand und Dünen, die sich mit weichen Rundungen in den Himmel schmiegen.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Von unserer Redakteurin Christina Nover

Das Gras auf den Dünen wiegt sich im Tanz mit dem Wind, Sand weht über die Holzbohlen, die zum Strand hinüber führen. Sein „Utkiek“ (Ausguck) nennt Anselm den hellen Raum mit den Dachschrägen, die bis zum Boden hinunterreichen. Ein Bett, ein Fernseher, eine alte, farbbesprenkelte Staffelei – viel Platz gibt es nicht. Doch die Weite wartet draußen. Ein Schritt, und Anselm steht auf seinem Balkon, der sich zum Meer hin öffnet.

„Ich lebe hier auf einem paradiesischen Fleck“, sagt Anselm, der in diesem Jahr Goldenes Inseljubiläum feiert. Vor 50 Jahren setzte er erstmals einen Fuß auf Langeoog und wurde von der unendlichen Weite der See in den Bann gezogen. „Das Meer hat mich von Anfang an fasziniert – ich bin in den Bergen groß geworden, da ist das Blickfeld immer eingeschränkt. Oder man muss sehr hoch hinaus.“

Anselm ist als Sohn eines Landschaftsmalers in Bayern aufgewachsen. Einige Aquarelle seines Vaters hat der 72-Jährige in seinem Utkiek stehen. Die Staffelei ist ebenso ein Erbstück. Der Junge aus Bayern führt das Werk seines Vaters fort, nur dass er nicht Berge und Seen malt, sondern Dünen, Strand und Meer. „Eigentlich fehlt hier alles, was einen Landschaftsmaler interessiert.

Ich konnte mir am Anfang gar nicht vorstellen, dass man hier überhaupt etwas malen kann“, erzählt Anselm, und Lachfältchen tauchen in seinem wind- und wettergeprägten Gesicht auf. Warum ist er geblieben? „Na, wegen der großen Liebe“, sagt er, und es fällt gar nicht schwer, sich den jungen Anselm vorzustellen, wie er seine Sachen packte und seiner Freundin folgte, die er am Tegernsee während der Militärzeit kennenlernte und die dort die Hotelfachschule besuchte. Ihrer Familie gehörten mehrere Gastronomiebetriebe auf Langeoog, und Anselm wurde nach seiner Ankunft auf der Insel direkt in den Familienbetrieb eingespannt.

Das alte Ehepaar – eines der bekanntesten Motive von Anselm – weist als Schild den Weg zum Atelier des Inselmalers.
Das alte Ehepaar – eines der bekanntesten Motive von Anselm – weist als Schild den Weg zum Atelier des Inselmalers.
Foto: Christina Nover

Wenn er Zeit hatte, versuchte er, Meer und Strand im Bild festzuhalten. „Am Anfang ist es mir unheimlich schwer gefallen. Dünen, das waren für mich Sandhaufen, auf denen ein bisschen Gras drauf wächst“, berichtet er von seinen ersten Erfahrungen. Er versuchte zu erspüren, was für die Besucher auf der Insel den Reiz ausmacht, nämlich das Gefühl, das sich beim Blick von den Randdünen aufs Meer einstellt. „Worauf es ankommt, sind nicht Formen und Farben, sondern Stimmungen, die im Spiel von Licht und Schatten entstehen“, erklärt Anselm. Und zwischen Thekenarbeit und Discobetrieb tastete sich der junge Mann langsam an sein neues Umfeld heran.

Anselm hatte schon mit 16 Jahren erste Bilder verkauft. Seine erste Kundin auf Langeoog, so erzählt er, sei die Sängerin Lale Andersen gewesen. Regelmäßig hatte sie Auftritte in der Strandhalle, in der Anselm arbeitete und bekam mit, dass er Maler war. Sie verliebte sich in das Porträt eines Bergbauern und wünschte sich einen Seemann. „Ich habe die Zeichnung genommen und dem Südtiroler Bauern einen Südvester auf den Kopf gesetzt“, so Anselm lachend. Kurze Zeit später hing der Bauer mit der Fischermütze bei Lale Anderson am Kamin.

Wenn der Inselmaler solche Anekdoten aus seinem Leben erzählt, hängen die Schüler seiner Malkurse an seinen Lippen. Ob Inselklatsch oder Geschichten über Hausfasan Fridolin, der dem Maler aus der Hand futterte und sich mit Dackel Muckl Rennen lieferte – zwischen Farbenmischen und Pinselstrichen bleibt immer auch Zeit für „Klönschnack“. Seit 1978 gibt Anselm schon Einblicke in seine Kunst. Zeichnungen, Ölgemälde und Bilder gemalt mit Pastellkreide – darauf hat sich Anselm spezialisiert. In Aquarell hatte er sich auch versucht, aber mit den Werken seines Vaters vor Augen war er mit seinen Leistungen nicht zufrieden. „Für Aquarell braucht man das richtige Gen“, sagt er heute, wenn er gefragt wird, warum er sich anderen Techniken zugewendet hat.

Eines seiner bekanntesten Motive ist ein altes Ehepaar – stets von hinten zu sehen. Sie im langen Kleid und blumenbesetzten Hut auf dem Kopf, er mit Haarkranz um die Glatze. Mal gehen sie am Strand entlang, mal zwischen den Dünen, und ein anderes Mal sind sie mit der Kutsche unterwegs. Warum er die beiden immer nur von hinten zeigt, erklärt Anselm so: „Das alte Paar soll für alle Omas und Opas stehen, aber eigentlich sind es meine Großeltern.“ Entstanden ist das erste Motiv als Unterstützung für den Förderverein, der sich für ein Seniorenhaus auf der Insel einsetzte. „Die Vorstellung ist schlimm, wenn man sich überlegt, dass Leute 70 Jahre ihres Lebens hier verbracht haben und dann die Insel verlassen mussten“, erklärt Anselm. Sein Bild des alten Pärchens zeigt den Wunsch vieler Insulaner: gemeinsam auf der Insel alt werden. Anselm nannte das Bild „Bliev hier“. Mittlerweile gibt es eine Seniorenwohnanlage mit genau diesem Namen auf Langeoog.

Anselm steht in seinem Atelier vor einer Staffelei, auf der ein halb fertiges Pastellbild thront. Seine Finger ziert Farbe, und auch ans Kinn sind Kreidereste gewandert. Vor ihm sitzen an einem langen Tisch mehrere Frauen, die ihr eigenes Werk mit dem des Malers vergleichen. Dünen, Strand, tosende See und ein wolkenverhangener Himmel – Anselm zeigt Schritt für Schritt, wie das Bild zu malen ist. Am Meer verzweifeln jedoch einige der Damen. „Ich merke, euch fehlt vollkommen die Vorstellung, wie solche Wellen aussehen“, meint Anselm lachend.

Während viele Touristen nur Frühjahr und Sommer auf der Insel kennen, weiß der Maler, wie die Welt auf Langeoog aussieht, wenn die Elemente einmal richtig losbrechen. „Bei Sturm verkriechen sich viele, aber ich liebe das – ich muss da raus und das Wetter mit allen Sinnen erspüren.“ Tosende Wellen, weiße Gischt, die den dunklen Himmel besprenkelt, alles festgehalten auf Papier oder Leinwand. Mit Anselms Hilfe können die Malkursbesucher auch ein Stück dieser Seite von Langeoog mit nach Hause nehmen. Und Anselm? Er bleibt dort. Atmet salzige Luft, lässt den Blick von seinem Utkiek aus über Dünengräser schweifen und malt.

Weitere Infos: www.anselm-atelier-am-meer.de