Thüringen

Eine Reise durch Thüringen zeigt: Im einstigen Todesstreifen steckt viel Leben

Von Elmar Hering
Schafe weiden da, wo sich einst Ost und West in Rufweite gegenüberstanden.
Schafe weiden da, wo sich einst Ost und West in Rufweite gegenüberstanden. Foto: Elmar Hering

Wer mit Bedacht reist, wer spannende Erzählungen sucht, wer sein Tempo drosselt, der trifft auf Menschen und Regionen mit Geschichte(n). Einen wahren Schatz hütet in diesem Sinne das westliche Thüringen. Über die Narbe des Kalten Krieges ist längst Gras gewachsen, heute genannt: das Grüne Band. Diese einzigartige Landmarke ist reich an Natur und Gedenkstätten, an Aussichten und Einsichten.

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Das Grüne Band erstreckt sich über eine Länge von 1393 Kilometern entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze von der Ostsee bis in Vogtland. Mehr als die Hälfte davon liegt auf Thüringer Gebiet. Mal ist es nur 50 Meter breit, mal 200.

Schon kurz nach dem Mauerfall 1989 wurde die Idee geboren, dieses Stückchen Erde mit seiner großen Artenvielfalt besonders zu schützen, vor zehn Jahren mündete diese Vision in verbrieftes Recht. Der einstige Grenzstreifen (Todesstreifen) der DDR ist heute ein Ort des Lebens, verbindet Biotope und schenkt Tieren und Pflanzen ein ruhiges Rückzugsgebiet.

An den meisten Stellen ist der ehemalige Grenzverlauf nur mit geübtem Auge und der Hilfe Ortskundiger zu erkennen. Die besten Anhaltspunkte liefert hier und da der frühere Kolonnenweg der DDR-Grenzsoldaten – Zäune, Kontrollstreifen, Sperrgraben waren dann nicht weit entfernt. So wie etwa bei Heldburg im südlichsten Zipfel Thüringens (nahe der Landesgrenze zu Bayern). Bäume und Sträucher sind heute beinahe so undurchlässig wie früher der Eiserne Vorhang.

In der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt.

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Krämerbrücke in Erfurt.

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In Erfurt

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Ein Ort zum Entspannen: Hof Sickenberg.

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Im Grenzmuseum Schifflersgrund.

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Im Grenzmuseum Schiffkersgrund.

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Im Grenzmuseum Schifflersgrund.

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Josef Keppler, Vorsitzender des Heimatvereins in Lindewerra, führt durch das Stockmachermuseum.

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Rundgang durch TReffort.

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Das herrliche renovierte Rathaus in Treffort.

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Prima Kanuanlegestelle an der Werra, in Probsteizella.

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Radeln entlang der Werra.

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Lutherhaus in Eisenach

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Eisenach, eines der alten Stadttore (ganz rechts).

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Gedenkstätte Point Alpha

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Gedenkstätte Point Alpha

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Gedenkstätte Point Alpha

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Die Arche Rhön

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Wanderführer Gerd Dietzel kennt sich bestens aus in der Rhön.

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Veste Heldburg

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Gerhardt Vogler ist ehrenamtlicher Wanderwegewart mit Leib und Seele.

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Spruch in der Kapelle der kleinen Gedenkstätte Billmuthausen.

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Gerhard Berghold in Billmuthausen, früher sein Heimatort, heute eine Gedenkstätte.

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Ohne zu übertreiben, lobt der örtliche Revierförster Kraft und Vitalität der Naturverjüngung, denn er weiß, dass die DDR-Grenztruppen einen chemisch verseuchten Streifen hinterließen, auf dem nichts wachsen sollte und auf dem erst Jahre nach der Wende dauerhaftes Grün gedieh. Im einstigen Sperrgebiet eröffnet heute ein üppiges Wegenetz neue Horizonte.

Förster Gerd Dietzel
Förster Gerd Dietzel
Foto: Elmar Hering

Nicht minder schön lässt es sich ein Stück weiter nördlich wandern, im Biosphärenreservat Rhön (reicht bis nach Hessen und Bayern hinein; empfohlen sei zum Beispiel der 175 Kilometer lange Fernwanderweg Hochrhöner). Doch nicht nur Wiesen, Wälder und Moore liegen auf der Strecke, sondern auch lohnenswerte Ziele wie die Arche Rhön (vor allem für Familien mit Kindern interessant) und ganz in der Nähe der noch relativ neue Aussichtspunkt Noahs Segel (auf dem 814 Meter hoch gelegenen Ellenbogen).

Nach so viel Grün kommt ein Abstecher in Zeiten des martialischen Schwarz-Weiß-Denkens gerade recht, die Gedenkstätte Point Alpha bei Geisa. Hier, wo sich einst Ost- und Westmilitär so dicht gegenüberstanden, wie fast nirgends sonst, wird zum Beispiel sehr gut ersichtlich, wie sehr die DDR ihre Grenze nach und nach undurchdringlicher machte – bis zur höchsten Ausbaustufe 1984. Für die Menschen auf Thüringer Seite war der Mai 1952 ein wichtiges Datum, denn eine damalige Polizeiverordnung deklarierte die letzten fünf Kilometer vor der Grenze zur „Sperrzone“ und die letzten 500 Meter zum „Schutzstreifen“. Wer dort lebte, sah sich einer rigiden Sonderbehandlung ausgesetzt. Bis 1961 wurden viele Menschen in andere Landesteile zwangsumgesiedelt, wer blieb, erhielt einen speziellen Stempel in seine Papiere. Häuser, ja ganze Dörfer, die im Schutzstreifen lagen, wurden geschleift, wie etwa das kleine Billmuthausen.

Der ehemalige Bürgermeister Gerhard Berghold
Der ehemalige Bürgermeister Gerhard Berghold
Foto: Elmar Hering

Der frühere Bürgermeister Gerhard Berghold erinnert sich: „Das Herrenhaus verschwand 1947 als Erstes.“ 1978 kam auch für die übrigen Häuser das Ende, „weil die Grenztruppen so wenig Personenbewegungen wie möglich hier wollten“. Berghold kann der Zeit ab 1960 aber auch Positives abgewinnen: „Die Zwangskollektivierung veränderte vieles; das war nicht das Verkehrteste“, sagt der ehemalige Leiter einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft für Nutztierhaltung und verweist auf Sozialversicherung und arbeitsfreie Tage.

Auch Wanderführer Gerhardt Vogler hat diese Zeiten miterlebt, weiß vom harten Leben im Sperrgebiet zu erzählen, von ständigen Kontrollen und Einschränkungen, von der Allgegenwart der Grenztruppen. Sein Kollege Gerd Dietzel aus Unterweid, Jahrgang 1955, schaut lieber auf das Gegenwärtige, freut sich über die lebendige Vielfalt im Biosphärenreservat.

Heute sind in diesem Landstrich eher Ruhe und Natur allgegenwärtig. In der Rhön etwa und im nördlich anschließenden Eichsfeld (Einheimische sprechen das „chs“ aus wie in Fuchs) wechseln sich aussichtsreiche Höhen mit wunderschönen Tälern ab; der Flusslauf der Werra ist auf manchem Kilometer sozusagen der blaue Faden im Grünen Band. Da wird auch eine wiederaufgebaute Brücke – wie im Stockmacherdorf Lindewerra – zum Stück deutscher Geschichte.

Wanderführer Gerhardt Vogler
Wanderführer Gerhardt Vogler
Foto: Elmar Hering

Deren Zeugnisse sind, neben der Natur, der qualitätsbewussten Gastronomie und der ländergrenzenübergreifenden Zusammenarbeit, heute eine Stärke der Region. Wer will, kann etwa in der nahen Wartburgstadt Eisenach Martin Luther, Johann Sebastian Bach und der heiligen Elisabeth begegnen. Wer sich mehr für die Historie des DDR-Grenzregimes interessiert, wird zum Beispiel im Grenzmuseum Schifflersgrund (bei Bad Sooden-Allendorf) nicht nur an gescheiterte Fluchtversuche erinnert. Allein der Hinweis, dass die berüchtigten und zugleich teuren Selbstschussanlagen (Apparat 501 / SM-70) nur in 0,3 Prozent der Fälle tatsächlich von flüchtenden Menschen ausgelöst wurden, macht deutlich, in welcher Schieflage sich die DDR befand, nicht zuletzt auch ökonomisch. In diesem Sinne hat auch die Landeshauptstadt Erfurt Lehrreiches zu bieten, etwa die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in einem Gebäude, das ehemals als Gefängnis und Stasizentrale diente.

Doch zurück zum Grünen Band: Auch wer auf den Wegen bleibt, wer vielleicht vergebens Ausschau hält nach Sonnentau und Knabenkräutern, nach Rhönschaf und Birkhuhn, wird reich belohnt. Naturnähe, Artenvielfalt und die herzlichen Menschen sind die eine Seite der Medaille, die andere, das sind Orte des Erinnerns, des Nichtvergessens, der Unfreiheit. 30 Jahre nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung sind das beileibe nicht nur Wegmarkierungen.

Von Elmar Hering

Reise-Tipp: Entschleunigung auf dem Werratal-Radweg

Mehr als 300 Kilometer lang ist der WerratalRadweg – ein familienfreundlicher und gut beschilderter Fernradweg. Als besonders reizvoll gilt die durchweg asphaltierte Kurzetappe von Mihla nach Treffurt.

Trotz aller Kurven und Winkel verliert der Radler fast nie das Flussufer aus dem Blick. Eine wohltuende Entschleunigung. Unterwegs sorgen markante Zwischenstopps für zusätzliche Aufmerksamkeit, etwa die Thomas-Müntzer-Kanzel (1525 soll der Bauernkriegsführer von diesem Felsvorsprung aus zu den Bauern gesprochen haben) oder der Landgasthof und das Gestüt im nahen Probsteizella (guter Anlegeplatz für Kanus). Wer mit Radwanderführer Mario Hirt unterwegs ist, der merkt schnell: Diese Gegend hat viele Geschichten zu erzählen.

Und noch ein Tipp: Auch wenn das Umland recht hügelig ist, so bildet der Werratal-Radweg doch ein flaches Band, welches Radfahrer auch ohne E-Motor genießen können.

Wissenswertes für Reisende

Zielgruppe: Das thüringische Grenzland zu Bayern, Hessen und Niedersachsen ist geeignet für Menschen, die gern wandern, Rad fahren oder paddeln und Interesse an Geschichte haben. Zahlreiche Attraktionen und viel Natur warten auf die Touristen. Beste Reisezeit: April bis Oktober

Unsere Ausflugstipps:

  • Veste Heldburg im Heldburger Unterland (genannt „Fränkische Leuchte“, Deutsches Burgenmuseum; stellt Entwicklung und Funktion von Burgen überregional dar; Führungen möglich).
  • Arche Rhön: Die Erlebniswelt Rhönwald thront wie ein Schiff auf dem Berg (Weidberg bei Kaltenwestheim). Interessant vor allem für Kinder. Die Ausstellung vermittelt Wissen über Natur, Hand-werk und Geologie der Rhön.
  • Stockmachermuseum in Lindewerra (ehemaliges Grenzdorf nahe Bad Sooden-Allendorf): Seit 1980 dreht sich in einer alten Werkstatt alles um dieses Handwerk (außer sonntagnachmittags Voranmeldung nötig, Tel. 036087/983 00).

Unser Autor ist gereist mit der Deutschen Bahn und hat übernachtet in drei Hotels in Römhild („Zum Hirsch“), Eisenach (Thüringer Hof) und Heiligenstadt (Jüdenhof).

Diese Reise wurde unterstützt von der Thüringer Tourismus GmbH. Infos: www.thueringen-entdecken.de

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