Zeitreise ins Reich von Ramses

Ramses II. ließ sich bei Abu Simbel in Ägypten einen Tempel in den Fels hauen (Foto) – und daneben einen zweiten für seine Lieblingsfrau Nefertari, Monument einer großen Liebe.
Ramses II. ließ sich bei Abu Simbel in Ägypten einen Tempel in den Fels hauen (Foto) – und daneben einen zweiten für seine Lieblingsfrau Nefertari, Monument einer großen Liebe. Foto: Peter Seel

Eine Kreuzfahrt auf dem Nil ist sicher nichts für Morgenmuffel. Nicht, dass man in den komfortablen Kabinen an Bord von Schiffen wie der „Zeina“, dem Juwel des Nils, nicht bis mittags ausschlafen dürfte, nicht nachmittags auf dem Sonnendeck am Pool liegen könnte und den gewaltigen Strom beobachten, wie er nach Norden zieht.

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Von unserem Redakteur Peter Seel

Doch wer eine Nil-Kreuzfahrt unternimmt, der würde das Wichtigste versäumen, wenn er nicht ein halbes Dutzend jener Ausflüge mitmachen würde, die oft in aller Frühe beginnen und mitten hinein (ent-) führen in eine jahrtausendealte Geschichte, in ein Reich aus Götterglaube und Mythen, aus Königsmacht und Baukunst – zu Stätten wie in Karnak, Luxor, Theben, Abu Simbel oder ins Tal der Könige. Überall erwarten den Reisenden Momente, die er nie mehr vergessen wird, die ihm den Atem verschlagen und die jedes frühmorgendliche Weckerläuten wert sind.

Zeugnisse der Ewigkeit

Gewaltig ragen an all diesen Stätten Wände und Säulen empor, geht es in kathedralenhafte Tempelanlagen, zu architektonischen Wunderwerken, prachtvoll ausgestattet mit Bildern und Hieroglyphen, die Menschen in den Stein meißelten und ausmalten, als ihre europäischen Zeitgenossen noch in Fellen und mit Keulen durch dunkle Wälder zogen. Die Zeichen der alten Ägypter berichten von gottgleichen Königen, erzählen von Reichen, Schlachten, Macht – und von der Vergänglichkeit alles Irdischen, davon, dass kein Palast, kein Tempel, kein Monument die menschliche Endlichkeit besiegen kann. Oder doch? Diese Mauern immerhin sind geblieben, steinerne Zeugen der Sehnsucht unserer Spezies nach Ewigkeit.

Nein, bei einer Schiffsreise von Luxor nach Assuan, über den oberen Nil also, bekommt man die Pyramiden nicht zu sehen. Die stehen 500 Kilometer weiter nördlich bei Kairo. Hier, im ruhigeren Süden, braucht man sie auch nicht – denn mit den Eindrücken dieser einwöchigen Reise hat man genug zu verarbeiten. Vom Flughafen in Luxor, wo der ägyptische „Winter“ den Gast mit traumhaftem Sommerwetter empfängt, wird man gleich zur Einschiffung an den Nil gebracht.

Für eine Woche, wahlweise auch länger, geht es von Luxor mit dem nostalgischen Flusskreuzer nilaufwärts, je nach Reiseplanung folgen Stopps in der Nähe der Sehenswürdigkeiten – oft im Preis inbegriffen, andere gegen moderate Aufpreise. Gleich in Luxor empfängt uns eine der imposantesten Tempelanlagen, mitten in der Stadt, geweiht dem Gott Amun, seiner Gemahlin Mut und ihrem Sohn, dem Mondgott Chons; davor die berühmte Allee aus Sphinxen und einer – von einstmals zwei – Ramses II. gewidmeten, 22 Meter hohen Obelisken. Den fehlenden hat 1835 der ägyptische Vizekönig an Frankreich verschenkt. Während die Säule in Paris bis heute das weithin sichtbare Wahrzeichen des Place de la Concorde ist, fällt ihr Ebenbild in Luxor angesichts der umgebenden 3500 Jahre alten Gemäuer fast nicht auf.

Dann: Theben-West, das legendäre Tal der Könige. Hier wurden, gut am Rand der Wüste und zwischen hohen Bergen versteckt, in der Zeit des Neuen Reichs (1550 bis 1069 v. Chr.) 64 bis heute gefundene gewaltige Grabkammern in den Fels geschlagen. Könige wie Tutanchamun lagen hier, dessen fast unversehrtes Grab erst 1922 entdeckt wurde – trotz seiner Pracht eins der kleineren Gräber.

Unweit der Nekropole – wo drei Grabbesuche pro Eintrittskarte inbegriffen sind; für weitere lohnt es sich zuzuzahlen – liegt der Totentempel der Hatschepsut, Tochter von Thutmosis I. und eine der wichtigsten Herrschergestalten der Epoche. Der in ihrer Regierungszeit erbaute Riesenbau lässt schon von Weitem die einstige Macht der Pharaonin erahnen. Hier wurde sie zu Lebzeiten und nach ihrem Ableben verehrt. Solche Totenkulte wurden teils noch Jahrhunderte nach dem Tod eines Pharaos ausgeübt – wobei der Verstorbene als Mittler zwischen Menschen und Göttern fungierte. Ebenso faszinierend sind die 18 Meter hohen Memnon-Kolosse aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. ganz in der Nähe, die einst vor den Pylonen eines weiteren Riesentempels standen; oder der Totentempel Ramses III. in Medinet Habu, der zugleich dem Gott Amun geweiht war und als eins der stilistisch vollkommensten Bauwerke Ägyptens gilt. Und so geht es weiter bei dieser Schiffstour mit Ziel Assuan: Die große Tempelanlage von Karnak mit ihren Kolonnaden und der Sphinx-Allee. Der Tempel von Edfu, geweiht dem falkenköpfigen Gott Horus. Kom Ombo mit dem gleich am Nil gelegenen Doppeltempel des Krokodilgotts Sobek und des Haroëris – unvergesslich eine Führung abends bei Dunkelheit, Mond über den Ruinen, das Sternbild des Orion quer am Himmel. Oder der Philae-Tempel am Assuanstaudamm mit einem romantischen Trip auf einer Segelfeluke über den Stausee.

Freundliche Menschen

Und dann Abu Simbel. Früh um drei startet der Bus. Später: Sonnenaufgang in der Wüste. Nahe der Grenze zum Sudan, am oberen Teil des 500 Kilometer langen Nasser-Stausees: Zwei Tempel, die Ramses II., der Große, vor 3200 Jahren in den Fels hauen ließ – einen für sich, den anderen, kleineren für Nefertari, seine Lieblingsfrau: Denkmal einer Liebe, die in der Pracht dieses Monuments einen Hauch von Unsterblichkeit bekommen hat – mehr vielleicht, als es ein Petrarca in seinen Sonetten an Laura vermocht hat.

Doch was wäre Ägypten ohne seine Menschen? Ohne Achmet, der witzig wie ein Showmaster und mit Feuereifer von der Geschichte seiner Vorfahren erzählt? Ohne Mohammed, den Reiseleiter, der uns nachts den schillernden Basar von Assuan zeigt? Ohne John, den Kopten, der in Suez ein Elektrizitätswerk leitet, viel vom heutigen Ägypten erzählt und uns auf eine Wasserpfeife ins Café am Ufer einlädt? Sie alle leiden unter jeder Nachricht über eine Unruhe im weit entfernten Kairo – denn sie alle leben vom Tourismus. Aber man muss Ägypten jedem empfehlen – und wer nach einer Woche Nil-Kultur Lust hat auf tolle Strände, kann noch eine Woche Badeurlaub in Hur-ghada oder Sharm El Sheik dazubuchen. Hier wie dort: gute Preise und freundliches Personal. Die vorbeiziehende Nillandschaft, die man vom Deck eines Schiffs wie der „Zeina“ sieht, Bauern auf den Feldern und Frauen, die im Fluss Wäsche waschen: Das alles wird man trotzdem nie vergessen.