Stubaier Gletscher: Abseits der Piste sicher unterwegs

Da schlagen Skifahrerherzen höher: einen unberührten Tiefschneehang unter die Bretter zu nehmen, dass der Schnee bei jedem Schwung nur so staubt. Allerdings ist Fahren abseits der präparierten Pisten risikoreich, Stichwort Lawinen. Deshalb setzen die Verantwortlichen am Stubaier Gletscher auf ein Paket, das auf Freeride-Spaß und Sicherheit gleichermaßen abzielt.
Da schlagen Skifahrerherzen höher: einen unberührten Tiefschneehang unter die Bretter zu nehmen, dass der Schnee bei jedem Schwung nur so staubt. Allerdings ist Fahren abseits der präparierten Pisten risikoreich, Stichwort Lawinen. Deshalb setzen die Verantwortlichen am Stubaier Gletscher auf ein Paket, das auf Freeride-Spaß und Sicherheit gleichermaßen abzielt. Foto: Anke Mersmann

Der Anstieg ist zwar nicht allzu steil, aber der Schnee tief. Trotzdem hastet Thomas Muigg im Zickzackkurs den Hang hinauf, sinkt teils tief ein, was mit Skistiefeln an den Füßen gleich noch einmal schweißtreibender ist. Dabei hält er einen kleinen Kasten in der Hand, ein LVS-Gerät, kurz für Lawinenverschüttetensuchgerät.

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Von unserer Redakteurin Anke Mersmann

Irgendwann lässt sich der Skiguide auf die Knie fallen. Streicht etwas Schnee zur Seite. Markiert eine Stelle in der weiten weißen Fläche – und atmet aus. „Hier liegt ein Verschütteter.“ Sofern es denn unter uns im Schnee einen gäbe.

Die Eile, die Suche mit dem Gerät – alles nur Übung für einen Notfall, von dem jeder Wintersportler hofft, dass er niemals eintreten möge: in eine Lawine zu geraten. Sei es, selbst von ihr mitgerissen zu werden, sei es, miterleben zu müssen, wie andere von ihr verschluckt werden. In beiden Fällen kann das LVS-Gerät Leben retten, erklärt Muigg an diesem sonnigen Vormittag am Stubaier Gletscher in Tirol. Das Gerät sendet sowohl ein Signal, über das sein Träger geortet werden kann, als dass es ein solches Signal auch empfängt. In dieser Funktion zeigt es mit einer Reichweite von 60 Metern in einem kleinen Display an, wie weit der Sender noch entfernt ist – also im Ernstfall ein unter Schneemassen Begrabener. „Deshalb gehört das LSV-Gerät zwingend zur Ausrüstung, wenn du Freeriden gehst“, macht Muigg klar.

Denn genau das, das Fahren abseits der präparierten Piste, gewinnt immer mehr an Stellenwert, insbesondere auch am Stubaier Gletscher, Österreichs größtem Gletscherskigebiet. Zunehmend mehr Skifahrer und Snowboarder zieht es dorthin, wo der Tiefschnee lockt. Wo Hänge liegen, auf deren weißen Flächen bislang allenfalls der Wind seine Spuren hinterlassen hat, keinesfalls aber die Kanten von Ski oder Snowboard.

Als Erster durch solch unberührten Flächen zu powdern, dass der Schnee nur so staubt, ist Fahrspaß pur. Und der reizt irgendwann jeden geübten Wintersportler, ob er nun ein Brett unter den Füßen hat oder zwei. Allerdings ist die Gaudi abseits der Piste gefährlich. „Du bist im hochalpinen Gebiet“, hat Thomas Muigg vor seinem Spurt den Hang hinauf gesagt und betont: „Wenn du Freerider bist, muss du zumindest ein Grundwissen mitbringen, wie du dich dort verhältst.“ Ein Schneebrett ist mit der Kante des Skis schnell versehentlich losgetreten – Lawinen sind reale Gefahren im offenen Gelände. Sie lassen sich minimieren, wenn Freerider mit Skiguides ins Gelände gehen, eben mit solchen Experten wie Thomas Muigg.

Der Endzwanziger ist in den Bergen aufgewachsen, kennt den Stubaier Gletscher und die umgebende Bergwelt in- und auswendig und fährt so locker und selbstverständlich Ski, wie es nur Menschen tun, die quasi mit den Brettern an den Füßen groß geworden sind. Er führt regelmäßig Freerider abseits der Pisten. Etliche Skifahrer und Snowboarder zieht es aber auch auf eigene Faust in den Tiefschnee.

Für sie haben die Verantwortlichen am Stubaier Gletscher (Wintersport Tirol AG) ein auf Sicherheit abzielendes Paket unter dem Namen „Powder Departement“ geschnürt: Beispielsweise sind 15 Freeride-Routen kartografiert, die man auch über GPS-Daten über das Smartphone nachvollziehen kann. Außerdem gibt es am Gletscher ein Sicherheitsmanagement, dazu gehören unter anderem Freeride-Checkpoints an der Bergstation Eisgrat und der Talstation Stubaier Gletscher. Diese regelmäßig aktualisierten Übersichtstafeln geben unter anderem Infos darüber, wie sich das Wetter entwickelt, wie die Schneelage ist und wie es um das Lawinenrisiko bestellt ist. Generell gilt: erst checken, und nur dann fahren, wenn die Lage gut ist.

Nur eine Übung: Skiguide Thomas Muigg zeigt, wie man mit einem LVS-Gerät und einer Lawinensonde nach einem im Schnee Verschütteten sucht.
Nur eine Übung: Skiguide Thomas Muigg zeigt, wie man mit einem LVS-Gerät und einer Lawinensonde nach einem im Schnee Verschütteten sucht.
Foto: Anke Mersmann

Zudem gibt es ein offenes Trainingsgelände an der Bergstation Gamsgarten. Dort werden regelmäßig kostenlose Trainings für die Suche nach Verschütteten angeboten, zudem können Freerider auf eigene Faust üben.

Auf diesem Trainingshügel kniet Skiguide Muigg im Schnee. Er hat mittlerweile eine elektronische Lawinensonde in den Händen. Auf gut zweieinhalb Meter lässt sie sich ausklappen. Muigg stößt sie in das kalte Weiß unter sich, irgendwo dort liegt ein sendendes LVS-Gerät, vor einer ganzen Weile zu Übungszwecken vergraben. Muigg hat es geortet, im Display kann er ablesen, dass es sich etwa eineinhalb Meter unter ihm befindet, mit der Sonde sucht er die genaue Lage. Sein LVS-Gerät piepst immer wieder, dann: Treffer, knapp eineinhalb Meter unter ihm. Im Notfall gäbe es jetzt nur eins: „Du musst graben, was das Zeug hält“, sagt Thomas Muigg.

Etwa 15 Minuten kann ein Verschütteter im kalten Weiß überleben, jede Minute zählt. Weshalb der Suchende den Schnee so effektiv wie möglich beiseite schaffen muss, am besten mit einer Schaufel. Im handlichen Format gehört sie obligatorisch zur Basisschutzausrüstung für Freerider, samt LSV-Gerät und Lawinensonde.

Verpackt in einem Rucksack, gibt es diese Ausstattung sogar noch mitten im Skigebiet in einem Fachgeschäft an der Bergstation zu mieten. „Und ein Mobiltelefon musst du auch immer dabei haben – für einen Notruf“, rät Muigg.

Er greift an diesem Morgen allerdings weder zum Handy noch zur Schaufel. Stattdessen zieht er die Sonde aus dem Schnee, schaltet sein LVS-Gerät in den Sendemodus, richtet sich auf. Übung beendet. Der Skiguide grinst, deutet auf einen Hang jenseits der Piste. Eine weite, weiße Fläche unterm strahlend blauen Himmel, in die sich an diesem Morgen noch niemand gewagt hat. Jetzt kann es losgehen. Der Tiefschnee wartet.

Weitere Informationen gibt es im im Internet unter www.stubaier-gletscher.com