Reise: Wo die Kokosnusspalmen grüßen

Postkartenidylle findet sich an den Stränden der Dominikanischen Republik: Das Meer ist türkis, der Strand ist weiß, die Kokosnusspalmen wachsen bis zum Ufer. Foto: Michael Defrancesco
Postkartenidylle findet sich an den Stränden der Dominikanischen Republik: Das Meer ist türkis, der Strand ist weiß, die Kokosnusspalmen wachsen bis zum Ufer. Foto: Michael Defrancesco

Familien aus aller Welt, Singles, junge Paare, Partyfreunde – sie alle tummeln sich in der Dominikanischen Republik. Kluburlaub heißt das Zauberwort. „All inclusive“ unter Kokosnusspalmen.

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Zischend schließen sich die Bustüren. Fernando blickt kurz nach hinten zu seinen Passagieren: Ja, es sind alle da und sitzen. Ein wenig übermüdet sehen sie aus, die Deutschen, nach ihrem Zehn-Stunden-Flug in die Dominikanische Republik. Wen der Flug nicht geplättet hat, den drückt der Klimawechsel in die Sitze: Tropisch drückende 32 Grad herrschen draußen, da hat die Klimaanlage im Bus eine Menge zu tun. Fernando kennt das. Er kutschiert ständig Deutsche vom Flughafen Punta Cana in ihr Urlaubsresort am Karibikstrand.

Und er weiß, was den Touristen jetzt hilft: dominikanische Musik. Karibikrhythmen schmeicheln aus den Lautsprechern, bringen thrombosegefährdete Beine zum Zucken. Im Halbschlaf breitet sich ein Lächeln auf den Gesichtern der Deutschen aus. Sie sind da. Endlich. Ein bis zwei Wochen Karibikurlaub erwarten sie. Die meisten von ihnen werden ihr All-inclusive-Resort keine Sekunde verlassen. Ihr rotes Armbändchen bedeutet für sie keine Fessel, sondern Ausdruck von unendlicher Schlaraffenlandfreiheit.

An der Poolbar herrscht auch am Vormittag schon Gedränge. Poolbar ist wörtlich zu verstehen: Die Bar ist mitten in einem der Hotelpools erbaut. Die Gäste schwimmen an die Theke, ordern ihre Cocktails und sitzen dabei auf Unterwasserhockern. Margaret aus England ist schon hackedicht. Sie ist über 50, wohl beleibt und lallt den Barkeeper an, was „Gib mir einen Kuss“ auf Spanisch heißt. „Dame un beso“, antwortet der und weicht dem Knutschversuch der britischen Lady geschickt aus. Margaret versucht es weiter – und bemerkt nicht, dass sie „Dame un Peso“ sagt und dass die halbe Barbelegschaft deshalb aus dem Lachen nicht mehr herauskommt.

Emma ist sieben und kommt aus Thüringen. Ihre Eltern haben es sich auf einer Liege gemütlich gemacht, und die Kleine hat sich mit der zehnjährigen Anja angefreundet. Die beiden haben einen Hotelpool entdeckt, der unmittelbar am Kokosnusspalmenstrand liegt – man sieht das türkisblaue Meer, während man auf seiner Luftmatratze im Pool liegt. „Ich war schon dreimal in der Karibik, und meine Eltern haben hier in der Dominikanischen Republik geheiratet“, erzählt Emma.

Uncle Sam hat seine Familie um sich geschart. Der kräftige Senior hat einen weißen Rauschebart, trägt eine Baseballkappe und ein achselfreies College-T-Shirt und schlendert auf seinen Stock gestützt zur Büfettecke mit den Ribeye-Steaks. Seine Tochter trägt einen knappen pinken Bikini – ihre übergroßen Rundungen quellen wulstig unter ihm hervor. Den Kellnern ist die Familie bestens bekannt – man begrüßt sich freudestrahlend mit Assifaust und Schulterklopfen.

José ist einer der Gärtner und ein Komiker vor dem Herrn. In der Morgenkühle – wenn es also erst 28 Grad warm ist – schnallt er sich seinen Sicherheitsgurt um und schiebt sich flink auf die erste Kokosnusspalme hinauf. „Hier Vitamina! Viele Vitamina“, ruft er strahlend der deutschen Familie zu, die sich eben aus den Federn geschält hat und ihm gebannt bei der Arbeit zusieht. José zückt seine Machete und säbelt mit einem Streich die reifen Kokosnüsse ab. Mit einem dumpfen Poltern fallen sie ins Gras.

Margaret hat sich festgequatscht. Mit krebsrotem Kopf und dem roten Cocktail „Tropical“ in der Hand, lehnt sie an der Poolbar und redet stakkatoartig auf einen dunkelhäutigen, knackig gebauten Mann ein. Er schlürft genüsslich an seinem Mai Tai, nickt, lacht, nickt, schlürft. Margaret hibbelt und gestikuliert und strahlt übers ganze Gesicht.

Wie ein mexikanischer Mafiaboss sieht er aus, der ältere Herr mit schwarz gefärbtem, wallendem Haar und kantigem Gesicht. Durchtrainiert, mit einer übergroßen Sonnenbrille auf der Nase sitzt er starr und bewegungslos in einem Korbsessel und blickt aufs Meer. Sein Kopf bewegt sich nicht, kaum ist eine Atmung zu erkennen. In der rechten Hand hält er einen Becher mit Bier. Er trinkt nicht. Er schaut nur aufs weite Meer hinaus.

Emma und Anja toben am schneeweißen Strand herum und bauen mit ihren Papas eine Sandburg. Riesig wird sie, eine Piratenfestung – „wie von den Piraten der Karibik“. Die Mädels heben den Graben aus, die Papas bauen Mauern mit Zinnen und Kanonen. Die Festung wächst, während das Meer seine Wellen zurückhält und das Sandkunstwerk nicht bedroht.

„Vitaminacocoloco, vitaminacocolocooo! Drinky, drinky!“ José kurvt mit einer Schubkarre an den verschiedenen Pools vorbei – sie ist randvoll mit frisch gepflückten Kokosnüssen. Die Touristen recken sich von ihren Liegen auf. Zwei Dollar kostet eine Kokosnuss, sie wird von José mit einem Machetenstreich geköpft, dann sticht er einen Strohhalm hinein, und man trinkt die Kokosmilch. Sie ist warm. Und eher mittellecker. Aber José strahlt und freut sich über die beiden Dollarscheine.

Margaret ist näher an ihren Gesprächspartner herangerückt. Knistern liegt in der Luft. Margaret klimpert mit ihren Augen, streicht sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Auf einmal Geschrei am Poolrand – zwei Kinder winken dem dunkelhäutigen Mann zu. Er winkt fröhlich zurück. Die beiden Kinder springen ins Wasser und schwimmen zu dem Mann. „Daddy, kommst du mit ins Meer?“ Daddy nickt, stellt seinen Mai Tai auf die Theke und verabschiedet sich freundlich von Margaret.

Agniesza kommt aus Polen. Das stöhnt sie zumindest lasziv ins Mikro. Acht Ladys stehen in Reih und Glied am Hauptpool und lernen, wie man sexy den Po zu Karibikrhythmen schüttelt. Jede Lady bekommt ein Stamperl, und dann geht es los. Agniesza sieht süß aus, ist klein, braun gebrannt – aber Poschütteln ist nicht ihre Stärke. Sie missdeutet das schallende Gelächter aus dem Pool als Beifall, winkt begeistert und schüttelt sich noch mehr.

Die Sonne ist untergegangen. Die Palmen ragen wie schwarze Scherenschnitte in den tintenblauen Himmel. Eine einzelne Gestalt steht bewegungslos bis zum Bauch im Wasser und lässt sich von den Karibikwellen auf und ab treiben. Sie blickt starr ans Ufer, regt sich nicht. Die Gestalt sieht aus wie ein mexikanischer Mafiaboss.

Von unserem Redakteur Michael Defrancesco