Reise nach Litauen: Auf den Spuren der Bernsteinfischer

Von Christina Nover
Auf den Spuren der Bernsteinfischer Foto: Christina Nover

Der Wind steht gut. Er treibt die Wellen mit weißen Schaumkronen voran ans Land. Igoris Osnac ist an diesem Tag früh aufgestanden, um einer der Ersten am Strand auf der kurischen Nehrung zu sein. Nur ein paar Kilometer weiter beginnt russisches Territorium, doch Osnac hat nicht vor, so weit vorzudringen. Auf der Haffseite liegen die meisten Touristen in Nida noch in ihren Betten – für Osnac ist es die beste Zeit, seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: der Suche nach dem Gold des Meeres, das in der Ostsee verborgen liegt, das Fischen nach Bernstein.

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Am meisten Erfolg verspricht ein Besuch am Strand nach einem Sturm, dann können selbst unerfahrene Sammler mit Taschen voller Bernstein nach Hause gehen. Vor allem im Herbst und im Winter bläst der Wind entlang der litauischen Küste, aber für Osnac ist das ganze Jahr über Bernsteinzeit. „Es ist eine Sucht. Hat sie dich einmal befallen, kannst du an nichts anderes mehr denken“, sagt er selbst über sein Hobby. Er behält das Wetter stets im Blick, informiert sich über Windrichtungen und Meeresströmungen und wirft sich, wann immer ihm die Voraussetzungen günstig erscheinen, in seine Arbeitskleidung.

Die Möwen weisen den Weg

Zwei Paar Socken, Regenhose, Fischerhose samt Gummistiefel, erster Gürtel, Regenjacke, zweiter Gürtel, Gummibänder, die die Ärmel verschließen – die Vorbereitungen dauern eine Weile. „Doch wenn du längere Zeit im Wasser stehst, dann brauchst du das“, sagt Osnac aus Erfahrung. Mit mehreren Netzen macht sich er sich auf den Weg zum Strand. Dort angekommen, blickt er auf die See und hält nach Hinweisen danach Ausschau, wo sich die Suche lohnen könnte. Eine Mischung aus Algen und Holz am Strand, schwarze Stellen im Wasser, Meeresvögel, die auf der Suche nach Fischen über tiefen Mulden kreisen: „Die Möwen zeigen mir, wo es Bernstein gibt“, sagt Osnac und sucht mit dem Fernglas die Brandung ab. Zielstrebig folgt er den Rufen der Vögel und steigt schließlich in die Fluten.

Welle für Welle rauscht ihm entgegen, Osnac stemmt sich gegen die Wassermassen und taucht sein Netz wieder und wieder ein. „Alles eine Frage der Technik – aber Glück ist auch jede Menge dabei“, meint er. Mal versucht er, die aufgewirbelten Bernsteine in seinem Netz zu fangen, mal lässt er es am Boden entlanggleiten, um dort fündig zu werden. Dabei spritzt das Wasser an ihm hoch, benetzt sein Gesicht mit einer salzigen Schicht und zerrt an seiner Kleidung. „Es ist eine schwere Arbeit, besonders, wenn du sie über Stunden machst. Aber egal – selbst wenn du keine Kraft mehr hast, hörst du nicht auf“, sagt Osnac .

Abbau von Bernstein

Bernsteinfischen ist eine Tradition, die viele Jahrhunderte zurückreicht. Vermutlich im schon im 13. Jahrhundert lernten die Einheimischen, wie sie mit Netzen an langen Stöcken die kostbaren Steine aus der Ostsee bergen konnten. Später wurde das versteinerte Harz sogar mit großen Netzen vom Meeresboden geborgen. Als 1854 in der Nähe von Juodkrante große Ansammlungen von Bernstein entdeckt wurden, begann auf litauischem Gebiet der gezielte Abbau. In 28 Jahren wurden dort 2250 Tonnen an Bernstein gefördert. Auch wenn das Bernsteinvorkommen über die Jahre zurückgegangen ist, tauchen immer noch zahlreiche Stücke an den Küsten auf – und manches davon landet im Netz von Bernsteinfischern wie Osnac.

Regelmäßig kehrt er zum Strand zurück und leert das Netz auf dem Sand aus. Zwischen Steinen, Holzstücken und Algen lässt sich dann auch mal ein gelb-brauner Klumpen blicken, den Osnac in seiner Brusttasche verschwinden lässt. Bernstein kann die verschiedensten Farben und Formen aufweisen, wie Osnac den Touristen erklärt, die nach Karkle ins Nationalparkzentrum kommen. Unterschieden werden sieben Grundfarben, aber insgesamt sind 250 verschiedene Farbvarianten des Baltischen Bernsteins bekannt. Sie können honiggelb sein, orange, rotbraun oder gar grün- oder bläulich. Bei weißem Bernstein, der durch zahlreiche kleinste Luftbläschen hervorgerufen wird, spricht man auch von „königlichem Bernstein“.

Viele Millionen Jahre altes, versteinertes Harz

Besonders begehrt sind auch klare Exemplare mit Einschlüssen wie Insekten, Pflanzen oder auch Federn. Doch eines haben alle Steine gemeinsam: Das versteinerte Harz ist viele Millionen Jahre alt. In der Regel wird bei einem Alter ab 30 Millionen Jahren von Bernstein gesprochen. Bekannt sind mittlerweile auch Bernsteine, die mehr als 250 Millionen Jahre alt sind. All das erfahren Interessierte in Bernsteinmuseen, Infobroschüren oder im Gespräch mit Osnac. Der zeigt den Besuchern auch, woran man Bernstein erkennt. In Salzwasser schwimmt er oft oben, da er sehr leicht ist. Wird er erwärmt, wie durch schnelles Reiben auf der Handfläche, sollte ein leichter Harzgeruch entstehen. Am besten zeigt sich seine Natur jedoch, wenn man ihn anzündet: „Wenn es brennt, dann war es Bernstein“, sagt Osnac lachend, nachdem er eine Handvoll Bernsteinstaub in prickelnde Flammen hat aufgehen lassen.

Wenn Igoris Osnac einen großen Bernstein findet, gibt er ihm einen Kuss – als Dank für das Geschenk des Meeres.

Christina Nover

Beim Bernsteinfischen geht es mitten in die Wellen hinein, Wasser und Gischt ausgesetzt.

Christina Nover

Zwischen vielen Steinen findet sich auch mal ein Bernstein.

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Wenn Igoris aus den Fluten gestiegen ist, gibt es einen kräftigen Schluck Bernsteinschnaps.

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Bernstein brennt – das sieht man am besten, wenn man Bernsteinstaub ins Feuer wirft. Igoris Osnac reicht ein Feuerzeug für seinen Trick.

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In Litauen gibt es zahlreiche Läden, in denen man Bernsteinschmuck kaufen kann und auch einige Museen.

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Auf dem marktplatz in Klaipeda bieten Händler ihre Bernsteinwaren unter freiem Himmel an.

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Doch es ist nicht alles Bernstein, was so aussieht. Teilweise handelt sich um Kunststofffälschungen oder gepressten Bernsteinstaub.

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Besonders wertvoll sind Bernstein mit eingeschlossenen Insekten.

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In speziellen Kursen kann man lernen, wie aus einen gefundenen Bernstein ein Amulett gezaubert werden kann. Erst wird er geschliffen....

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... und dann politert.

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Bernsteine werden oft als Talisman verwendet.

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Ein Tipp, der bei der Suche nach einem Schmuckstück aus Bernstein auf einem der vielen Märkte oder Läden im Land eher wenig hilfreich ist. Wer nicht auf eine Fälschung reinfallen will, der sollte ein Auge auf den Preis haben. Echter Bernstein ist teuer: Ein Gramm kostet derzeit rund 5 Euro. Je größer, desto wertvoller – vier Kilo hat der größte Brocken, der in Litauen gefunden wurde.

Bernsteinschnaps als Allheilmittel

Von solchen Funden kann Osnac nur träumen. Doch auch er hat schon den ein oder anderen Klumpen aus dem Meer gefischt. „Wenn ich einen großen Bernstein finde, dann küsse ich ihn“, sagt er. Niemals geht er ohne einen Talisman auf die Jagd nach Bernsteinen – seit vielen Jahrtausenden werden die Mineralien als Glückbringer eingesetzt. Legenden ranken sich um das Gold des Meeres, es wurde besungen und Gedichte darüber geschrieben. Viele glauben an die heilende Wirkung des Steins. Und so endet auch jedes Bernsteinfischen für Osnac mit einem Glas Bernsteinschnaps, dem Nationalgetränk in Litauen. „Das hilft gegen alles“, sagt er und lässt den Alkohol in seinen Rachen wandern, während viele kleine Bernsteine in in der Flasche tanzen.

Weitere Infos zu Igoris Osnac unter www.gintalinis.lt