Radeln in Südschweden: Ganz entspannt entlang der Wellen
Bevor es morgens in den Fahrradsattel geht, huschen wir noch schnell ins „Chocolatte“, ein Geheimtipp für handgemachte Pralinen. Dann empfängt uns im Stadtzentrum Ingvar Ryggesjö von Travelshop, der geduldig die Räder einstellt und auch Sonderwünsche erledigt. Sein Tipp für den Kattegattleden: Zeit lassen, acht bis zehn Tage für die Gesamtstrecke einplanen, die Landschaft genießen, Kilometer fressen kann man woanders. Diese Worte kommen uns noch oft in den Sinn, während wir gemütlich durch die Landschaft rollen. Selbst als die Route mal weg vom Meer durch Felder und Wälder führt, bleibt ein Hauch salziger Luft in der Nase.
Nahe dem Hauptbahnhof schickt uns die rote Nummer eins des Kattegattleden auf den Weg in Richtung Norden, immer entlang der Strandpromenade mit Sandstrand und schmucken Häusern. Der noch graue Himmel hat ein Einsehen und wechselt seine Farbe immer intensiver in ein strahlendes Blau. Da macht der Tritt in die Pedale gleich noch mehr Spaß. Das Fahren auf dem 372 Kilometer langen Kattegattleden, der im Herbst 2015 eingeweiht wurde, ist kein Kraftakt und auch für weniger geübte oder ältere Radler zu schaffen. Die wenigen kurzen Steigungen sind keine unüberwindbaren Hindernisse, nur eine frische Brise kann auch mal von vorn kommen. Selten führt die Strecke entlang von Autostraßen, selbst schmale Wege sind fast durchgängig asphaltiert.
Mit Emma als Fährtenfrau macht die Tour Spaß. Sie zeigt uns das Steinzeit-Hünengrab am Wegesrand bei Kulla Gunnarstorp, kennt malerische Winkel und zaubert die passenden Fotomotive quasi aus dem Hut – bis hin zum alten Buckelvolvo 544. Bei der Rast mit herrlichem Ausblick auf den Hafen von Mölle, das sich Anfang des 20. Jahrhunderts vom Fischerdorf zum Kurbad mauserte, erzählt sie eine nette Begebenheit. So gab es nicht nur eine direkte Zugverbindung von Berlin ins kleine Mölle, sondern dort durften erstmals Männlein und Weiblein dem gemeinsamen Baden – mit Kleidung – in den Kattegattfluten frönen. Für prüde Zeitgenossen wurde der Ort so zum „sündigen Mölle“. Dies ist längst Geschichte. Normale Urlauber haben die Kurgäste abgelöst, über die Gleise rollte 1963 der letzte Zug, und heute führt der Radweg Nummer eins über die Trasse.
Ein Muss ist in Höganäs die „Saluhall“. Früher eine Produktionsstätte für die klassische Höganäs-Keramik, sind die vier großen Rundöfen heute in eine Markthalle mit kleinen, hochwertigen Geschäften integriert. In einer Ecke locken schon wieder süße Leckereien. Doch zuvor ein Blick in die Werkstatt von Anders Johansson. Der Mittfünfziger hält die Tradition der salzglasierten Gebrauchskeramik aufrecht und hat ihr noch einen eigenen Pfiff gegeben.
Wir haben die Provinz Skane verlassen, Emma ein Adjö zugerufen. In Halmstad, mit 96.000 Bewohnern die Hauptstadt der Provinz Halland, wartet auf uns Christian Westerling. „Ich habe noch eine Überraschung“, verrät er schon mal, „besonders für Musikfreunde“. Halmstad ist beliebtes Urlaubsziel der Schweden, eine pulsierende Stadt mit herrlichen Sandstränden in der Umgebung. Dazu zählen die Dünen von Tylösand, zu denen unsere Tour an herrlichen Buchten und Steinbrüchen vorbei und durch Nadelholzwälder führt. Im „Tylösand-Hotel“ inmitten der Dünenlandschaft löst sich das musikalische Rätsel. Miteigentümer ist Per Gessle, der aus Halmstad stammt und seit den 80er-Jahren zusammen mit Marie Fredriksson als Roxette Hits am laufenden Band schrieb. Aber Tylösand punktet nicht nur mit Meer, Spa und Pool. Den Gast begleitet auf Fotos, Plakaten und Schallplatten von Gold mit Platin die Roxette-Karriere. Damit nicht genug: Bilder international bekannter Fotografen dokumentieren im gesamten Haus die Rockgeschichte.
Von Rock und Pop weiter in die beschauliche Naturlandschaft von Steninge. 2014 haben Catarina Arvidsson und Per Carlsson das „Vandrahem“ übernommen. Nur wenige Schritte von der See entfernt, ist es eine Ruheoase. Der Maler Carl Larsson scheint Pate bei der Einrichtung des schnuckeligen Hotels aus dem Jahr 1932 gestanden zu haben. Der kleine Lunch mit Salaten aus eigenem Anbau ist ein Gedicht, und Catarina schwört auf das Pfannkuchenrezept von Großmutter Judit Wahlgren, das ein wenig an Kaiserschmarren erinnert. Per hat es mit seinem Porridge sogar zu Weltmeisterehren in Schottland gebracht.
Im Fischerdörfchen Träsvosläge steigt der Duft von geräuchertem Fisch in die Nase, aber zum Etappenziel Varberg ist es nicht mehr weit. Schon von Weitem taucht die mächtige Festung auf, die nie erobert wurde. In ihrem Schatten steht ins Meer gebaut das historische Kaltbadehaus mit orientalischen Türmchen. Den Besuch bei der Moorleiche Bockstenmannen im Festungsmuseum gönnen wir uns, aber eine Nacht in einer Zelle der Gefängnis-Jugendherberge muss nicht sein.
Särö ist eines der kleinen Dörfchen mit Aussicht über die Klippen und Schären. Die Landschaft hat – Göteborg ist nicht mehr fern – ihr Gesicht geändert. Statt langer Strände nun Felsbuchten, der Wald zieht sich in Richtung Meer, und Ferienhäuser von einfach bis luxuriös säumen den Kattegattleden, auf dem wir unter der mächtigen Älvsborg-Brücke hindurch in die Hafenmetropole Göteborg radeln. Noch ein Abstecher zum schwimmenden Marinemuseum Maritiman, dann beißen wir zum letzten Mal vor dem Café Husaren in der Altstadt Haga in eine schwedische Zimtschnecke.