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Quitsch, plitsch, schmatz

Von Nicole Mieding
Muschelbänke auf silbern glitzernder Weite: Erst sacht überspült die Nordsee den trockengefallenen Meeresboden im Watt und holt sich Schritt für Schritt das Land zurück. In der kalten Jahreszeit entfaltet der Spaziergang durchs Watt einen ganz eigenen Zauber. Vorausgesetzt, man hat das passende Schuhwerk mit. Ohne ordentliche Gummistiefel geht nichts.
Muschelbänke auf silbern glitzernder Weite: Erst sacht überspült die Nordsee den trockengefallenen Meeresboden im Watt und holt sich Schritt für Schritt das Land zurück. In der kalten Jahreszeit entfaltet der Spaziergang durchs Watt einen ganz eigenen Zauber. Vorausgesetzt, man hat das passende Schuhwerk mit. Ohne ordentliche Gummistiefel geht nichts. Foto: Nicole Mieding

Es gibt Situationen im Leben, da sollte man die Frage nach der passenden Garderobe ernst nehmen. Wenn man vor den Altar tritt. Sich um einen Job bewirbt. Oder durchs Watt wandern will.

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Wer vorhat, im Winter stundenlang über trockengefallenen Meeresboden zu stapfen, der ganz unterschiedlich flüssig und matschig ist, sollte das Vorhaben beim Einwand „dafür hab ich gar nichts anzuziehen“ dringend überdenken. Umstandsgerechte Montur ist da keine Modefrage, sondern eine Strategie, um zu überleben.

Muschelbänke auf silbern glitzernder Weite: Erst sacht überspült die Nordsee den trockengefallenen Meeresboden im Watt und holt sich Schritt für Schritt das Land zurück. In der kalten Jahreszeit entfaltet der Spaziergang durchs Watt einen ganz eigenen Zauber. Vorausgesetzt, man hat das passende Schuhwerk mit. Ohne ordentliche Gummistiefel geht nichts.
Muschelbänke auf silbern glitzernder Weite: Erst sacht überspült die Nordsee den trockengefallenen Meeresboden im Watt und holt sich Schritt für Schritt das Land zurück. In der kalten Jahreszeit entfaltet der Spaziergang durchs Watt einen ganz eigenen Zauber. Vorausgesetzt, man hat das passende Schuhwerk mit. Ohne ordentliche Gummistiefel geht nichts.
Foto: Nicole Mieding

Ums Überleben ist uns schon bang, als wir auf den Wattführer warten. 40 Minuten, bevor's losgehen soll, stehen wir am Treffpunkt, der Badestelle Stinteck nahe Büsum. Viel zu pünktlich. Das Gerhard-Dreeßen-Huß samt Café ist zu, die Außentoilette auch. Auf dem gähnend leeren Parkplatz am Damm, der den größten Teil des Seewinds abhält, trippeln wir von einem Bein aufs andere, es ist kaaaaaaaalt.

Vier Stunden Wattwandern, um die winterliche Nordsee zu erleben. Nette Idee, aber plötzlich fragen sich alle, wer sie hatte. Da fährt ein Auto vor, „Mooooin!“ schallt's aus dem offenen Fenster, es steigt ein kerniger Friese aus – Johann Franzen, staatlich geprüfter Nationalparkwattführer. „Alle noch mal Pipi, dann treffen aufm Damm“, erklärt er. Auf dem Damenklo wickelt sich der weibliche Teil der Wandertruppe bang in weitere Textilschichten und pustet mit dem Handtrockner warme Luft in den klammen Handschuh. Das Taxi zurück ist für Mittag bestellt. Hilft nichts, es geht nur vorwärts.

Friesenversion von „Fifty Shades of Grey“

„Na, ihr seht doch eigentlich ganz gut aus“, findet Franzen und nickt anerkennend, als sein Trupp marschbereit auf dem Damm steht und er dessen Garderobe auf Watttauglichkeit prüft. Lange Unterwäsche, Thermohose, Pullover und Jacken in mehreren Lagen. Keinesfalls übertrieben, wenn man als Windbrecher auf einem Nordseedamm steht. Die Luft pfeift eisig, treibt einem Tränen in die Augen und lässt die Nase laufen. Das ist zum Glück nicht zu sehen, nur zu hören, weil alle mit Mützen, Schals und übers Gesicht gebundenen Halstüchern bis zur Unkenntlichkeit vermummt sind. Den müden Blick verbirgt die Sonnenbrille – ein Windschutz, denn Sonne scheint heute nicht. Der Himmel über der Nordsee ist nebelverhangen. Watt, Himmel, Horizont und das Dazwischen, alles trägt Einheitsgrau. Wer den Blick etwas aufmerksamer schweifen lässt, entdeckt allerdings feine Unterschiede in den Farbnuancen. Schlickgrau, Nebelgrau, Winterhimmelgrau: „Fifty Shades of Grey“ auf Friesisch.

Seine Sicherheitseinweisung ist ernst zu nehmen, warnt Franzen. Der Trupp bleibt zusammen. Wir legen Stopps ein, damit die Letzten aufholen können. Und wir richten uns streng nach dem Gezeitenkalender. Sonst kommt das Wasser schneller, als man es zurück an Land schaffen kann. Bei Springflut laufen die Priele schlagartig voll. Dann werden seichte Pfützen zu brusthohen, reißenden Flüssen, die den Sand unter den Füßen wegspülen. Niemand will das ausprobieren. Also los, Damm runter, ab ins Watt.

„Quitsch, plitsch“, sagt's unter unseren Gummistiefeln. Ein Accessoire, mit dem sich durchaus modische Effekte setzen lassen. Regenbogen, Gänseblümchen, maritim gestreift: Das Gros der Teilnehmer, allesamt Wattneulinge, hat den Anlass genutzt, um sich neue Matschschuhe zuzulegen. Reiter, Gärtner, Angler und Kindergartenkinder sind klar im Vorteil. Zu viel Mühe muss man auf das Aussehen der Schuhe nicht verwenden. Nach drei Schritten durchs Watt hat sich's mit der poppig bunten Pracht an den Füßen. Die Schuhe passen ihre Farbe fortan nämlich ganz wie ein Chamäleon dem Untergrund an.

Wattsound unter den Füßen

Mischwatt, Schlickwatt, Sandwatt: Der sedimentierte Meeresboden klingt – je nach Gehalt, Dichte und Brackigkeit – ziemlich verschieden. Von schlirp-schlirp über plitsch-platsch und quitsch-schmatz bis mmmmpffff, ums akustisch zu umreißen. Auf den trockenen, trittfesten Passagen geht's rasch voran. Mit zunehmender Sumpfigkeit sinken die Füße tiefer, geht der Boden mit den Schuhen eine innigere Verbindung ein, bittet sie zu bleiben. Wer unachtsam ist, kommt ohne heim. Unser Führer passt auf, dass wir nicht zu viel Zeit mit dem Wenden von Muscheln und der Suche nach Austern vertändeln. Oder beim Zücken der Kamera. Fasziniert vom Licht, das das moorschwarze Watt mit seinen Wellenkämmen und das Wasser einlaufender Priele spiegelt, als läge der Schatz im Silbersee direkt unter unseren Füßen.

Zweimal pro Tag holt sich die Nordsee das Land zurück. Dann ist die Fläche, auf der wir waten, Meer. Die Wattlandschaft wandelt sich ständig, durch die Dynamik der Gezeiten bleibt nichts, wie es ist. Man will's kaum glauben, weil alles so ruhig vor einem liegt. Da reißt von einer Sekunde zur anderen der Himmel auf, die Sonne schickt gleißende Strahlen durch die Wolkenlücken. Barocke Lichtkränze um bizarre Wolkengebilde treffen auf den mit Wasser benetzten Grund – eine einzige Spiegelfläche, die alles Leuchten zurückwirft in einem irrlichternden Glitzerspektakel. Vergessen die Eiseskälte, alle halten inne, stehen verzaubert vorm Naturschauspiel.

Johann Franzen treibt an. Er will uns auf dem Rückweg noch ein paar Wattbewohner zeigen. Aber als er mit seinem Spaten in den torfigen Boden sticht, tiefschwarzen Moorboden an die Oberfläche wendet wie ein Tortenstück, findet sich darin nichts, was mit bloßem Auge als Lebewesen zu erkennen ist. Zu kalt, selbst die Wattwürmer frieren und haben sich verkrochen. Wir stapfen zurück, um uns bei Grünkohl und Grog aufzuwärmen. Bei Tisch will Franzen doch noch Kritik loswerden. „Eure billigen Plastikstiefel taugen nichts, darin schwitzen die Füße und kühlen aus“, erklärt er. „Wenn ich euch einen Rat geben darf: Kauft ordentliche aus Kautschuk, dann habt ihr was fürs Leben.“ Für Gäste bewahrt er sie auf bis zur nächsten Saison, Pflege inklusive: Wer einmal im Watt war, kommt wieder.

Von unserer Chefreporterin Nicole Mieding

Wissenswertes für Reisende

Tipps der Redaktion

Wattwanderungen sollten unkundige Touristen aus Sicherheitsgründen nur mit qualifizierten Wattführern unternehmen. Wichtige Tipps und Auskunft zu Touren gibt es im Internet unter der Adresse www.nordseetourismus.de/ wattwanderung-an-der-nordsee und www.watterleben.de

Die Drei-Priele-Tour zwischen den Prielen Scholloch, Norderpiep und Ossengoot erstreckt sich über rund zehn Kilometer und dauert drei bis vier Stunden. Los geht's an der Badestelle Stinteck in Westerdeichstrich nahe Büsum.

Grünkohlwanderungen gibt es zwischen Januar und März, die Termine für 2019 stehen bereits fest. Auskunft: Johann P. Franzen, Tel. 04834/984 47 66

Diese Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Nordsee.

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