Pilgern in Südschweden: Schonens schüchterne Schönheit
„Der Weg ist das Ziel“, sagt Monika und geht voran. Selten trägt diese Floskel so viel Wahrheit in sich wie beim Pilgern. Doch es muss nicht immer Santiago de Compostela sein. Auch Schweden und der Norden Europas haben eine lange Pilgertradition. Bis hinauf nach Norwegen zum St.-Olafs-Weg führen Tausende Kilometer ausgewiesener Pilgerwege die Menschen auf ihrer Suche nach der spirituellen Mitte. Schonen (auf Schwedisch Skåne), die südlichste Region Schwedens, macht einem die Suche recht einfach. Sobald wir Lund, eine hübsche Studentenstadt mit engen Gassen, Cafés und alten Gemäuern, verlassen, empfängt uns das Umland mit viel Weite und magischem Licht. Frische Luft fährt in unsere Lungen, die Gedanken kreisen und folgen den Blicken über die weite, graugrüne Landschaft. Schonen ist die fruchtbarste Gegend in ganz Schweden, sie ist geprägt von saftigen Feldern, Wiesen und Hügeln, am Horizont funkelt die Ostsee. „Wir haben hier die größte Produktvielfalt im Land. Das hat es besonders in den Kriegen für die Bevölkerung leichter gemacht“, erklärt Monika. Schonen war lange Zeit dänisch – was man heute noch im schonischen Dialekt hört. „Das macht uns nicht gerade beliebter“, bemerkt Monika schmunzelnd.
Der Blick auf die Kathedrale der Studentenstadt Lund in der Nähe der Universität.
Marta Fröhlich
Die Kathedrale von Lund verabschiedet ihre Pilger mit Glanz und Wärme.
Marta Fröhlich
Unterwegs in Schweden darf eine Fika mit Kaffee und Kanelbullar nicht fehlen.
Marta Fröhlich
Der Pilgerweg führt vorbei an hübschen Kirchen und Kapellen, die zu Gebet und Rast einladen.
Marta Fröhlich
Fruchtbares Land, so weit das Auge reicht. Schonen bietet eine große Vielfalt an landwirtschaftlichen Produkten.
Marta Fröhlich
Schonens Wälder laden zum Wandern und Durchatmen ein.
Marta Fröhlich
Zeit zur Besinnung: Im Naturschutzgebiet nahe Dalby bleibt Raum für Gedanken.
Marta Fröhlich
Der Pilgerweg führt vorbei an hübschen Kirchen und Kapellen, die zu Gebet und Rast einladen.
Marta Fröhlich
Einen Ausflug wert ist die Steilküste bei Ystad.
Marta Fröhlich
Einen Ausflug wert ist die Steilküste bei Ystad.
Marta Fröhlich
Dort findet sich auch das sogenannte Stone Henge von Schweden, die Ales Stenar.
Marta Fröhlich
Die pitoreske Innenstadt von Ystad bietet bunte Farbspiele und historische Einblicke auch bei grauem Herbstwetter.
Marta Fröhlich
Die pitoreske Innenstadt von Ystad bietet bunte Farbspiele und historische Einblicke auch bei grauem Herbstwetter.
Marta Fröhlich
Die Häuser im Hafenviertel werden ausschließlich mit regional erzeugter Windenergie versorgt und sind nachhaltig gebaut.
Marta Fröhlich
Besonders das nachhaltig gebaute Hafenviertel von Malmö ist sehenswert.
Marta Fröhlich
An der Westküste mit Direktverbindung nach Kopenhagen grüßt der Turning Torso, das Wahrzeichen von Malmö.
Marta Fröhlich
Eine besondere Tradition ist in Schweden das Kaltbaden und Saunieren. Das Kallbadhus in Malmö aus den 20er-Jahren bietet dafür die perfekte Kulisse.
Marta Fröhlich
Unsere Wanderung führt uns durch verwunschene Waldstücke, durch ein verwinkeltes Naturschutzgebiet, an einen Weiher, umringt von Birken, deren weiße Rinde im Sonnenlicht funkelt. Zeit für ein kurzes Gebet und langes Schweigen. Zeit für innere Einkehr. Nur dem Klang der rauschenden Bäume lauschend, wandern wir weiter über einen unscheinbaren Feldweg. „Hier verlief einst eine wichtige Handelsstraße der Wikinger“, unterbricht meine Begleiterin das Schweigen zögernd, und ihre Augen funkeln verräterisch. Monika ist nämlich Archäologin. An schier jeder Ecke kann man Relikte aus der Wikingerzeit finden, die Kultur prägte die Region bis zur Christianisierung. „Aber noch heute verbinden die Schweden beides und sind stolz auf ihre Geschichte“, sagt sie.
Dieses Geschichtsbewusstsein zog sie einst aus Bayern in den hohen Norden – und rasch verliebte sie sich in die raue Natur Schwedens. „Hier hat der Kopf Zeit, dem Herzen zu folgen. Hier fühle ich mich Gott und der Natur sehr nah“, erzählt sie. Monika hat schon viele Pilgerwege der Welt gesehen, auch Compostela gehört dazu. Doch am liebsten läuft sie die Strecken rund um Lund, ihre Wahlheimat.
Wir halten auf einer weiten Wiese, Monika setzt ihren Rucksack ab und greift hinein. Es raschelt, eine Thermoskanne, Becher und Papiertüten kommen ans Tageslicht. „Zeit für eine Fika!“ Die Fika gehört fest zum schwedischen Alltag. Eine Tasse Kaffee, eine Zimtschnecke, am besten mit viel Kardamom, das reicht zum kleinen Glück. „Die Schweden verzichten nie, nie, nie auf ihre Fika. Egal, wo sie sind“, erzählt die in Deutschland geborene Fremdenführerin. Sie musste sich erst mal an den etwas entspannteren Gang der Dinge gewöhnen. „Ich bin ein hektischer und ungeduldiger Mensch. Hier wird man aber schnell ausgebremst.“ Denn in Schweden geht alles relaxter zu. Ein Bestandteil dieser Lebenseinstellung ist eben auch die Fika. „Man quatscht ein wenig, nutzt die Gelegenheit, abzuschalten, nimmt eine Auszeit“, sagt Monika und streckt die Beine ins Gras.
Unser Blick schweift über die Ebene hinunter in die Ostseebucht, rechts liegt Lund mit der Kathedrale, links blitzt der Turning Torso, das Wahrzeichen von Malmö. Durch die Öresundbrücke ist die 300.000-Einwohner-Stadt mit Kopenhagen verbunden und hat mit der dänischen Hauptstadt viel gemeinsam. Noch vor 20 Jahren eine brachliegende Industriestadt, hat sich Malmö zu einem Innovationszentrum gemausert. Die Stadt legt viel Wert auf Umweltschutz, das neu erschlossene Hafenviertel versorgt sich aus heimisch produzierter Windenergie. Zum ersten Mal hat 2016 die Zahl der Fahrradfahrer die der Autofahrer überholt. Ökologie und kulturelle Vielfalt prägen die junge Stadt. In knapp 20 Minuten ist man mit der Bahn in Kopenhagen oder mit dem Auto in Lund. Das macht die Region attraktiv für Studenten und junge Familien. Man arbeitet in der Stadt und lebt auf dem weiten Land.
Auf den letzten Kilometern unseres Pilgerwegs schauen wir in kleine Dorfkirchen, durchqueren helle Lichtungen und gehen der Heiligkreuzkirche von Dalby in den letzten Sonnenstrahlen des Tages entgegen. Hinter uns liegt ein Weg durch eine Region, die nicht übermütig mit Postkartenidylle wuchert, sondern ihre Schönheit schüchtern hinter einem Schleier versteckt. Und viel Raum für Gedanken lässt. Ein Pilgerweg der besonderen Art.