Exotische Versprechen auf 2700 Seemeilen

Von Michael Stoll

Planschen im Atlantik. Die meisten Ausflügler vergnügen sich heute an einem der palmengesäumten Traumstrände der Dominikanischen Republik. Wir hingegen schwitzen um die Wette. Bei knapp 30 Grad und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit kein Wunder.

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Ein umgebauter Lkw schaukelt uns vom Hafenort Santa Barbara de Samaná immer bergauf in die Tropenwälder. Falls das Gefährt je Stoßdämpfer hatte, dürften die lange hinüber sein. Da geht die Kreuzfahrt voll ins Kreuz; auf den Holzbänken ist jeder Stein zu spüren. Und den eh schon ausgefahrenen Weg verwandelt ein Wolkenbruch in diese rötlich-braune Schlammpiste. Fluch der Karibik. Vorbei an ärmlichen, bunt gestrichenen Holzhütten und aufgeregt gackernden Hühnern kommen die Bäume immer näher, schließt sich über uns das grüne Dach, verströmen Orchideen süßlichen Duft.

Wir fühlen uns wie Abenteurer auf einer Expedition ins Unbekannte, ein bisschen so wie Christoph Kolumbus, als er 1492 hier auf dieser Insel an Land ging und damit die Neue Welt entdeckte. Die „Aida Luna“ ist jetzt weit weg. So fern wie der schöne Schein Miamis, wo wir noch vor wenigen Tagen die Paläste der Superreichen bewunderten, oder das pulsierende Manhattan, das aufgeregte New York, wo diese Reise begann.

Was für ein Panorama: Der Pott liegt an Pier 88, im Hintergrund die Silhouetten der Wolkenkratzer. Big Apple. Ich war noch niemals in New York, es ist meine erste Kreuzfahrt. Und dann ein solches Schiff: 252 Meter lang, 32 Meter breit, 1025 Gästekabinen mit 2200 Gästen, verteilt auf 13 Decks. Erster Eindruck von Land aus: eine überdimensionale, schwimmende Anbauwand. Es braucht Tage, bis alles an Bord erkundet ist: die sieben Restaurants, zehn Bars und Cafés, Poollandschaft, Spa- und Wellnesszone. Dazu Kino, Bibliothek, Spielkasino, Kunstgalerie, Einkaufspassage, Fitnessbereich, der Kids Club und – nicht zu vergessen – das Theatrium für eigens einstudierte Shows, Musicals und Unterhaltung. Die „Aida Luna“ ist Vergnügungsdampfer, Show- und Sportboot. Für eingeölte Sonnenanbeter, potente Partylöwen und ewig hungrige Schleckermäuler aber auch ein lustbetonter Laster-Kahn.

Das Schöne daran: alles kann, nichts muss. Wem der Wirbel zu viel wird, der findet immer eine ruhige Ecke. Und wer sich eine Außenkabine mit Balkon leistet, muss da nicht erst lange suchen. So tanzen „Let's Dance“-Star Motsi Mabuse und ihr Partner Christian Polanc mit vielen begeisterten Fans, aber ohne mich. Dafür bin ich heiß wie eine Herdplatte auf Fernsehkoch Stefan Marquard, der zusammen mit sieben jungen Nachwuchstalenten Kochkurse und kulinarische Spitzenklasse zu zivilen Preisen im Gourmetrestaurant kredenzt. Carpaccio mit Melone, Ente mit Ei auf Kraut und Rüben – Genuss pur! Auf Tuchfühlung mit Stars über den Atlantik zu kreuzen, das ist eine der Besonderheiten dieser einmaligen Tour. Eine exquisite Haute-Couture-Fashionshow an Deck sowie nur für diese Reise arrangierte Landausflüge runden das Überraschungspaket für die Gäste ab.

New York ist dagegen schon so was von normal ... Und trotzdem aufregend: Boutiquen, Bars, Restaurants, Theater. Gläserne Wolkenkratzer und grüne Parks, Empire State Building und Ground Zero. Schönheit und Schrecken. Was sein muss: Ein saftiger Hamburger im Straßenrestaurant. Schmeckt lecker! Beim Auslaufen in der Abenddämmerung dann Sekt, Sinatra, die Skyline, Sternefunkeln und reichlich Sentiment. Da geht mehr als eine Träne auf Reisen ...

Nach einem gemütlichen Eingewöhnungstag auf hoher See geht die „Aida Luna“ frühmorgens in Baltimore vor Anker. Hafenstadt. Grau. Also auf nach Washington. Kontrastprogramm. Viel Backstein. Vornehm. Gediegen. Sightseeing am Lincoln Memorial, Washington Monument, Kapitol. Dann Lunch im Monocle Restaurant, wo bevorzugt Abgeordnete speisen, schließlich die Schaltzentrale der Weltmacht, das Weiße Haus. Sieht im Fernsehen irgendwie größer und pompöser aus – vielleicht leistet sich Donald Trump deshalb gleich um die Ecke sein eigenes Hotel. Aber auch da ist sicherlich nicht alles Gold, was glänzt ...

Ausflüge von der „Aida Luna“ an Land sind Stippvisiten. Informativ und interessant. Land und Leute aber lassen sich in den wenigen Stunden, die in der Regel zur Verfügung stehen, nicht kennenlernen. Gleichwohl: Wem die Häppchen reichen, und das dürften nicht wenige der Touristen sein, der ist zufrieden. Für andere können es Kostproben sein, um die weite Welt womöglich später mal auf eigene Faust zu erkunden.

Erst mal geht's weiter in Richtung Süden. Und mit jeder Seemeile wird's wärmer. Charleston, einst Metropole der Südstaaten, empfängt seine Gäste im Sonnenschein. Die Stadt ist Winterquartier für viele „Amis“, Touristenhochburg, Austerndorado, Perle der Architektur. Tagsüber ein wenig schläfrig, nachts abseits des vergnügungssüchtigen French Quarters in Hafennähe nicht ungefährlich. Der historische Stadtkern könnte glatt als Kinokulisse durchgehen. „Vom Winde verweht“. Wir laufen stundenlang durch die Straßen, können uns nicht sattsehen an Hunderten pastellfarbener, klassizistischer Villen aus dem 19. Jahrhundert mit ihren Verandas und blühenden Gärten, den nachempfundenen griechischen Säulen, von denen es hier vermutlich mehr gibt als dazu passende Heilige ...

Die Market Street ist Touristenhochburg. In der alten Markthalle verkaufen Korbflechterinnen ihre Waren. Souvenirs. Buntes Gewusel. Es duftet nach frisch gebrühtem Espresso und Frittiertem. Wir haben die Qual der Wahl: jetzt mit dem Ausflugsboot in die Bucht von Charleston, wo das historische Fort Sumter auf einer Insel liegt und 1861 das erste Scharmützel des Amerikanischen Bürgerkriegs begann. Oder mit dem Bus 16 Kilometer raus aus der City, wo am trägen Fluss Wampacheeoone die Boone Hall Plantage wartet. Wir wollen die berühmte Kulisse für Film, Fernsehen und Romane, ein nationales Baudenkmal, sehen. Und wow: Flankiert von gut 170 Jahre alten, knorrigen Lebenseichen führt eine Allee stracks zum Herrenhaus im Kolonialstil. Wiesen und blühende Gärten umgeben das schnieke Anwesen. Hier – Mädels, haltet euch fest! – drehte Patrick Swayze als schmucker General Orry Main „Fackeln im Sturm“.

Der Bürgerkrieg ist an jeder Ecke lebendig. Und mit ihm die Sklaverei. Neun Sklavenhütten aus rohen Ziegeln sind in der „Slave Street“ erhalten geblieben, erinnern an finstere Zeiten. Beeindruckend auch die bühnenreife Aufführung von Geschichte, Leben und Kultur der Schwarzen, ein Solo mit Gesang, das auch an die fast ausgestorbene, vom Afrikanischen geprägte Sprache Gullah erinnert.

Showtime, Partys, Feten

Quicklebendig dagegen ist der Rock'n'Roll, wie ihn Entertainer Wayne Morris abends im Theatrium spielt und singt. Der in Hamburg lebende Entertainer rockt das schwimmende Wohnzimmer. It's Showtime. Abend für Abend. Dazu Partys und Feten an Deck. Die Unterhaltungsmaschine der „Luna“ läuft wie geschmiert.

Stichwort für einen kurzen Ausflug auf die Brücke: Kapitän Thomas Mey und seine Mannschaft haben vier Motoren mit einer Leistung von 56.000 PS im Griff. Antrieb für 40.000 Tonnen Stahl, Mann und Maus. Computer und Bildschirme dominieren die Steuerzentrale. Trotz modernster Technik aber ist „das Fernglas für uns immer noch das Wichtigste“, sagt Mey mit leicht sächselndem Tonfall. Eindruck: Ein Seemann von altem Schrot und Korn. Ist die Brücke für Passagiere normalerweise tabu, so werden für die Kombüse Führungen angeboten. Das verborgene Reich ist riesig. Platz für 126 Mitarbeiter, darunter allein 60 Köche, fünf Bäcker, drei Metzger und – man staune – sogar einen Fischräucherer. Denn alles, was auf den Tisch kommt, wird frisch gekocht, gebacken, gegrillt und zubereitet. Eine Mordslogistik! In den zwei Wochen, die wir unterwegs sind, werden gigantische Mengen verarbeitet: allein 12 bis 15 Tonnen Fleisch, 8 bis 10 Tonnen Fisch und Meerestiere, 5 Tonnen Melonen, 3 Tonnen Ananas, 40.000 Eier. Und in den Restaurants sind am Ende 8000 Liter Bier und 5500 Liter Rotwein durch die Kehlen geflossen. Sage und schreibe 19.000 Teller sind zu spülen, damit sich die Gäste nach Herzenslust an den Büfetts bedienen können ...

Lalelu, vielleicht schaut er uns ja zu, der Mann im Mond, beim Besuch des Kennedy Space Centers in Cape Canaveral. Raketen, Raumfähren, Satelliten in Hülle und Fülle. Galaktischer Gag: Den Start eines Space Shuttles an Bord erleben und einmal Astronaut sein. Für ein paar Dollar die perfekte Illusion. Tage könnte man sich durch dieses Disney World der Raumfahrt beamen – wir haben leider nur ein paar Stunden. Ähnlich wie in Miami: Little Havana, Downtown, South Beach. Konfettibunte Art-déco-Hotels am Ocean Drive; Maserati, Ferrari und Rolls Royce auf dem Biscayne Boulevard. Bühne für Schöne und Reiche. Ein Hauch „Miami Vice“, durchaus. Hinter den Kulissen aber, wenige Hundert Meter entfernt, fischt sich ein nicht so Schöner, nicht so Reicher sein Mittagessen aus der Mülltonne eines kubanischen Restaurants. Krass, diese Gegensätze.

Die Uhr tickt. Und die Everglades warten. Ein Muss! Das Airboat geht ab wie die Post. Gut festhalten und Stöpsel in die Ohren. Dass die Everglades kein Sumpf sind, sondern ein Fluss, der durch eine Gras- und Marschlandschaft fließt, ist mindestens so interessant wie Flora und Fauna dieses bedrohten Paradieses: Alligatoren gähnen in der Sonne, Wasserschildkröten hechten ins Nass. Klapperschlangen bleiben uns hingegen zum Glück erspart ...

Die Bahamas locken mit Palmen

Next Stop: Nassau auf den Bahamas. Ein Traum für jeden Mitteleuropäer. Türkisblaues Meer, unzählige Strände mit pulverfeinem Sand, grün gestrichene Holzhäuser und pinke Paläste aus der Kolonialzeit. Sogar die Fische sind bonbonfarben ... Die Privatinsel Blue Lagoon, einige Seemeilen entfernt, ist unser Ziel. Baden, schnorcheln, faulenzen oder einfach nur ungläubig staunen – eine Perle unter Palmen. Wir haben Glück: Es ist wenig los, zu anderen Zeiten mag das Eiland auch mal überlaufen sein. Dafür gönnen wir uns den Spaß und steigen mit Seelöwen ins Meerwasserbecken. Um ehrlich zu sein: Delfine sind mir zu wild, und zusammen mit Stachelrochen schwimmen – ich weiß nicht. Dann doch lieber Meggie, die Seelöwendame, streicheln.

„Hola!“ Die Bäuerin auf der Kaffee- und Kakaoplantage im Hinterland von Puerto Plata auf der „Dom Rep“ begrüßt uns auf Spanisch. Sorry Ma'm, aber das verstehen wir nicht. Die gut 70-jährige Frau macht's unkompliziert und umarmt mich kurzerhand. Ihre einfache Holzhütte ist der Gegensatz zum natürlichen Reichtum dieser subtropischen Gegend: Neben Kaffee und Kakao gedeihen hier Zuckerrohr, Kokosnüsse, Ananas und unzählige Sorten Mango, Avocado und Bananen. Staunend gehen wir durch den immergrünen Garten, wo Maniok und Süßkartoffeln, Melonen und Bohnen in Hülle und Fülle und mehrmals im Jahr wachsen. Die Luft ist angefüllt mit exotischen Gerüchen, von wildem Oregano, Chili, Zitronengras und Zimt. Zum Abschied noch eine Zigarre und ein Glas Rum – auf beides hätte ich auf dieser Insel nicht verzichten wollen. Dann wird unser einheimischer Begleiter ungeduldig: „Vamos“, Zeit für den Abschied. Zurück aufs Schiff. Morgen noch in die historische Altstadt von Santo Domingo. Und schon in zwei Tagen wieder nach Hause. Meine Erinnerungen bleiben zurück ...

„So eine Kreuzfahrt ist wie betreutes Wohnen.“ Den Satz habe ich an Bord aufgeschnappt. Stimmt aber irgendwie. Neben all dem Behaglichen, dem Bequemen und Bewegenden, neben Glitzer, Glamour und Good Times werde ich die Sonnenuntergänge auf dem Ozean nicht vergessen. Das Kreischen der Möwen, die Pelikane im Sturzflug. Schnatternde Delfine, die die „Aida Luna“ umkreisen. Tauchende und paddelnde Seeschildkröten. Und den majestätischen Seeadler hoch über der Hafenmole. Meer geht nicht.

Von unserem Redakteur Michael Stoll
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Wissenswertes für Reisende:

Anreise: Es empfiehlt sich, die Anreise über die jeweilige Reederei mitzubuchen. Vorteil: Hat Flugzeug oder Bahn Verspätung, wartet das Schiff in der Regel.
Kreuzfahrten in der Karibik werden angeboten u.a. von Aida, Costa, Disney Cruise Line, Royal Caribbean, Norwegian Cruise Line, MSC.


Beste Reisezeit: Sommer meiden.

Unsere Ausflugstipps:
Spezialitäten und Südstaatenküche genießen auf einer der „Charleston Food Tours“ (www. ChowDownCharleston.com). Und dann ins Restaurant „High Cotton“ in der East Bay Street: Maisgrütze mit Okras, Chili, Scampi und scharfer Wurst. Oder frittierte Austern. Göttlich!

Miami vom Wasser aus. Mit dem Boot durch die Biscayne Bay, wo Millionäre und Milliardäre ihre Prachtvillen haben. Eineinhalb Stunden Spaß mit hohem Neidfaktor (islandqueencruises.com).

Mit der Natur auf Tuchfühlung in der Blauen Lagune auf den Bahamas: Kelly Meister und ihr Team laden zum Planschen mit Delfinen, Rochen und Seelöwen ein (www.dolphinencounters.com).

Unser Autor ist gereist mit „Aida Luna“.
Die Reise wurde unterstützt von Aida.