Panama

Auf dem Highway in die Hölle

Männer lieben Autos. Das ist ein weltumspannendes, ungeschriebenes Gesetz. Vermutlich wird der Autokult aber nirgendwo auf der Erde so zelebriert wie in Panama – auch wenn es sich hier vielmehr um einen Buskult handelt.

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Von unserer Reporterin Melanie Schröder

Über die Panamericana rollen Tag für Tag alte, ausrangierte amerikanische Schulbusse als knallige Kunstwerke und quietschbunt bemalte Liebhaberstücke. Und das nicht etwa nur für touristische Zwecke. Der „Diablo Rojo“, der rote Teufel, nimmt jeden mit. Er fährt Provinzler in die Stadt oder Banker raus aufs Land. Er ist ein panamaisches Original, das immer seltener wird und in dem jeder Urlauber einmal gesessen haben sollte. Schmerzfreiheit ist allerdings die Grundvoraussetzung für einen Ritt mit dem roten Teufel.

Der Charme des Alters

Die Nähte des grünen Lederbezugs der Sitzbänke sind aufgeplatzt. Sie haben schon viele Jahre auf dem Buckel und wirken etwas müde – wie ein gealterter Gentleman, der nicht mehr allzu viel Wert auf eine gepflegte Rasur legt. Eigentlich sind die schmalen Reihen für die überschaubare Größe von Schulkindern gemacht. An manchen Tagen aber quetschen sich bis zu drei Erwachsene auf eine Bank. Für Berührungsängste ist hier kein Platz. Und auch auf Beinfreiheit sollte man verzichten können.

Die Füße kribbeln beim Anlassen des Motors. Eine kleine Massage bekommt jeder Fahrgast im roten Teufel kostenfrei mitgeliefert. Vor allem dann, wenn der Fahrer die Musik anlässt. Laut ist dafür kein Ausdruck. Dröhnen und scheppern muss es. Denn der Teufel kommt nicht auf leisen Sohlen daher. Der große Auftritt gehört zu seinem Selbstverständnis. Und so graben sich die Bässe mit jedem Meter tiefer in die Magengrube, bekehrt seine Predigt jeden Reisenden Minute um Minute.

Das oberste Gebot lautet: Der Fahrer ist der DJ – und noch viel mehr als das. Er ist Herrscher über alles. So wie Plinio Marquinez. Seit vielen Jahren ist er ein Jünger des Teufels. Lässig fläzt er in seinem gepolsterten Sitz. Tiefer gelegt und bis zum Anschlag in eine fast liegende Position gekurbelt. Anders geht es nicht. Denn allein ein vielleicht 30 Zentimeter hoher Schlitz gibt den Blick auf die Straße frei. „Da gewöhnt man sich dran“, kommentiert Marquinez wortkarg und lehnt sich noch einmal demonstrativ zurück. Er zieht an einer massiven Silberkette, und ein Höllenhupen zerschneidet die Luft. Über die Schrecksekunde unwissender Touristen freut er sich diebisch. Und auch sein Sekretär, der in der geöffneten Tür steht und eine Haltestange umklammert, kann sich das Lachen nicht verkneifen. Er ruft während der Fahrt die nächsten Stopps aus und braucht dafür vor allem eine Qualifikation: Schwindelfreiheit. Denn natürlich wird auch auf dem Highway die Tür nicht geschlossen – häufig gibt es auch gar keine. Zum Glück, mag sich Marquinez denken. „Das ist vermutlich die energiesparendste Klimaanlage der Welt.“ Bei bis zu 140 Kilometern pro Stunde, die die Fahrer nicht selten ansteuern, kann man das nur glauben.

Das ist auch der Grund für die vielen Unfälle, die der rote Teufel baut – genau deshalb trägt er seinen Namen, erzählt man sich. Aus dem Zentrum von Panama-City ist er darum nahezu komplett verschwunden. Er ergänzt den öffentlichen Personennahverkehr nur noch. Komfort und Sicherheit haben das Abenteuer geschlagen. Und die Buskunst wird zunehmend ein Thema fürs Museum.

Graffitikunst auf Blech

Mit einzelnen Stücken ließe sich auch tatsächlich ohne Weiteres ein Ausstellungskatalog füllen. Die Karosserie dient Graffitikünstlern als Leinwand. Wie Tätowierungen schreiben sie dem Blech die persönlichen Leidenschaften der Fahrer ein. Bei Marquinez sind es vor allem Comichelden. Hulk und Thor prangen auf den Seiten, Donald Duck und Bugs Bunny verstecken sich irgendwo im Kunterbunt. Die Motorhaube ist dem FC Barcelona gewidmet.

Die wichtigste Stelle am Bus ist bei Marquinez allerdings leer: das Heck. Hier verpasst der Fahrer dem Bus ein Image. Häufig werden dafür religiöse Motive oder die Konterfeis berühmter Popstars gewählt, auch Adolf Hitler soll es Legenden nach schon auf die Rückseite geschafft haben. Aber er hat einfach noch nicht das richtige Motiv gefunden, erklärt Marquinez. Die Entscheidung braucht Zeit.

Fragt man Einheimische nach dem roten Teufel, verdrehen viele die Augen. Wahrscheinlich denken sie an die Lautstärke, das Gerüttel, den Körperkontakt, die Hitze und den rigorosen Fahrstil, den man aushalten muss. Und dennoch sind die Busse immer voll: Das mag daran liegen, dass die Fahrt mit etwa 30 Cent spottbillig ist, vielleicht aber auch daran, dass ein bisschen Abenteuer den Alltagstrott aufmischt – und ein Ritt mit dem roten Teufel das Leben bunter macht.