North Carolina

Abenteuer in der Natur: Wo Wildpferde ihre Freiheit genießen

Von Anne Fuhrmann
Foto: Anne Fuhrmann

Die Haare der Passagiere flattern im starken Fahrtwind. Hinten auf den beiden Sitzbänken des umgebauten Pick-ups zerrt die Seeluft auch an den Klamotten, und etwas Sand wird den Fahrgästen von den Reifen entgegengeschleudert, während Edna Baden das Auto sicher in rasantem Tempo über den breiten Strand der Outer Banks manövriert und anschließend die Dünen erklimmen lässt.

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„Habt ihr alle Jacken dabei? Es kann kühl werden“, hat sie vor Beginn der Tour noch gewarnt. Doch nun können sich die Fahrgäste erst einmal wieder in der Sonne aufwärmen: Als sich eine Herde Wildpferde nähert, kommt das Safari-Gefährt zum Stehen und der erste Zwischenstopp ist erreicht.

Sonnenuntergang im Hafenviertel von Washington in North Carolina

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Emory Morgan zeigt Gästen auf Bootstouren seine Heimat.

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In der Stadt Washington, die als erste nach dem späteren amerikanischen Präsidenten benannt wurde, dreht sich vieles um das Wasser.

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Sarah P. Duke Gardens: Der riesige botanische Garten in Durham überrascht mit seiner Vielfalt.

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Ausblick über die Outer Banks in North Carolina

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Currituck Beach Lighthouse: Nach 220 Stufen bietet die Aussichtsplattform des Leuchtturms einen sehenswerten Ausblick über die Outer Banks.

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Blick auf den Leuchtturm von Currituck Beach auf den Outer Banks

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Idylle an weißen Strände bieten die Outer Banks

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Wer Wildpferde in freier Natur erleben will, wird auf den Outer Banks, einer Inselkette an der US-Ostküste, fündig.​

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Edna Baden bringt Fremde mit einem Safari-Gefährt zu den Wildpferden.

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Wildpferde am Strand von Corolla Beach

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Corolla Beach in North Carolina

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Am Wright Brothers National Memorial in Kill Devil Hills​: An der Geburtsstätte der modernen Luftfahrt ist ein Modell zu sehen, da die Pioniere Wright gebaut haben.

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Edna Baden ist eine von mehreren Fremdenführern, die auf den Touren der „Corolla Outback Adventures“ die wilden Tiere in deren natürlicher Umgebung zeigt. Vor etwa 500 Jahren kamen die Wildpferde zum nördlichen Teil der Outer Banks, einer schmalen, 280 Kilometer langen Inselkette im US-Bundesstaat North Carolina. An den naturbelassenen Stränden der Atlantikküste sind noch heute rund 90 Tiere zu finden. Sie stören sich nicht an den Blicken neugieriger Touristen, sondern grasen seelenruhig in der Dünenlandschaft oder trotten am Strand entlang. Schon seit 1962 bietet die Familie von Jay Bender mehrfach täglich die etwa zweistündigen Touren an, die für Pferdefans bis heute nichts von ihrem Reiz verloren haben.

Mit den domestizierten Rassen haben die wilden Artgenossen jedoch nicht sehr viel gemeinsam, erzählt Edna Baden ihrer kleinen Reisegruppe. Barfuß hüpft die schlanke und sonnengebräunte 65-Jährige aus der Fahrerkabine und klettert zu den Passagieren auf die Ladefläche des Autos. „Die Wildpferde hier fressen Gras und andere Pflanzen der Dünen, von denen gewöhnliche Rassen eine Kolik bekommen würden“, erklärt sie. Die Tiere stillen ihren Durst, indem sie aus den Frischwasserseen trinken. So, als wollte sie die Worte Badens unterstreichen, trabt die kleine Herde gerade näher an den Geländewagen heran und beginnt in dem spärlichen Grün der Düne ihre Futtersuche.

Bei Seeleuten war der unberührteste Teil der amerikanischen Ostküste lange Zeit berüchtigt: Unzählige Schiffe sind in den vergangenen Jahrhunderten dort versunken. Daher sind noch heute sechs Leuchttürme auf den Outer Banks in Betrieb. Bei den Wildpferden, so heißt es, handelt es sich um die Nachkommen spanischer Mustangs, die nach einem dieser Schiffbrüche ans Ufer von North Carolina schwammen und nun nahe der Grenze zum Staat Virginia durch die Küstengegend des Bezirks Currituck ziehen.

Die windreiche Region gehört zu den ältesten von Europäern besiedelten Teilen Amerikas. Aber während sich die erste Siedlung der Menschen nicht halten konnte, sind die Pferde heimisch geworden. Um die Tiere kümmert sich der „Corolla Wild Horse Fund“. Bei der Vereinigung hat sich Edna Baden schon engagiert, bevor sie vor fünf Jahren mit den Touristenfahrten begann. Die Nachfahrin deutscher Einwanderer kommt gebürtig aus dem Bundesstaat Maryland, lebt aber seit 1994 in ihrem eigenen Haus in dem 150-Einwohner-Ort Corolla Beach. Sie weiß inzwischen genau, wo man die Tiere antreffen kann.

Auch an diesem Tag hilft ihr die langjährige Erfahrung dabei, die Wildpferde nach kurzer Zeit in der Gegend aufzuspüren. Sie nimmt wieder hinter dem Lenkrad Platz und steuert den Pick-up von den Dünen nun wieder routiniert in Richtung Meer. Sehr nahe am Wasser laufen in einigen Metern Entfernung einige Tiere in einer Reihe hintereinander. „Das da drüben ist ganz typisch“, ruft die 65-Jährige vom Fahrersitz nach hinten und deutet zu ihnen, während sie den Geländewagen langsam ausrollen lässt. Die Wildpferde leben meist in einem Harem mit vier bis acht Tieren, angeführt von einem Hengst. Auch Fohlen gehören den Gruppen oft an. Ab einem gewissen Alter werden die jungen Hengste vertrieben. Sie müssen dann mit ihren Rivalen um einen Harem kämpfen. „Diese Auseinandersetzungen werden hart geführt. Wenn man genau hinschaut, kann man manchmal noch die Narben sehen“, erläutert Baden, während sie wieder den Motor startet und die nächste Station der Tour ansteuert.

Eine weitere Gruppe vermutet die 65-Jährige bei den Holzhäusern weiter hinten am Strand. Und tatsächlich: Nur wenige Meter von den Ferienhäusern entfernt grasen gerade zwei erwachsene Tiere und ein Fohlen. Als sich der Geländewagen nähert, schauen sie nur kurz auf und widmen sich dann wieder der Futtersuche. „Sie haben keine Scheu vor den Menschen“, sagt Baden. Genau das kann den Pferden allerdings zum Verhängnis werden: Schon mehrfach wurden sie in Unfälle mit Autos verwickelt. Natürliche Feinde müssen die Tiere dagegen nicht fürchten. Und so werden sie auch in der harschen Dünenregion im Durchschnitt 30 bis 35 Jahre alt.

In den vergangenen 500 Jahren hat sich der Strand von Corolla Beach sehr verändert. Dünen sind gewandert, das Wetter hat die Landschaft immer wieder neu geformt. Doch die Wildpferde konnten sich anpassen. Auch bei Sturm und Kälte haben sie einen Weg zum Überleben gefunden. Dann ziehen sie sich ins Marschland oder in ein Waldstück zurück.

Viel Natur gibt es auch zu sehen, wenn sich Emory Morgan hinter das Steuerrad eines Bootes stellt. Er lebt auf dem Festland von North Carolina in der Küstenstadt Washington und hat es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, Interessierten seine Heimat zu zeigen. Er ist rund um das Ästuar unterwegs, also in dem breiten Mündungsbereich, wo sich das Süßwasser der Flüsse Pamlico und Tar mit dem salzigen Brackwasser des Atlantiks vermischt. Dort hat sich ein einzigartiges Ökosystem entwickelt, das für Tausende Arten von Fischen und Schalentieren zum Lebensraum geworden ist.

Wer mehr als die Aquarien, Videos und sonstigen Anschauungsobjekte im North Carolina Estuarium sehen möchte, trifft auf Captain Morgan und seine Kollegen. Im Auftrag der weltweit ersten Einrichtung dieser Art nimmt der ehemalige Lehrer und Schuldirektor in seinem kleinen Motorboot die Besucher mit auf eine Tour. Seit sechs Jahren begibt sich der Ruheständler schon auf diese Ausflüge. Sie legen ab vom Hafen von Little Washington, wie die Einwohner ihre Stadt liebevoll nennen. Heute jedoch ist es eine besondere Tour: Sein Nachbar ist mit an Bord, ein Kenner der heimischen Vogelwelt.

Kaum hat der Kapitän die Seile vom Steg gelöst und das Boot seinen Kurs flussabwärts genommen, ist er in seinem Element. Anschaulich beginnt er zu erzählen – dass der Pamlico früher eine wichtige Verkehrsstraße war, die Fischerei und die Austernindustrie für Washington eine bedeutende Rolle gespielt haben und die fast 100 Jahre alte große Drehbrücke in vergangenen Zeiten von Hand bedient werden musste.

Nicht nur an seiner pädagogischen Erfahrung dürfte es liegen, dass der Ruheständler dabei nicht bloß einen Vortrag herunterrasselt. Seine ehrliche Begeisterung ist Captain Morgan anzumerken. Begonnen hat alles, als der gebürtiger New Yorker die Küstenstadt Washington als Ferienort entdeckte. „Anfangs habe ich hier immer nur die Sommer verbracht“, erinnert er sich. Seit 17 Jahren ist die Region nun sein ganzjähriges Zuhause. Auch die Liebe zum Wasser hat dazu geführt, dass er sich jetzt bestens in der Gegend auskennt.

Bevor er sich dem Team des North Carolina Estuarium anschloss, hat Captain Morgan Gruppen von Wissenschaftlern mit dem Boot hin- und hergefahren. „Hier sind früher mehrere Holzschiffe versunken. Sie wurden erforscht“, erklärt der Amerikaner seinen Zuhörern, während er wendet, um seine Passagiere nun flussaufwärts zu bringen. Er gibt Gas und greift nach seiner Mütze, damit sie der Fahrtwind nicht wegreißt. Die Uferpromenade von Little Washington zieht vorbei. Das Boot schaukelt auf dem Wasser. Schon nach wenigen Minuten muss Captain Morgan das Tempo wieder drosseln, die Strömung ist wegen des hohen Wasserstands derzeit zu stark. „Sonst ist der Fluss sehr ruhig und nicht so schlammig“, sagt er. Aber je weiter die Häuser der Stadt entfernt sind, desto sauberer wird das Wasser und desto dichter der Bewuchs an den Ufern.

Nun zeigt sich mehr von der Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt. In einem Nest auf dem Wipfel eines hohen Baums hat Morgan einen Fischadler entdeckt. Schnell kramt er mehrere Ferngläser aus einer Box und verteilt sie unter den Passagieren. Und diese können sie auch ein wenig später brauchen, denn weitere Tiere sind zu sehen, während der Kapitän das Boot zielsicher durch die Seitenarme des Flusses steuert: Kormorane, Fischreiher, Biber, Schildkröten und große Libellen tauchen auf.

Ein wenig enttäuscht zeigen sich die Passagiere, als Morgan mit dem Boot wieder Kurs auf den Hafen nimmt. Viel zu schnell sind die 90 Minuten verflogen. Selbst sein Nachbar nickt anerkennend. Schön, wenn man auch als Einheimischer noch etwas dazulernen kann.

Von unserer Redakteurin Anne Fuhrmann