Weichspüler für Jaroslaw Kaczynski

 Jaroslaw Kaczynski
So sieht er sich gerne: Kandidat Jaroslaw Kaczynski Foto: dpa

Polen wählt einen Nachfolger für den tödlich verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski. Um das Amt bewirbt sich auch sein Zwillingsbruder Jaroslaw. Der einstige Hardliner entdeckt plötzlich seine Liebe zur EU und zu Deutschland.

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Polen wählt einen Nachfolger für den tödlich verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski. Um das Amt bewirbt sich auch sein Zwillingsbruder Jaroslaw. Der einstige Hardliner entdeckt plötzlich seine Liebe zur EU und zu Deutschland.

Er hat stark abgenommen, ist grau geworden, trägt die Haare jetzt kürzer. Die Tragödie von Smolensk hat Spuren hinterlassen im Gesicht von Jaroslaw Kaczynski. Nur der stechende, hellwache Blick – der ist geblieben.

Jaroslaw Kaczynski (61) schüttelt Hände in Slubice, der Grenzstadt zu Frankfurt(Oder). Er will polnischer Präsident werden. Als Nachfolger seines Zwillingsbruders Lech, der im April bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Es ist ein Wahlkampf mit schwarzem Anzug und schwarzer Krawatte. Keine leichte Mission.

Das Publikum singt die polnische Nationalhymne, Kaczynski betritt die Bühne. Hinter ihm spannt sich die Stadtbrücke über die Oder – dort beginnt Deutschland. Als Europaskeptiker waren die Kaczynski-Brüder bekannt, Deutschland mochten sie gar nicht. Doch jetzt ist alles anders. „Früher markierte diese Stadt das Ende unserer Bewegungsfreiheit“, erinnert Kaczynski an die Zeit des Eisernen Vorhangs. Heute sei das längst vorbei. „Es ist für mich eine Ehre, dass Polen zu meiner Regierungszeit der Schengen-Zone beigetreten ist. Zur großen Zone der Freiheit!“ Die Zuhörer applaudieren. Kaczynski schwärmt weiter von Europa: Die Polen seien Bürger eines Staates, der das Recht habe, in der EU zu sein, mit zu entscheiden und sich an Kompromissen zu beteiligen. „Denn die EU ist eine große Schule der Kompromisse!“ Unfassbare Töne von dem national-konservativen Politiker, dessen Blockade-Haltung noch unlängst vielen in Brüssel auf die Nerven ging.

Kaczynski gibt sich bewusst deutschlandfreundlich. Ohne die schwierige Vergangenheit zu vergessen, müssten beide Seiten die Zukunft aufbauen. Die Bürger beider Länder sollten sich noch intensiver kennen lernen, „um die gegenseitig existierenden Stereotypen zu beseitigen“. Kaczynski lobt die Vorbildfunktion der sozialen Marktwirtschaft von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard. „Das ist auch mein Programm!“, ruft er. Dann fährt er demonstrativ über die Brücke nach Frankfurt (Oder) und trifft sich dort mit dem Oberbürgermeister.

Als Jaroslaw Kaczynski noch Regierungschef war und sein Bruder Präsident, da folgte ein Streit zwischen Berlin und Warschau auf den nächsten.

Jetzt ist es, als habe Kaczynski ein Bad im Weichspüler genommen. Auch innenpolitisch vermeidet er jede Konfrontation. Seine Berater wollen es so. Der scharfzüngige Jaroslaw, stets der stärker polarisierende der beiden Kaczynski-Zwillinge, soll nach dem Tod seines Bruders bewusst milde auftreten, um als Landesvater wählbar zu werden.

Am 20. Juni stimmen die Polen über einen neuen Präsidenten ab. Als Favoriten gelten Kaczynski von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Bronislaw Komorowski (58), der für die liberale Bürgerplattform (PO) von Premier Donald Tusk ins Rennen geht. Momentan führt Komorowski mit Umfragewerten um 50 Prozent. Doch Kaczynski holt auf: In den vergangenen zwei Wochen hat er sich von 31 auf 38 Prozent verbessert.

Die wundersame Wandlung des Jaroslaw Kaczynski ist ein Leitmotiv der Wahlkampagne seiner national-konservativen PiS. Der Parteichef soll wärmer erscheinen, versöhnlicher, menschlicher. Es ist eine Kampagne der leisen Töne. Ganz anders als bei der Präsidentschaftswahl 2005, als die Berater von Lech Kaczynski vor schmutzigen Tricks nicht zurückscheuten. Damals warfen sie dem liberalen Rivalen Donald Tusk vor, sein Großvater habe in der deutschen Wehrmacht gedient. Das kostete Tusk den Sieg.

Diesmal wird es ähnliche Attacken wohl nicht geben. „Jaroslaw Kaczynski versucht, sich auf die geänderte Stimmung im Land einzustellen“, sagt der Soziologe Andrzej Rychard, „nach der Tragödie von Smolensk wollen die Menschen keine Vertiefung politischer Konflikte.“

Kaczynskis Berater schirmen ihn von den Medien ab, hüten den Plan seiner Wahlkampfauftritte wie ein Staatsgeheimnis. Die Trauer, das Schicksal des Menschen Jaroslaw Kaczynski sollen wirken. Oft sitzt er bis in die späte Nacht mit seinem Wahlkampfstab zusammen – wohl auch, um die Leere zu bekämpfen. Bei dem Flugzeugunglück verlor Kaczynski nicht nur seinen Zwillingsbruder, sondern auch seine Schwägerin Maria Kaczynska und viele politische Mitstreiter. Seine alte Mutter Jadwiga, bei der der Junggeselle immer noch wohnt, liegt schwerkrank im Krankenhaus. Mit Rücksicht auf ihren Zustand hielt Jaroslaw ihr den Tod von Lech wochenlang geheim – schließlich musste er es ihr doch sagen.

Der Mitleids-Faktor wird Kaczynski zusätzliche Stimmen bringen, glaubt Zbigniew Lebkowski (61). Der Rentner aus Slubice hat die Rede des PiS-Kandidaten begeistert angehört. „Kaczynski ist der einzige Politiker in Polen, der weiß, was er will“, sagt er zufrieden. Ganz anders sieht das Mariola Pawlicka, die in Slubice Spargel an die Grenzgänger aus Deutschland verkauft. „Wollen wir das wirklich wieder alles haben? Diese Abhöraffären und Hetzjagden wie zu der Zeit, als Kaczynski Premier war? Vielen Dank!“ sagte sie angewidert. Dass sich Jaroslaw Kaczynski wirklich geändert hat, glaubt sie nicht. „Das sagt er alles jetzt – vor den Wahlen!“

Von unserer Osteuropa-Korrespondentin Doris Heimann