Wahlzeit: Grüne wollen mit Energie an die Macht

Start für die „Wahlzeit“: Prominente Bundespolitiker werden multimedial von RZRedakteuren und jeweils zwei Schülerreportern interviewt. Zu Gast war als Erste die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt.

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Das Gespräch führten die Redakteure Manfred Ruch und Birgit Pielen sowie die Schülerreporter Tanja Kari und Oleg Shelemey


Hier Auszüge aus dem einstündigen Gespräch, das mit Fragen unserer Leser per Mail, Twitter oder Facebook ergänzt wurde.

Frau Göring-Eckardt, können Sie jungen Leuten erklären, warum die Grünen nach der Bundestagswahl unbedingt mitregieren sollen?

Dafür gibt es viele Gründe, einer davon: Wir wollen zu 100 Prozent erneuerbare Energien. Auch die Mehrheit der Bevölkerung, nämlich 82 Prozent, will die Energiewende. Die Hälfte sagt aber: Es ist bisher schlecht gemacht. Die Grünen haben seit ihrer Gründung in den 80er-Jahren Erfahrung damit.

Von der Energiewende hängt viel ab – ob zum Beispiel unsere Stromversorgung in der Zukunft sicher und bezahlbar sein wird. Um es einfach zu sagen: Wind und Sonne schicken uns keine Rechnung nach Hause.

Sie haben sich auf die SPD als Koalitionspartner festgelegt. Müssten Sie sich nicht auch andere Optionen offenhalten – zumal von Wechselstimmung in der Bevölkerung wenig zu spüren ist?

Bei der Kanzlerin hat man manchmal das Gefühl, sie möchte die Wähler so lange beruhigen, bis sie nicht mehr merken, dass es Alternativen gibt. Es gibt sehr wohl eine Wechselstimmung – wenn es um Mindestlohn, um Kinderbetreuung, um Bildung, Umwelt und Energiepolitik geht. Ich bin der Auffassung, dass nicht die Umfrageinstitute entscheiden, sondern die Wähler am 22. September. Bis dahin werden wir für einen echten Wechsel kämpfen.

Junge Wähler interessiert vor allem der Umweltschutz. Wie soll er in Deutschland umgesetzt werden?

Heute ist der Earth-Overshoot-Day – der Tag, an dem wir in der ganzen Welt so viel natürliche Ressourcen verbraucht haben, die für ein ganzes Jahr hätten reichen müssen. Um im Bild zu bleiben: Wir verbrauchen als Europa drei Welten.

Wir wollen bis zum Jahr 2020 auf 50 Prozent erneuerbare Energien kommen, bis zum Jahr 2030 auf 100 Prozent. Das geht allerdings nicht mit einem Umweltminister und einem Wirtschaftsminister, die als dynamisches Duo auf der Bremse stehen.

Sie sagen, Sie fühlen sich da zu Hause, wo Sie Windräder sehen. Das fällt vielen Rheinland-Pfälzern inzwischen schwer: Sie erkennen ihre Heimat kaum mehr wieder.

Wenn ich aus dem Urlaub nach Deutschland zurückkomme und die Windräder am Horizont sehe, sage ich: Da bin ich zu Hause. Doch überall, wo in die Kulturlandschaft eingegriffen wird, gehört die Bürgerbeteiligung dazu.

Sie gelten als Inbegriff der bürgerlichen Grünen und sind damit interessant für Wechselwähler. Wie schätzen Sie Ihr Potenzial ein?

Es gibt viele Wähler, denen sind Werte wichtig – Gerechtigkeit, Zusammenhalt der Gesellschaft, Bewahrung der Schöpfung. Die überlegen sich dieses Mal, ob sie die Grünen wählen – wie viele es sind, werden wir sehen. Um die 40 Prozent der Wähler entscheiden sich erst am Schluss.

Interessant ist auch Ihre Definition des grünen Wählers: Er schaut nicht nur auf sich, sondern auch darauf, wie es anderen geht.

Grüne Wähler sagen oft: Es geht um mehr als nur um uns selbst. Sie haben ein Verantwortungsgefühl über sich selbst hinaus.

Andere nennen das Ökodiktatur: Die Grünen erklären den Menschen, wie man richtig lebt.

Ich bin in der DDR aufgewachsen. Da wusste der Staat auch ziemlich genau, was richtig für einen ist. Ich gehöre ganz bestimmt nicht zu denen, die eine solche Politik machen. Die Freiheit, sich entscheiden zu können, ist zentral. Das Neueste ist, dass man uns vorwirft, wir würden vorschreiben, dass es kein Fleisch mehr geben soll.

Bei uns gab's früher den Sonntagsbraten, montags sind dann die Reste gegessen worden. Dann gab's noch einmal in der Woche Fleisch. Das halte ich bis heute so, dass ich relativ selten Fleisch esse.

Wo kaufen Sie Fleisch ein?

Am liebsten bei dem Bauern, den ich persönlich kenne. Dass wir EUweit mit 1 Milliarde Euro Massenställe subventionieren, hat mit artgerechter Haltung nichts zu tun. Die Tiere sind mit Antibiotika vollgepumpt. Das Schwein, von dem wir die Schnitzel essen, könnte bei der Tour de France mitfahren. Das hat mit gesundem Essen und artgerechter Tierhaltung nichts zu tun.

Kaputte Straßen, marode Brücken: Kann der Ausbau der Infrastruktur in Deutschland ohne Belastung für die Bürger finanziert werden?

Kann ich die Frage ein bisschen eingrenzen? Ich halte die Idee von CSU-Chef Horst Seehofer, eine Maut für Ausländer einzuführen, für ziemlich hinterfotzig. Er weiß, dass es rechtlich nicht geht. Man kann nicht innerhalb der EU für Ausländer eine Maut einführen, sondern nur für alle Autofahrer. Das heißt also: Seehofer will die Maut für alle einführen.

Das finde ich nicht besonders intelligent. Viel von dem Infrastrukturgeld ist in den vergangenen Jahren nach Bayern geflossen, weil Bundesverkehrsminister Ramsauer nun mal Bayer ist. Irgendwo anders sind ganz normale Straßen kaum noch befahrbar.

Deshalb muss der Investitionsstau aufgeholt werden. Wir wollen bei Autos echte Verbrauchsteuern, die von ökologischen Kriterien geleitet sind.

Warum braucht man bei Rekordsteuereinnahmen des Staates überhaupt noch neue Steuern?

Die Bundesregierung hat trotz Rekordsteuereinnahmen in diesem Jahr 17 Milliarden Euro zusätzlicher neuer Schulden aufgenommen. Wir wollen als Erstes 4 Milliarden Euro einsparen, die für sinnlose Subventionen ausgegeben werden.

Ein Beispiel ist die Abschaffung des Dienstwagen-Privilegs. Das ist eine ökologisch schädliche Subvention für Spritfresser. Darüber hinaus brauchen wir insgesamt ein anderes Steuersystem: Wir wollen 90 Prozent der Einkommensteuerzahler entlasten.

Die 10 Prozent der Steuerzahler, die wirklich ein gutes Einkommen haben, sollen dabei helfen. Dabei geht es um Umverteilung und Gerechtigkeit. Auch Städte und Gemeinden sollen wieder mehr Spielraum haben.

Warum müssen die Besserverdienenden stärker besteuert werden?

Wie hart Geld verdient wird, macht sich nicht an der Höhe fest. Das liegt daran, dass wir keinen Mindestlohn haben. Sieben Millionen Menschen arbeiten für weniger als 8,50 Euro in der Stunde. 2,5 Millionen haben einen zweiten Job, um überleben zu können. Wir fragen: Wer kann es sich leisten, etwas zurückzugeben an die Gesellschaft? Deshalb wollen wir eine Vermögensabgabe für zehn Jahre – die betrifft 1 Prozent der Deutschen. Dieses Geld soll zu 100 Prozent in den Schuldenabbau fließen.

Brauchen wir eine neue Rentenreform?

Das mittlere Einkommen in Deutschland beträgt 1597 Euro netto. Das ist wenig. Wir haben eine starke Bedrohung durch Altersarmut, das wird vor allem Frauen betreffen. Wir wollen deshalb eine Garantierente von 850 Euro. Aber Grundvoraussetzung ist zunächst, die Einkommen zu erhöhen. Deshalb kämpfen wir für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro.