Wahl: Merkel und Steinbrück im Nahkampf

Auf den letzten Metern will Peer Steinbrück in die Offensive gehen. Drei Wochen vor der Bundestagswahl könnte der SPD-Kanzlerkandidat beim Fernsehduell am Sonntag gegen Amtsinhaberin Angela Merkel punkten.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Von Rena Lehmann

Experten räumen dem wortgewandten Norddeutschen durchaus Chancen ein. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Schlagabtausch vor der Kamera den Wendepunkt in einem Bundestagswahlkampf markiert. Eine neue Forsa-Umfrage sieht die SPD bei 22 Prozent. Steinbrück hat wenig zu verlieren. Einen echten „Nahkampf“ hat es zwischen der beim Volk beliebten Bundeskanzlerin und dem im vergangenen Herbst schwach gestarteten Kanzlerkandidaten bisher kaum gegeben.

Merkel vermeidet es erfolgreich, den Namen des Herausforderers zu erwähnen. Bis auf einige wenige Reden bei Euro-Debatten im Bundestag traten beide bislang nicht im direkten Vergleich auf. Der Wahlkampf dümpelt, Steinbrücks Attacken gegen Merkels aus seiner Sicht zögerliche Euro- Politik verfangen kaum. Im offenen Duell sieht er jetzt seine Chance. Der SPD-Mann, der gern Klartext spricht, kündigt in der „Stuttgarter Zeitung“ an, er werde beim Duell „sicher nicht als Randalierer auftreten“.

„Dass mitteleuropäische Verhaltensnormen eingehalten werden, garantiere ich gern“, scherzt er. Mit handfesten Angriffen ist von seiner Seite allerdings zu rechnen. Auch in seiner Partei sehen viele das Duell als letzte Chance, noch Boden gutzumachen und Wähler zu mobilisieren. Man traut Steinbrück einen deutlich angriffslustigeren Auftritt zu als Steinmeier 2009. Damals titelte die „Bild“ am nächsten Tag spottend: „Yes, we gähn.“

Steinbrück könnte wiederholen, was 2005 Gerhard Schröder im Wortgefecht mit Angela Merkel schaffte, so hoffen die Genossen. „Medienkanzler“ Schröder gelang es mit seinem Auftritt gegen Herausforderin Angela Merkel, einen Vorsprung der Union von 23 Prozent bis zum Wahlabend fast gänzlich dahinschmelzen zu lassen.

Er ließ Merkel und ihren „Professor aus Heidelberg“, wie er ihren Steuerexperten Paul Kirchhof nannte, „radikal unsozial“ aussehen und empfahl damit sich selbst und seine SPD als gerechte Alternative. „Es ist ihm gelungen, der CDU ihre Kompetenzthemen Finanzen und Wirtschaft wegzunehmen“, sagt der Kommunikationsforscher Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim. Jedes Fernsehduell hat seiner Ansicht nach das Potenzial, den Ausgang der Wahl erheblich zu beeinflussen.

In Deutschland hat man damit im Gegensatz zu den USA noch wenig Erfahrung. In den amerikanischen Wahlkämpfen hat die öffentliche Debatte der Spitzenkandidaten Tradition. Richard Nixon und John F. Kennedy machten 1960 den Anfang. In Deutschland war das öffentliche Duell wegen des Mehrparteiensystems lange umstritten. Man bevorzugte sogenannte Elefantenrunden mit Parteivorsitzenden oder Generalsekretären.

Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) lehnte 1969 ein Duell-Angebot seines Herausforderers Willy Brandt (SPD) mit der Begründung ab, es stehe „dem Kanzler der Bundesrepublik nicht gut an, sich auf ein Stühlchen zu setzen und zu warten, bis ihm das Wort erteilt wird“. Der kameraerprobte Schröder sah das 2002 anders. Er hatte schon im niedersächsischen Landtagswahlkampf gute Erfahrungen mit Fernsehduellen gemacht. Sein Herausforderer von der Union, CSU-Mann Edmund Stoiber, war ebenfalls ein Befürworter des Formats auch auf Bundesebene.

Die Premiere kam beim Wähler gut an. Trotzdem darf man TV-Duelle auch nicht überschätzen. Experte Brettschneider, der die vergangenen TV-Duelle untersucht hat, kommt zu der Einschätzung, dass sie „nicht zwingend eine große Wirkung entfalten“. „Es kommt auch auf die Ausgangslage an“, meint er. 2009 etwa fiel es dem SPDHerausforderer Frank-Walter Steinmeier schwer, Angela Merkel anzugreifen. Man hatte schließlich vier Jahre lang in einer Großen Koalition eng zusammengearbeitet.

„Das war sehr schwer, Gegensätze aufzuzeigen. Diesmal dürfte es sehr viel interessanter werden“, sagt Brettschneider voraus. In der Union vertraut man auf die Erfahrung der Bundeskanzlerin. Das Los hat entschieden, dass Peer Steinbrück das Duell eröffnen darf, sie dafür das etwa 90 Sekunden lange Schlusswort bekommt. Redezeiten und Themen sind bis ins Detail festgelegt – mit Überraschungen ist dennoch zu rechnen.

„Beide müssen Fehler vermeiden“, sagt Experte Brettschneider.