Kiel

Urlaubsexperte: Die Neugier treibt uns an

Der Psychologe Martin Lohmann weiß, wo's in der schönsten Zeit des Jahres langgeht: Er erforscht seit 30 Jahren die Reisegewohnheiten der Deutschen. Der Geschäftsführer des Instituts für Tourismus- und Bäderforschung (Kiel) sagt: „Die Neugier ist ein heftiger Trieb zum Verreisen.“ Außerdem erklärt er, wie man dem Stress im Urlaub entflieht.

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Das Gespräch im Wortlaut:

Welche Urlaubstypen gibt es in Deutschland? Unterscheiden Sie zwischen dem Nordreisenden, der die raue Landschaft sucht, und dem Südreisenden, dem in wohliger Wärme das Herz höher schlägt?

Bei diesen Unterscheidungen nach Himmelsrichtungen bin ich skeptisch. Reisen in den Norden und den Süden werden oft von den gleichen Menschen gemacht. Eine Aufteilung der Bevölkerung in Urlaubstypen funktioniert nicht. Das wäre sehr plakativ. Das Spannende bei den Urlaubern ist, dass alle sehr, sehr viele Optionen haben. Wir nennen das den multioptionalen Konsumenten. Ein und derselbe Urlauber kann mit dem Eisbrecher nach Grönland fahren, eine Städtereise nach Straßburg machen oder sich auf Mallorca die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Jede dieser Reisen würde ihm Spaß machen.

Das heißt, die Deutschen sind entdeckungsfreudig?

Ja, die meisten suchen im Urlaub zwar nicht das vollkommen Neue, aber das teilweise Neue – ein neues Ziel, eine neue Aktivität. Die Neugier ist ein heftiger Trieb zum Verreisen.

Was sind die beliebtesten Ziele der Deutschen?

Wenn man die Welt in drei große Teile teilt, dann fährt ein Drittel ans Mittelmeer, ein Drittel macht Urlaub in Deutschland, das andere Drittel erkundet den Rest der Welt.

Was macht das Drittel, das in Deutschland bleibt?

Was besonders lockt, sind die Randgebiete, Nord- und Ostsee sowie die gebirgigen Regionen in den Alpen und Voralpen. Die Mittelgebirge oder Städtereisen sind eher Ziel eines zusätzlichen Urlaubs, wenn man beispielsweise im Herbst noch mal wegfährt. Grundsätzlich steht ganz Deutschland als Feriengebiet zur Verfügung.

Urlaubsexperte: Die Neugier treibt uns an
Foto: picture alliance

Was verknüpft man mit der Sehnsucht nach dem Meer, nach dem Wasser?

Am Strand zu sein, ist geografisch aufregend. Was uns anzieht, sind Brüche in der Landschaft, eine weite Ebene ist längst nicht so interessant. Wir suchen Grenzen und gleichzeitig die Ferne. Beides bietet der Strand. Außerdem können wir da faulenzen oder mit den Kindern spielen – besser geht's nicht.

Hat es auch etwas damit zu tun, dass das Wasser ein Urelement ist?

Die Frage haben wir uns nie gestellt. Es gibt eine Theorie, dass wir mittelwarme Regionen gern aufsuchen, weil das wohl das Klima war, in dem der Urmensch früher in Zentralafrika gelebt hat.

Wenn der Deutsche ein Fernziel aufsucht, wohin geht dann die Reise?

Ungefähr 7 Prozent aller Urlauber reisen in die Ferne, also außerhalb Europas und des Mittelmeerraumes. Was en vogue ist, sind Ziele in Asien und Südostasien. Südamerika und Afrika haben etwas an Marktbedeutung verloren. Das kann sich aber schnell wieder ändern. Der Fernreisende ist in der Regel nicht so ein treuer Kunde wie jemand, der auf eine Nordseeinsel oder ins bayerische Alpental fährt.

Der Haupturlaub der Deutschen hat sich, über zwei, drei Jahrzehnte betrachtet, von drei auf zwei Wochen verkürzt. Woran liegt das?

Wir haben eine Demokratisierung des Reisens. Es nehmen viel mehr Leute am Reisegeschehen teil, was eine sehr schöne Entwicklung ist. Damit sind auch viele dabei, die nicht so viel Geld haben und deshalb nicht so lange verreisen. Dann haben wir einen enormen technischen Fortschritt. Viele Ziele sind mühelos per Flugzeug zu erreichen. Man muss sich nicht mehr mit dem Auto über die Alpen quälen. Viele sparen sich Urlaubstage auch noch für eine Kurzreise auf. Das führt dazu, dass der Haupturlaub kürzer wird. Es bedeutet aber nicht, dass der Einzelne übers Jahr gesehen weniger unterwegs ist.

Bis jetzt hieß es immer, dass man drei Wochen Urlaub am Stück braucht, um sich wirklich zu erholen. Stimmt das?

Nein. Der Erholungseffekt ist am Anfang eines Urlaubs immer deutlich größer als am Ende. Am meisten profitiert man von den ersten Tagen – auch wenn man mitunter etwas Umstellungsschwierigkeiten hat. Je kürzer die Reisedauer ist, umso sinnvoller ist es, die Anreise möglichst angenehm zu gestalten. Von Koblenz nach Buenos Aires zu fliegen und drei Tage später wieder zurück, könnte zwar spannend sein, aber eben nicht erholsam.

Wie vermeidet man Stress im Urlaub?

Da gibt es vier Aspekte: Manche wollen vorher noch schnell etwas Berufliches wegschaffen – weil sie Angst haben, nach dem Urlaub vor einem großen Berg an Arbeit zu sitzen. Da helfen nur gute Planung und Delegation an andere. Während des Urlaubs gibt es verschiedene Belastungsformen. Wenn man etwas Neues erleben und beispielsweise die arabische Küche kennenlernen möchte, dann kann es gewisse Belastungen für den Verdauungstrakt geben – der Preis für’s Urlaubserlebnis dazu. Besonders häufig gibt es sozialen Stress. Eines der wesentlichen Urlaubsmotive der Deutschen ist es, mit dem Partner und mit der Familie zusammen zu sein, weil man im Alltag offensichtlich zu wenig Zeit dazu hat. Also packt man das in den Urlaub. Wenn man dann aber unterschiedliche Vorstellungen hat von dem, was man genau macht, kann es schnell Krach geben mit dem sonst so verliebten Partner. Das möchte man im Urlaub nicht haben. Da hilft es, wenn man sich vorher abstimmt und sich klar macht, welche Vorstellungen man eigentlich hat. Die vierte Variante ist der Stress, den man sich selbst macht, indem man sich einfach zu viel vornimmt für die Urlaubszeit. Manche sollten einfach einmal zwei Stufen zurückschalten und den Tag auf sich zukommen lassen.

Das Gespräch führte Birgit Pielen