New York

UN-Vollversammlung: Der Drahtseilakt des Feldherrn Obama

Eindringlicher Appell an die Weltgemeinschaft: Vor der UN-Vollversammlung wirbt US-Präsident Barack Obama für einen globalen Kampf gegen den Vormarsch der IS-Miliz.
Eindringlicher Appell an die Weltgemeinschaft: Vor der UN-Vollversammlung wirbt US-Präsident Barack Obama für einen globalen Kampf gegen den Vormarsch der IS-Miliz. Foto: dpa

Vor der UN-Vollversammlung wirbt US-Präsident Barack Obama für den Kampf gegen Islamischen Staat. Ein Drahtseilakt, schließlich steht sein Image als Anti-Bush auf dem Spiel.

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Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

Mit grimmiger Miene steht er an dem prächtigen Pult aus grünem Marmor. Vor zwölf Monaten hat er hier, in der UN-Vollversammlung in New York, noch den Plan eines Dialogs zwischen den syrischen Konfliktparteien skizziert, eine Blaupause, die auf russisch-amerikanischer Annäherung aufbauen sollte. Heute spricht US-Präsident Barack Obama vom Krieg. Sein Gesichtsausdruck passt zum Ernst der Lage. In 30 Redeminuten lächelt er kein einziges Mal.

Mit einer Terrormiliz wie dem Islamischen Staat (IS) kann man weder vernünftig argumentieren noch verhandeln, sagt er. „Die einzige Sprache, die diese Killer verstehen, ist die Sprache der Gewalt.“ Daher wollen die USA in einer breiten Allianz darauf hinarbeiten, dieses „Netzwerk des Todes“ auseinanderzunehmen. Obama, der globale Antiterrorstratege. Der Pragmatiker, der unter dem Druck der Ereignisse seinen Kurs ändert und sich nicht länger nachsagen lassen möchte, er verfolge die Wirren des Nahen Ostens von der Seitenlinie. Der zweite Teil seiner Botschaft richtet sich an seine Landsleute, die nach den Enthauptungen der Journalisten James Foley und Steven Sotloff Schläge gegen die IS-Miliz zwar mehrheitlich unterstützen, denen die bittere Erfahrung des langen, kontraproduktiven Feldzugs im Irak aber noch immer in den Knochen steckt. Die USA werden nicht ihre gesamte Außenpolitik am Kampf gegen Terroristen ausrichten, verspricht der Präsident und distanziert sich von George W. Bush, der phasenweise in kaum einer Rede ohne die Phrase vom „Krieg gegen den Terror“ auszukommen glaubte. „Keine fremde Macht kann eine Wandlung in den Herzen und Hirnen bewirken“, sagt er. „Weder werden wir sichere Häfen für Terroristen tolerieren noch werden wir als Besatzungsmacht handeln.“ Obama, der Realist. Hybris, weiß er, kann schnell im Katzenjammer enden.

Es ist die Woche des diplomatischen Hochseilakts. Gewählt, um die USA herauszuführen aus der Sackgasse Irak, findet sich Obama in einer Rolle wieder, die er nie spielen wollte. Er ist, genau wie sein Vorgänger, Feldherr in einem nahöstlichen Krieg. Und dennoch bemüht er sich, seine Marke zu pflegen, das Image des Anti-Bush, der in den UN keinen lästigen Störfaktor sieht, sondern das zentrale Forum der Weltgemeinschaft. Drei Tage lang wirbt er in New York um Kandidaten für seine Koalition der Willigen, die die IS-Dschihadisten in die Zange nehmen soll. Am intensivsten, heißt es hinter den Kulissen, bearbeiten die Amerikaner Recep Tayyip Erdogan, den Präsidenten der Türkei. Von den Briten erhoffen sie das baldige Signal, dass sich Ihrer Majestät Air Force an den Luftschlägen beteiligt, damit Frankreich in Europa nicht der einzige Koalitionär von Rang bleibt.

Am Nachmittag leitet Obama eine Sitzung des Sicherheitsrats. Es ist erst das zweite Mal in der Geschichte des Gremiums, dass ein US-Präsident den Vorsitz führt. Schon bei der Premiere, vor fünf Jahren, war es Obama. Damals ging es um die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen. Mit einer Resolution will Washington alle Staaten verpflichten, ihre Bürger strafrechtlich zu belangen, wenn sie ins Ausland reisen, um sich einer Terrorgruppe anzuschließen – oder aber aus einem dschihadistischen Trainingscamp zurückkehren. Pässe sollen eingezogen werden, Fluglinien vorab Passagierinformationen liefern, wie es bei Flügen in die USA schon lange der Fall ist. Bankguthaben ausländischer Kämpfer, deren Zahl das State Department allein in Syrien auf 15 000 schätzt, sollen eingefroren werden.

Klar ist aber auch, das Papier ist nur Ersatz. Eigentlich müsste der Hohe Rat über Pro und Kontra der Luftoffensive debattieren, doch genau das passt dem Oval Office nicht ins Konzept. Klar ist, dass es auf Widerstand stieße, würde es sich um grünes Licht für Attacken gegen syrische Ziele bemühen. Russland würde sein Veto einlegen, die Verletzung der Souveränität seines De-facto-Verbündeten ins Feld führen. Das Kabinett Obama wiederum beruft sich auf bilaterale Verträge mit Bagdad, die nach den Worten der UN-Botschafterin Samantha Power auch grenzüberschreitende Aktionen völkerrechtlich abdecken. Das Regime Baschar al-Assads, von dessen Staatsgebiet die IS-Gefahr ausgehe, sei entweder nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Angriffe der Miliz zu verhindern, schreibt Power in einem Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Daher habe die irakische Regierung die Amerikaner gebeten, bei der Abwehr der IS-Attacken zu Hilfe zu kommen. Es handle sich um einen Akt der Selbstverteidigung, legitim nach der UN-Charta, weshalb es keiner Zustimmung des Sicherheitsrats bedürfe.