Stockholm

So wird man zum Nobelpreisträger

Ein Mann und sein Preis: Alfred Nobel legte in seinem Testament fest, dass sein Vermögen der Wissenschaft zugutekommt.
Ein Mann und sein Preis: Alfred Nobel legte in seinem Testament fest, dass sein Vermögen der Wissenschaft zugutekommt. Foto: dpa

Pingelig und altmodisch: Die strengen Regeln der Kandidaten-Kür: Heute beginnen für die Welt der Wissenschaft wieder spannende Tage. Die Nobelpreise werden vergeben. Wie wird man Preisträger? Beim Chemie-Komitee in Stockholm hat die „Ständige Sekretärin" Astrid Gräslund Überraschendes von der genau festgelegten Prozedur bis zur Kürung der Preisträger zu berichten.

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Stockholm – Heute beginnen für die Welt der Wissenschaft wieder spannende Tage: Die Nobelpreise werden vergeben. Wie wird man Preisträger? Beim Chemie-Komitee in Stockholm hat die „Ständige Sekretärin„ Astrid Gräslund Überraschendes von der genau festgelegten Prozedur bis zur Kürung der Preisträger zu berichten.

„Beim Nobelpreis sind wir altmodisch“, seufzt Astrid Gräslund halb verlegen, halb verliebt, ehe sie die Kandidaten-Kür für den berühmtesten Wissenschaftspreis der Welt erklärt: „Unsere Formulare lassen sich nur mit der Hand ausfüllen. Man muss sie auch mit der Post zurückschicken, Mails nehmen wir nicht an.„ Durch mehrere Hundert handschriftliche Vorschläge mit (kurzer!) Begründung wühlen sich die Juroren allein in ihrem Bereich jedes Jahr, ehe Anfang Oktober ein, zwei oder höchstens drei Chemiker einen Anruf aus Stockholm bekommen.

Als „Ständige Sekretärin“ des Chemie-Komitees in Schwedens Wissenschaftsakademie managt die Professorin für Biochemie nebenberuflich das pingelig vorgeschriebene Verfahren. Denn natürlich kann nicht jeder hergelaufene Hobby-Chemiker eine Nobelpreis- Initiative starten. Am Anfang stehen jedes Jahr „Einladungen„ der Akademie an 2000 bis 3000 wissenschaftliche Einrichtungen und Chemie-Kapazitäten in aller Welt, bis 31. Januar Vorschläge für den Nobelpreis nach Stockholm zu schicken.

Einzigartiger Einblick

Etwa 500 der Angeschriebenen antworten und schicken ihre Vorschläge. Gräslund sammelt sie in einem schön eingebundenen und total geheimen „Roten Buch“: „Das ist groß und dick. Wir haben einige Hundert Kandidaten, aber natürlich tauchen die meisten Namen ja immer wieder auf„, berichtet Gräslund und lächelt müde auf die Frage, ob man es mal anschauen dürfe. Sie selbst guckt immer wieder gern rein: „Man bekommt einen einzigartigen Einblick in das, was sich forschungsmäßig so rührt.“

Mit sieben Mitgliedern im Chemie-Komitee wählt Gräslund im Frühjahr 20 bis 30 Namen im engeren Kandidatenkreis aus, für die dann weltweit Fachgutachten eingeholt werden. Nach den Sommerferien wird die Liste dann „zusammengekocht„. „Natürlich gibt es dabei Konflikte und auch unterschiedliche Vorlieben bei uns im Komitee“, gesteht die Schwedin ein. Sie selbst freue sich immer besonders über einen Preis für Grundlagenforschung.

Fehden und Rachefeldzüge

Jedes Jahr an einem Mittwoch im Oktober, nach dem Medizin- und dem Physikpreis, und immer zwei Tage vor dem Friedensnobelpreis, wird dann von über 100 meist ergrauten und meist männlichen Mitgliedern der kompletten Wissenschaftsakademie die endgültige Entscheidung gefällt. „Es ist seit der ersten Vergabe 1901 einmal vorgekommen, dass die Akademie den Vorschlag des Komitees nicht angenommen hat.„ Da ging es wohl um innerschwedische Professoren- Fehden und Rachefeldzüge, man würde gern mehr hören.

So vage die Auskünfte hier bleiben, so entschieden weist die Komiteesekretärin die Vermutung zurück, dass es gezieltes „Lobbying“ oder auch direkte Bestechungsversuche von Kandidaten oder anderen Interessengruppen für den Nobelpreis gibt. Immer kann diese Auszeichnung – neben der Ehre und der Dotierung von derzeit zehn Millionen Kronen (knapp einer Million Euro) – auch unbezahlbare Werbung für kommerzielle Aktivitäten von Preisträgern bringen.

„Im dunkelsten Afrika und Asien schlägt man sich schon mal gegenseitig vor„, berichtet die Schwedin mit etwas überraschender westlicher Überheblichkeit über etwas, was ihr Komitee überhaupt nicht mag. Gegen führende Mitglieder der Nobel-Komitees für Medizin, Physik und Chemie ermittelte die Staatsanwaltschaft vor zwei Jahren – folgenlos – wegen Verdachts auf passive Bestechung nach einer pompösen Einladungsreise durch China.

Gewisse Dauerprobleme

„Seitdem sind wir mit so etwas noch viel vorsichtiger“, sagt die Chemie-Sekretärin, kann aber gewisse Dauerprobleme durch ihre Schlüsselrolle für Nobelehren nicht leugnen: „Man wird schon sehr zuvorkommend behandelt, wenn man auf Kongressen auftaucht."

Am 10. Dezember dann, bei der jährlichen Preisverleihung am Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833–1896), hält Astrid Gräslund im Festgewand die Fach-Laudatio auf den oder die Chemie-Preisträger. 2009 waren es die Zellforscherin Ada Jonath aus Israel und ihre US-Kollegen Thomas Steitz sowie Venkatraman Ramakrishnan.Thomas Borchert